Anzeige
Bund-Länder-Treffen zu Erneuerbaren

„Merkel muss den Knoten durchschlagen“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 11.03.20
… fordert der CSU-Politiker Josef Göppel angesichts des Versagens der Bundesregierung bei Klimaschutz und Erneuerbaren-Ausbau. Vom heutigen Bund-Länder-Treffen (12. März 2020) erhofft er sich die Streichung des Solardeckels und eine Einigung zu Windkraft-Abständen. Die eigentliche Lösung sieht er aber in der Umsetzung der EU-Erneuerbaren-Richtlinie.

neue energie: Anlässlich des EEG-Jubiläums wird viel über die Erfolge dieses Gesetzes gesprochen. Sie haben jedoch miterlebt, wie viel Skepsis und Kritik dem Regelwerk von Anfang an entgegen gebracht wurde. Was waren die Hauptkritikpunkte?

Josef Göppel: Kritiker haben immer wieder von den vermeintlich hohen Kosten der erneuerbaren Energien gesprochen. Dabei ging es um einen epochalen Technologiewechsel, der durch das EEG eingeleitet wurde. Wenn man das mit der Einführung der Kohletechnik im 19. Jahrhundert und der Kernenergie im 20. Jahrhundert vergleicht, dann waren die Kosten für die Allgemeinheit dieses Mal sogar deutlich geringer als bei den früheren Technologieschüben. 

ne: … was ja einen riesigen Wettbewerbsvorteil darstellt ...

Göppel: Das EEG hat ein neues, dezentrales Denken befördert. Darin liegt zugleich auch das Problem. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich die zentralisierte Energiewirtschaft zur vollsten Blüte entwickelt. Zwei Generationen von Technikern, Managern und Politikern kannten nichts anderes als die zentral gesteuerte Energiewirtschaft in großen Einheiten, bei der die Konsumenten nur passive Abnehmer sein konnten. Dass Privatpersonen nun plötzlich eine aktive Rolle in der Energiewirtschaft spielten, wollten viele nicht akzeptieren.

ne: Bitte konkreter, wo gab es Widerstände?

Göppel: Bei den Akteuren der zentralen Energiewirtschaft. Bis in die jüngste Zeit haben viele nicht wahrhaben wollen, dass die zentral gesteuerte Wirtschaftsweise, die in der Industrie durch das Fließband gekennzeichnet ist, nun übergeht in eine individualisierte, auf dem Computer basierende Wirtschaftsweise. Im Energiesektor wird es dadurch möglich, dass eine Vielzahl von Bürgern aktiv mitwirken können. 

ne: Mit Blick auf die aktuell extrem schlechten Erneuerbaren-Ausbau-Zahlen scheinen die Widerständler Erfolg zu haben ...

Göppel: Als einer, der über vier Wahlperioden im Bundestag alles aus nächster Nähe miterlebt hat, muss ich leider sagen, dass die Entwicklung politisch ausgebremst wurde. Dafür gab es keine guten wirtschaftlichen Gründe. Vielmehr zeigt sich in den zurückliegenden EEG-Novellen die Absicht, die gesamte Energiewende halbherzig ablaufen zu lassen. Die Argumente waren allerdings vorgeschoben. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat schon als er Umweltminister war, ständig von der Notwendigkeit einer Strompreisbremse gesprochen. Die Wahrheit ist, dass sich mit den erneuerbaren Energien die Börsenstrompreise für industrielle Großabnehmer verbilligt haben. An die Privathaushalte wird das allerdings nicht durchgereicht. 

ne: Mittlerweile fordern weite Teile der deutschen Wirtschaft bei der Energiewende mehr Tempo. Dennoch werden bestehende Hürden beim Erneuerbaren-Ausbau nur langsam abgeschafft und parallel neue aufgebaut. Warum?

Göppel: Es herrschte von Anfang an eine regelrechte Angst vor der Bürgerenergie, davor, dass tausende von Menschen sich energiewirtschaftlich engagieren. Insofern ist die eine, übergeordnete Antwort auf Ihre Frage, dass im Hintergrund weiterhin große finanzielle Interessen bestehen, zum Beispiel bei den Übertragungsnetzbetreibern. 

ne: Können Sie das bitte erläutern?

Göppel: Der großräumige Stromtransport ist ein lukratives Geschäftsmodell, was sich an der garantierten Eigenkapitalverzinsung von nahe sieben Prozent zeigt. Das Gegenmodell ist die dezentrale Erzeugung, bei der ein großer Anteil der Grundnachfrage auf Ebene der Verteilnetze ausgeglichen wird. 

ne: Spielten vielleicht doch Sorgen um die technische Beherrschbarkeit eine Rolle? Es wurde ja viel über einen drohenden Blackout in der deutschen Stromversorgung geredet.

