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Kolumne

Hurra, das Öl ist billig

Volker Quaschning, 09.02.15
Ganz zu Beginn dieser Kolumne muss ich gestehen, dass ich in Sachen Ölpreisentwicklung kein guter Ratgeber bin. Im Jahr 2002 schloss ich mit einem guten Bekannten bei einem Besuch der spanischen Solarforschungseinrichtung in Almería eine Wette hinsichtlich der Ölpreisentwicklung ab.

Er setzte auf einen Anstieg der Ölpreise innerhalb von zwei Jahren auf 50 Dollar pro Barrel. Angesichts der Tatsache, dass der Ölpreis damals bei 25 Dollar lag und dass er sich seit den Ölkrisen der 1980er Jahre im Jahresmittel sogar meist deutlich darunter befand, war das durchaus eine gewagte These. Ich setzte dagegen und hoffte, die Wette zu verlieren. Eigentlich sollte sich jeder über steigende Ölpreise freuen. Als Konkurrent der regenerativen Energien und als Klimakiller Nummer zwei nach der Kohle ist der fossile Leitenergieträger Erdöl auch Ursache vieler Probleme unserer Erde. Natürlich schmerzen einen hohe Ölpreise als Autofahrer auch im eigenen Geldbeutel. Wer aber Wert auf ein nachhaltiges Leben legt, empfindet das als gerechte Strafe für einen Lebensstil auf Kosten künftiger Generationen.

Ein Durchschnitts-PKW in Deutschland verursacht bei der Verbrennung von Benzin und Diesel allein rund zwei Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid pro Jahr und damit mehr als ein Einwohner Indiens insgesamt. Die Ölförderung verursacht in regelmäßigen Abständen gigantische Umweltkatastrophen, und für den Zugriff auf die knapper werdenden Ölvorräte mussten bereits Zigtausende Menschen in Kriegen ihr Leben lassen. Wie ein Junkie hängen wir am Öltropf, kennen die negativen Folgen unserer Sucht und kommen doch nicht davon los. Nur ein hoher Ölpreis kann diese Sucht beenden.

Genau zwei Jahre nach unserer Wette lag der Ölpreis bei über 49 Dollar, wenige Wochen später überschritt er tatsächlich die 50-Dollar-Marke. Auch wenn ich formal die Wette nicht verloren hatte, fühlte ich mich nicht als Gewinner. Eine Verdopplung des Ölpreises innerhalb von zwei Jahren hatte ich mir seinerzeit nicht annähernd vorstellen können. Als Konsequenz einigten wir uns hinsichtlich der Wette auf Unentschieden. Bis Mitte des Jahres 2008 hatte sich der Ölpreis im Vergleich zu 2002 mit 145 Dollar pro Barrel fast versechsfacht. Einige Experten rechneten damals sogar mit einem Anstieg auf über 200 Dollar.

Statt konsequent auf Energiesparen und erneuerbare Energien zu setzen, wurde seinerzeit ernsthaft eine staatliche Stützung des Ölpreises diskutiert. Bevor es dazu kam, beendete die Weltwirtschaftskrise jedoch das Preiskarussell. Dennoch brachte diese Hochpreisphase die erneuerbaren Energien als Alternative weit voran und legte möglicherweise sogar mit die Wurzeln für
den folgenden Photovoltaikboom. Für unsere netzgekoppelten Windkraft- und Photovoltaikanlagen ist Erdöl kein wichtiger Konkurrent. Hier gilt es eher, die Kohle zu besiegen. Ölkraftwerke sind zumindest in Deutschland unbedeutend.

Die Folge eines gigantischen Spiels

Bei kleinen Inselnetzanlagen und im Wärmebereich dominiert hingegen weltweit momentan noch meist das Erdöl. Und hier hat es mit den stark gesunkenen Kosten der Photovoltaik in den letzten drei Jahren durchaus eine bemerkenswerte Trendwende gegeben. Bei einem Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel mit leichten Schwankungen zwischen 2011 und Mitte 2014 konnte die Photovoltaik im Bereich Stromerzeugung mehr als gleichziehen. 100 Dollar pro Barrel bedeuten rund 63 Cent pro Liter oder mehr als sechs Cent pro Kilowattstunde Heizwärme. Nun muss das Rohöl noch zu Diesel verarbeitet und vor Ort gebracht werden. Der Wirkungsgrad von Dieselgeneratoren liegt je nach Leistung und Generatorqualität zwischen zehn und 40 Prozent. Damit bewegen sich dann allein die Brennstoffkosten für eine Kilowattstunde Dieselgeneratorstrom zwischen 20 und 80 Cent. Ein Bereich, den Photovoltaik- und Windkraftanlagen inzwischen weltweit spielend erreichen und dabei nicht nur sich selbst, sondern in vielen Fällen auch noch einen Batteriespeicher mitfinanzieren können.