Göppel: Soweit ich mich erinnern kann, waren es immer politische Argumente. Ich erinnere mich an Diskussionen im Wirtschaftsministerium, wo sehr schnell die Frage aufkam, wie das alles künftig gesteuert werden kann, wenn Bürgerenergieprojekte aus dem Boden schießen. Um technische Fragen ging es nicht. Und natürlich wurde immer wieder das vordergründige Argument bemüht, dass die Erneuerbaren-Anlagen nur installiert werden können, weil es über das EEG eine staatliche Subvention gibt. Ich habe dem entgegengehalten, welche Zahlungen aus dem Bundeshaushalt in den 50er und 60er Jahren an die Kernenergie gingen. Und wir konnten nachweisen, dass die höher waren. Das drang aber nicht durch.

ne: Tatsächlich werfen manche Unionspolitiker noch immer den Erneuerbaren ‚Subventionsabzocke‘ vor…

Göppel: Wobei manch einer selbst von den Erneuerbaren profitiert. Ich erinnere mich dabei auch an Bundestagsabgeordnete, die bei ihren Auftritten in der Fraktion betonten, doch nicht so dumm zu sein, keine Solar- und Windparks zu betreiben. Dennoch wurde er der Erneuerbaren-Branche Schmarotzertum vorgeworfen. Obwohl also viele selbst in die Grünstromproduktion investiert hatten, sollte der weitere Ausbau beschnitten werden.

ne: Betreiben Sie selbst Erneuerbaren-Anlagen?

Göppel: Sicher. Das habe ich den Parteikollegen auch gesagt. ‚Ich habe fünf Kilowatt auf meinem Dach. Aber ihr betreibt 5000 Kilowatt. Nur, mir werft ihr vor, dass ich ein Schmarotzer bin!?‘ Da stimmt doch was nicht.

ne: Mit Blick auf die zurückliegenden EEG-Novellen, was waren die größten Fehler, die dabei gemacht wurden?

Göppel: Man hat sich nie wirklich auf die dezentrale Erzeugung und die aktive Bürgerbeteiligung an der Energiewirtschaft eingelassen.

ne: Woran denken Sie dabei im Detail?

Göppel: Nehmen wir den Mieterstrom. Die Regeln wurden so gestrickt, dass sie in der Praxis nicht funktionieren. Ich war am Gesetzgebungsprozess unmittelbar beteiligt. Aus den Koalitionsfraktionen heraus kam der starke Wunsch, Mieterstrom möglich zu machen. Das Ministerium konnte das nicht völlig abblocken. Aber man hat es im Detail so kompliziert gemacht, dass es praktisch für niemanden handhabbar war. 

ne: Sie beschreiben das EEG im Kern als ein Bürgerenergiegesetz, das nun aber in sein Gegenteil gekehrt wurde ...

Göppel: Bis zum Jahr 2009 hat das EEG die Bürgerenergie beflügelt. Von da an wurde die Gegenbewegung stärker. Ich erinnere an den damaligen Umweltminister Norbert Röttgen. Der wurde scharf attackiert, weil er zu viele Photovoltaikanlagen entstehen ließ. Er ist damals gestolpert, weil er die Energiewende schneller und zügiger, mit sehr viel stärkerer Bürgerbeteiligung vorantreiben wollte. Das hat die alten Gegner auf den Plan gerufen. 

ne: Auf welche Politiker spielen Sie an?

Göppel: Im Bundestag lässt sich das etwa am wirtschaftspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, festmachen. Oder an Georg Nüßlein, meinem Parteifreund aus der CSU. Aber der Kreis der Erneuerbaren-Kritiker ist noch größer. Wobei es individuelle Unterschiede bei den Motiven gibt. Ich erkenne dennoch einen Grundzug. Der Ausstieg aus der Atomenergie, initiiert von Kanzlerin Merkel, wurde von einer großen Schar von Politikern nie akzeptiert. Interessanterweise ist diese Gruppe weitgehend identisch mit der, die Angela Merkel 2015 wegen ihrer Flüchtlingspolitik angegriffen hat. Und genau diese Leute will jetzt Friedrich Merz um sich scharen, um zu beweisen, dass sie die Mehrheit in der CDU stellen. Das muss man sich mal vorstellen, da hat annähernd die Hälfte der CDU auch nach rund einem Jahrzehnt mit der Kanzlerin nicht zu einem Frieden gefunden. Das zeigt, dass es unterschwellig starke strukturkonservative Strömungen gibt und es an einer wertkonservativen Haltung fehlt. 

ne: Übersetzt werfen Sie dieser Gruppe vor, einer falschen Ideologie anzuhängen …

Göppel: Genau. Wenn man sich mal an die Gründungsphase der Union erinnert, dann spielten Personen wie Jakob Kaiser eine große Rolle, die Orientierung an Christentum und Humanismus wurde sehr ernst genommen. Das hat sich heute deutlich geändert, die strukturkonservative Strömung ist sehr erstarkt. Und beide Strömungen finden sich auf Bundes- wie auch auf Länderebene. Ich muss mir da nur meinen eigenen Kreisverband ansehen.

ne: Was ist aus Ihrer Sicht das Problem der strukturkonservativen Haltung?

Göppel: Die Globalisierung der Wirtschaft wird nur funktionieren, wenn Umwelt- und Klimathemen integriert und beantwortet werden. Dabei versagt der strukturkonservative Block. Von dort kommt keine konstruktive Antwort. Ich bin davon überzeugt, dass diese Gruppe deshalb auch scheitern wird. Das sehen auch andere Unionspolitiker so.

ne: Demnach wäre die Behauptung, die AfD treibe mit ihren Parolen die CDU vor sich her, doch recht fadenscheinig …

Göppel: Völlig klar, es fällt einigen Personen in der Union sehr schwer, sich gegen die AfD abzugrenzen. Warum sollte ich mich auch abgrenzen, wenn ich insgeheim inhaltlich auf der Seite dieser Partei bin ...

ne: Würden Sie sagen, dass sich so manche Unionspolitiker mehr herausnehmen, weil es die AfD gibt?

Göppel: Absolut. Man spürt ja auch bei Friedrich Merz eine unausgesprochene Warnung. Die AfD bekommt da eine Rolle, die ihm Rückenwind gibt.

ne: Würde Merz das Rennen machen, wäre das dann das Ende der deutschen Klimaschutzpolitik? 

Göppel: Grünen-Chef Habeck hat ja gesagt, dass das seinen Wahlsieg garantieren würde. In der Bundespressekonferenz hat Merz betont, dass die Energiewende mit Wind und Sonne nicht zu schaffen sei. An der Stelle wiederhole ich meine Warnung, es gibt das Gerücht, dass manche Unionspolitiker Deutschland zum Importeur von französischem Atomstrom machen wollen. Merz würde ich das in jedem Fall zutrauen.

ne: Viele Personen, auf die Sie anspielen, sind im Bundestag aktiv. Darüber hinaus ist im Wirtschaftsministerium seit Ende 2019 Stephanie von Ahlefeldt für das EEG zuständig. Sie wird dem Umfeld der CDU-Energiewendegegner zugerechnet. Was erwarten Sie für die anstehende EEG-Novelle?

Göppel: Ich sehe das vor dem Hintergrund des schon angesprochenen deutschen Atomausstiegs. Es gibt dabei den Verdacht, dass eine Gruppe von Politikern und Fachbeamten Stromimporte von Kernkraftwerken nach Deutschland befördern möchte und deswegen die Entfaltung der bürgerschaftlichen Energiewende bremst. 

ne: Können Sie bitte den Zusammenhang erklären?

Göppel: Es gibt immer wieder Gedankenspiele zur Renaissance der Kernenergie. Immer wieder wollen Leute das Rad zurückdrehen. 

ne: Aber Kernenergie gilt mittlerweile als völlig unwirtschaftlich. Kommt es nicht einem politischen Selbstmord gleich, solche überkommenen Technologien zu unterstützen?

Göppel: Die Lage ist ja oft nicht gleich so durchsichtig. Nehmen Sie die europäische Strombörse. Die erneuerbaren Energien haben eine Preissenkung bewirkt, aber durch die geltenden Regeln hat sich das nur für große Direktabnehmer ausgewirkt. Für die normalen Stromkunden hat es zu Beginn 2020 in vielen Regionen schon wieder eine Steigerung der Strompreise gegeben, weil sinkende Börsenpreise zu einer höheren EEG-Umlage führen. Das macht dann Propaganda-Parolen möglich, die ganze Energiewende sei zu teuer. 

ne: Was aber nicht gleichbedeutend mit einem Erfolg der Atomlobby sein muss, oder?

Göppel: Mein Gefühl sagt mir, dass die Erfolgsaussichten nicht groß sein dürften, eine Renaissance der Atomenergie einzuleiten. Einfach weil es die Grünen gibt. Denn der Mittelbau der Union orientiert sich an den Aussichten bei Wahlen. Und ich denke auch, dass Armin Laschet zu der Gruppe gehört, die sich gegen die Atomkraft stellen würde.

ne: Zurück zum EEG, wie lautet Ihre Forderung für die Novelle?