Das vollständige Aufrollen des Offgrid-Marktes durch erneuerbare Energien war damit nur noch eine Frage der Zeit. Von Mitte 2014 bis Anfang dieses Jahres ist der Ölpreis allerdings unter 50 Dollar pro Barrel gefallen. Die klaren wirtschaftlichen Vorteile von regenerativen Inselnetzsystemen sind damit in vielen Gebieten passé. Verharrt der Preis länger auf diesem Niveau, werden viele Erneuerbaren-Projekte im Off-Grid-Bereich stark unter Druck geraten. Auch für andere Unternehmen aus der regenerativen Energiebranche und Hersteller von Elektromobilen dürfte die Geschäftssituation schwieriger werden. Durch den niedrigen Ölpreis steigt außerdem auch die Nachfrage, und das ist nicht gut für den Klimaschutz.

Nun sind Preisstürze beim Erdöl kein singuläres Ereignis. In der zweiten Jahreshälfte 2008 fiel der Ölpreis von 145 Dollar auf gerade einmal noch 40 Dollar. Damals trieb aber die Weltwirtschaftskrise den Ölpreis nach unten und mit der wirtschaftlichen Gesundung zog der Ölpreis rasch wieder an. Heute stottert zwar die Weltwirtschaft, sie befindet sich aber nicht in einer ernsten globalen Krise wie 2008. Für den aktuellen massiven Preissturz gibt es noch andere Ursachen. Die traditionellen Ölförderländer wollen die neue Konkurrenz in Nordamerika aus dem Markt drängen und die Ölgiganten fürchten den endgültigen Siegeszug der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität. Spekulanten wittern das Geschäft und verstärken wieder einmal die Kursbewegungen. Halbiert und verdoppelt sich der Ölpreis in kurzer Zeit, gibt es als Folge ein paar neue Milliardäre mehr auf der Erde.

Insofern ist der Absturz des jetzigen Ölpreises eher die Folge eines gigantischen Spiels, bei dem nicht ganz klar ist, wer am Ende die Gewinner sein werden. Amerika profitiert beispielsweise auf der einen Seite von den niedrigen Ölpreisen, da ungeliebte Regierungen wie im Iran oder Russland hart getroffen werden und die Aufwendungen für Ölimporte sinken. Auf der anderen Seite gehören die USA immer noch zu den drei größten ölproduzierenden Ländern der Erde. Unterstützt durch die hohen Ölpreise haben die USA in den letzten Jahren eine neue Strategie zur Sicherung der Energierohstoffversorgung entwickelt. Diese lautet: „Drill baby, drill.“. Während George W. Bush das Problem noch militärisch lösen wollte, wird die Ölversorgung mittlerweile wieder verstärkt durch eigene Bohrungen gedeckt. Bei Preisen von 100 Dollar rechnen sich auch die Erschließung unkonventioneller Vorkommen wie Ölsande und neue Fördermethoden wie Fracking.

Andere Ölstaaten werden Russland folgen

In den vergangenen Jahren wurden dreistellige Milliardenbeträge ohne Rücksicht auf die Umwelt in amerikanische Erdlöcher investiert. Bei den heutigen Ölpreisen entwickeln sich aber viele der jüngsten Investitionen zum finanziellen Desaster. Erste Unternehmen mussten bereits dicht machen. Damit trifft der niedrige Ölpreis auch massiv amerikanische Unternehmen und Investoren. Die großen Ölkonzerne chartern inzwischen zunehmend Supertanker, um einen Teil ihrer Vorräte auf hoher See über die Niedrigpreisphase zu bringen. Sehr lange kann diese Strategie nicht aufgehen. So könnten die traditionellen Ölförderländer tatsächlich einen Teil der ungeliebten Konkurrenz in Nordamerika loswerden. Viele ölexportierende Länder haben aber ihre Staatshaushalte auf Ölpreise oberhalb von 80 Dollar ausgelegt.

In Russland herrscht bereits die größte Wirtschaftskrise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Andere Ölstaaten werden folgen. Die importabhängigen Länder profitieren erst einmal von der Entwicklung, wenn ihre Wirtschaft nicht wie in Deutschland wiederum von Geschäften mit Ölförderländern abhängig ist, die immer weniger Geld für ihre Einkaufstouren haben. Vieles spricht also dafür, dass kaum jemand Interesse an einer lang anhaltenden Niedrigpreisphase haben dürfte und diese schon in absehbarer Zeit vorüber ist. Früher oder später werden die Ölpreise letztendlich wieder spürbar anziehen. Die Vorkommen, die bei den niedrigen aktuellen Preisen wirtschaftlich erschließbar sind, können längerfristig den Bedarf nicht decken.

Jede Woche, die der Ölpreis im Keller verharrt, hilft aber Vertrauen und Geschäftsmodelle von unkonventionellen Ölfördervorhaben zu zerstören und damit den Umstieg auf klimaverträgliche Alternativen zu beschleunigen. Je länger die Niedrigpreisphase dauert, desto größere Auswirkungen wird das also auf die Erschließung von teuren und unkonventionellen Vorkommen haben. Wer sich einmal bei diesen Geschäften die Finger verbrannt hat, wird erst wieder bei deutlich höheren Renditechancen einsteigen. Höhere Renditen bedeuten aber auch höhere Preise. Beim nächsten Anstieg könnte der Ölpreis damit spürbar über das Niveau von 100 Dollar klettern. Die psychologischen Effekte davon sollte man nicht unterschätzen. Der Mensch gewöhnt sich schnell an Überfluss und niedrige Preise. Sinkt der Ölpreis von 100 auf 45 Dollar und schnellt dann wieder auf 150 Dollar nach oben, ist die Wirkung eine ganz andere, als wenn der Ölpreis lediglich ganz langsam von 100 auf 150 Dollar steigt.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der nächste Ölpreisanstieg dann tatsächlich den erneuerbaren Energien und der Elektromobilität zum endgültigen Durchbruch verhilft. Nur so kann es uns gelingen, einen Teil der Ölvorkommen im Boden zu lassen und somit nicht das Klima zu ruinieren. Die erneuerbaren Energien müssen nun die Zeit nutzen und sich für das Nachölzeitalter in Stellung bringen. Ich habe mich entschieden. Ich finde den Absturz des Ölpreises erst einmal gut. Nun muss er möglichst bald wieder neue Rekordstände erreichen. Auf einen lange anhaltenden niedrigen Ölpreis würde ich diesmal keinen Cent wetten.

Dieser Artikel ist auch in der Ausgabe 2/2015 von neue energie erschienen.

Zur Person: Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und Autor mehrerer Fachbücher zum Thema erneuerbare Energien und Klimaschutz. Seine Internetseite finden Sie unter diesem Link.

Kommentare (1)

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  • 19.03.15 - 00:59, Richard Meyer

    Lieber Volker,

    danke für die Würdigung und Dokumentation unserer Wette damals. Auch weil wir teils Offgrid-Projekte beraten, die gerade wegen der gesunkenen Ölpreise mit Investition in PV zögern, hab ich mir die letzten Wochen und Monate sehr ähnliche Gedanken.

    Ich kam ebenfalls zum Schluss: ein Vorteil des gerade stattfindenden Preiskriegs ist, nach der massenweisen Geldvernichtung im Shale Oil Sektor an der Wallstreet, wird die nächste Investionsrunde in fossile Energieträger sehr viel höhere Aufschläge brauchen, um an Geld zu kommen. Somit werden weitere Investitionen in Fossile hoffentlich sehr viel höhere Finanzierungskosten haben. Auch hege ich die Hoffnung, mit dem Niedergang der Shale Oil Industrie in USA geht auch bald der Spuk des billigen Shale Gas in USA vorbei. Wenn aus dem Ölgeschäft nicht mehr gut quer zu finanzieren, tun sich die Gasförderungen auch schwerer.

    Auch hab ich wahrgenommen, die Exploration in schottisches Nordseeöl stockt nun. Ähnlich wird es an vielen anderen Stellen sein, wo die Förderkosten relativ hoch sind. Somit ist der nächste Zacken vorprogrammiert.

    Somit packe ich mal wieder meine Glaskugel aus und postuliere nun noch aggressiver nicht in 2 a sonder nur 1/2 a werden wir wieder eine Verdopplung des Ölpreis sehen. Lässt Du Dich nochmal auf eine Wette ein?

    ‘Zacken' dürfte dann vermutlich auch fürs nächste Ölpreismaximum zutreffen. Denn weiterer Vorteil für Klima und Erneuerbare ist, einige Staaten, die bisher Öl stark subventionierten, nutzen den aktuellen Preisrückgang, um die Subventionen zu reduzieren. Somit dürfte der Markt für Erneuerbare mit dem nächsten Ölpreisanstieg noch breiter werden. Somit mehr Preisdämpungseffekt als bisher zu erwarten. Insofern sind Erneuerbare auch ökonomisch-sozialer Segen. Energiekosten steigen dadurch nicht ins Unermessliche. Die drastischen Konsequenzen, die mit Energiearmut einhergehen, werden gelindert.

    Herzlich,
    Richard
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