Göppel: Der Solardeckel muss in jedem Fall weg und die Abstände für Windräder dürfen auf keinen Fall über 1000 Meter hochgeschraubt werden. Von zentraler Bedeutung ist aber, dass die Europäische Erneuerbaren-Richtlinie ohne Abstriche in nationales Recht umgesetzt wird.

ne: Was würde das bringen?

Göppel: Die EU-Richtlinie ist der Schlüssel für eine wieder aktivierte Bürgerbeteiligung. Brüssel gibt den Mitgliedsländern für die Umsetzung Zeit bis Mitte 2021, aber Deutschland könnte das mit der anstehenden EEG-Novelle sofort erledigen. Wobei mit einer vorbehaltlosen Umsetzung ein echter Bürgerstromhandel möglich würde. Damit verlöre das EEG als Preisstabilisator seine Notwendigkeit. Bürgerschaftliches Engagement wird dann wirtschaftlich tragfähig.

ne: Wobei sich andere EU-Länder an dieser Stelle deutlich ambitionierter zeigen als Deutschland ...

Göppel: Korrekt. Das haben 2018 die Beratungen zur Richtlinie deutlich gezeigt. Als es zum Beispiel um die Grenze der abgabenfreien Eigenerzeugung ging, wollte Deutschland an den zehn Kilowatt festhalten, letztlich kamen dann 30 Kilowatt in die Richtlinie. Das heißt, andere Länder haben über Deutschland hinweg eine großzügigere Lösung erreicht. Das geht aber an den Menschen vorbei. Es gibt eine Sehnsucht nach Eigenständigkeit und Sicherheit in der Energieversorgung. Deshalb installieren sich so viele eine Solaranlage auf dem Dach. Diese bürgerschaftliche Energie-Wirtschaft entspricht voll dem Wertefundament der Unionsparteien. Das ist die Hauptkritik an meiner Partei, der Union, dass gerade hier die Bremser sitzen.

ne: Nochmals mit Blick auf das EEG – wie lautet Ihr Fazit?

Göppel: Wenn Frau Merkel bis zur Bundestagswahl ihr Amt ausüben möchte, dann muss sie diesen Knoten durchschlagen. Sie kann sich nicht in Davos hinstellen und eine flammende Rede für den Klimaschutz halten und daheim den Gegnern eines zentralen Projekts ihrer Regierungszeit die Häupter erheben lassen. 

ne: Was erwarten Sie demnach vom Bund-Länder-Treffen am 12. März?

Göppel: Eine Vereinbarung zur vollständigen Umsetzung der europäischen Energierichtlinie vor der Sommerpause 2020. Und wie gesagt eine Lösung für die Solar- und Windenergie.

ne: Reicht die innenpolitische Macht von Frau Merkel für ein Durchregieren immer noch aus? Kann sie, vielleicht sogar über Herrn Altmaier hinweg, direkt auf die zuständigen Ministerialbeamten einwirken?

Göppel: Das ist oft genug passiert und entspricht in diesem Fall ja auch den politischen Grundsatzerklärungen zum Klimaschutz. Wenn das nicht geschieht, werden die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl die Union überflügeln. 

ne: Sie sind ein passionierter Klimaschützer. Wären Sie wirklich traurig darüber, wenn die Union überflügelt und die Grünen die Energiewende schneller voranbringen würden?

Göppel: Ich bin als junger Förster 1970 in die CSU eingetreten. In den 50 Jahren habe ich immer wieder gespürt, dass Parteimitgliedschaften keine Liebesheiraten sind. Das Wertefundament der Unionsparteien halte ich für gut und mehrheitsfähig. Wenn aber die jeweils aktuell Handelnden elementare Zukunftsfragen nicht glaubwürdig anpacken, dann kommt eben Konkurrenz hoch. Es gibt kein Vakuum in der Politik. Darüber kann ich dann nicht traurig sein.

Eine kürzere Fassung des Interviews ist in der Ausgabe 03/2020 von neue energie erschienen.


Josef Göppel
saß von 2002 bis 2017 für die CSU im Bundestag. Von 2005 bis 2014 war er Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Seit 2017 ist er Energiebeauftragter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für Afrika.

 

Kommentare (1)

Kommentar verfassen»
  • 13.03.20 - 16:17, Raimund Kamm

    Josef Göppel hat so recht.
    Wenn von den CD/CSU Abgeordneten Bareiß, Koeppen, Linnemann, Nüßlein, Pfeiffer, … weiter der Klimaschutz blockiert wird, und weder der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus noch die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Energiewende durchsetzen können, brauchen wir eine neue Regierung.

    Raimund Kamm

Kommentar verfassen

Anzeige
Anzeige