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Interview

„Die Versuchung, auf China zu verweisen, ist groß“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 11.02.19
... sagt Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Plattform in Berlin. Der Schlüssel zu einer schnellen und erfolgreichen Energiewende liegt für die Politikprofessorin aber stattdessen darin, die Bürger an allen wichtigen Entwicklungsprozessen teilhaben zu lassen.

neue energie: Frau Schwan, Sie leiten seit mehr als 15 Jahren Diskussionsforen zur Transformation des deutschen Energiesystems und haben die Energie-Trialoge ins Leben gerufen*. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Energiewende?

Gesine Schwan: Noch sind wir längst nicht auf einem so guten Weg, wie es die Klimaerwärmung verlangt. Aber ich denke, die politischen Akteure haben inzwischen begriffen, dass der Übergang genauer durchdacht und auch strategisch besser umgesetzt werden muss. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben sich lange Zeit immer wieder darauf berufen: Das koste viele Arbeitsplätze, man brauche Zeit für den Ausstieg. Und die Vorreiter des Wandels, die Grünen, haben zwar gute Argumente für die Energiewende vorgebracht, haben sich aber zu wenig um die sozialen Kosten des Ausstiegs gekümmert. Ich hoffe, alle haben jetzt verstanden, dass sie sich für eine ganzheitliche Strategie des Umstiegs einsetzen müssen.


* Die Energie-Trialoge sind eine Diskussionsreihe, in der Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammenkommen, um sich über Problempunkte bei der Transformation des deutschen Energiesystems auszutauschen und gemeinsame Lösungsszenarien dafür zu entwerfen.


ne: Was gehört Ihrer Ansicht nach zu dieser ‚ganzheitlichen Strategie‘?

Schwan: Um die Dinge koordiniert anzugehen, brauchen wir zwar eine zentrale politische Ebene, von der aus das Ganze gesteuert wird. Aber ich glaube, dass man zugleich der kommunalen oder lokalen Ebene sehr viel mehr finanzielle und auch rechtliche Kompetenzen geben muss. Meiner Beobachtung nach finden die wirklich kreativen, neu ausprobierten Lösungsansätze dort statt. Denn dort zeigen sich auch die Probleme am deutlichsten. Nehmen Sie zum Beispiel die Elektroauto-Kommission, die es seit Jahren gibt. Die hatte nie wirklich Druck im Nacken. Also haben sich die verschiedenen Interessensvertreter, etwa der Autoindustrie und der Regierung, gegenseitig blockiert, und es ist nicht viel passiert. Den Kommunen brennt die Notwendigkeit einer neuen Mobilitätsstrategie dagegen unter den Nägeln, weil sie Probleme wie Staus oder Luftverschmutzung jeden Tag spüren.

ne: Und wie sollen die Kommunen zu den passenden Lösungskonzepten kommen?

Schwan: Ich plädiere sehr dafür, dass man für die Entwicklung der Energiewende in den Kommunen beratende Gremien einrichtet, die der politischen Verwaltung und dem Bürgermeister Hilfestellung geben können, beispielsweise in Fragen des Energiesparens, des Klimaschutzes oder eben der Elektromobilität.

ne: Wer sollte in diesen Gremien sitzen?

Schwan: Dort müssten neben der Politik auch Unternehmen, die organisierte Zivilgesellschaft und, wenn möglich, auch die Wissenschaft vertreten sein. Ich habe schon eine ganze Reihe solcher Diskussionsrunden im Rahmen der ‚Energie-Trialoge‘ geleitet. Und es hat sich immer wieder gezeigt, dass in dieser Konstellation sehr viel Gutes und Kreatives zusammenkommt.

ne: Inwiefern?

Schwan: Wenn die Interessen und Perspektiven nicht nur unterschiedlich, sondern so konträr sind, wie in dieser Konstellation zum Teil der Fall, entsteht eine Transparenz, die nicht entstehen würde, wenn nur Politik und Wirtschaft zusammenkommen. Traditionell haben Unternehmen oft noch nicht begriffen, dass ihnen die von ihnen eingeforderten berühmten ‚Rahmenbedingungen’, innerhalb derer sie agieren und investieren, nicht einfach so von der Politik geschenkt werden können, sondern dass sie dafür auch Verantwortung übernehmen müssen. Ich hatte den Eindruck, dass die Energie-Trialoge das vielen Unternehmensvertretern einsichtig gemacht haben.

ne: Sind diesen Einsichten dann auch konkrete Handlungen gefolgt?

Schwan: Kommt darauf an, was man als Handlung bezeichnet. Die meisten Vertreter der großen, etablierten Unternehmen stehen der Idee des Trialogs zunächst sehr distanziert gegenüber. Denn es ist natürlich erstmal unangenehm, sich der Kontroverse auszusetzen etwa mit Organisationen wie Greenpeace. Das höhere Management ist nicht gewohnt zu argumentieren, es ist gewohnt anzuordnen. Hinter dieser Haltung steckt oft eine Ambivalenz zwischen ‚Habe ich doch nicht nötig‘ und nicht ausgesprochenem ‚Traue ich mir auch nicht zu‘ – eine schwierige Kombination. Aber wenn die Teilnehmer dann sehen, dass trotz aller Differenzen eine konstruktive Atmosphäre entsteht, in der es tatsächlich möglich ist, in relativ kurzer Zeit Lösungsszenarien für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu entwerfen, dann ändern sie häufig ihre Meinung. Der Geschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft beispielsweise war anfangs sehr skeptisch. Später hat er dann seinerseits angefangen, in seinem Verband für solche Diskussionsforen zu werben und die Idee auch weiterzutragen.

ne: Bei allen Verständigungschancen – besonders rasche Fortschritte bei der Energiewende versprechen solche Diskussionsrunden nicht. Sehen Sie eine Möglichkeit, noch mehr Dynamik in den Wandlungsprozess zu bringen, oder braucht es dafür Katastrophen wie etwa das Reaktorunglück von Fukushima? Danach war der Atomausstieg sehr schnell beschlossene Sache…

Schwan: Na ja, das Problem ist, dass Krisen zwar immer erst mal Aktionen auslösen, und dabei auch Verkantungen im System auflösen können. Aber die konkrete positive Umsetzung einer Strategie ist erfahrungsgemäß viel schwieriger, weil man dazu doch wieder Verständigungsprozesse braucht. Sobald die akute Krise vorbei ist, kommen die alten Mechanismen der Lobby-Widerstände in Gang und alles wird erneut blockiert. Nach Fukushima haben mir einige Unternehmer vollmundig prophezeit, dass der Ausstieg aus der Atomkraft in zwei Jahren wieder vorbei sein werde. Das heißt, auch nach einer Krise bleiben Abstimmungsprozesse ständig notwendig, sonst drohen Backlashes. Nicht zuletzt deswegen machen wir die Trialoge, um im vorstaatlichen Raum, im Vorentscheidungsraum, solche Verständigungsprozesse und Lösungsmöglichkeiten anzuschieben.

ne: Aber über die Trialoge erreichen Sie ja nur einen sehr kleinen Expertenkreis, nicht die breite Öffentlichkeit, die für einen grundlegenden Systemwandel wie die Energiewende sicher ebenfalls mit ins Boot geholt werden muss.

Schwan: Das ist richtig. Aber die Personen, die anwesend sind, können als Multiplikatoren fungieren. Um die breite Öffentlichkeit zu erreichen, ist gleichzeitig eine Emotionalisierung nötig. Dazu tragen beispielsweise die NGOs bei, die an den Diskussionen teilnehmen. Als Moderatorin der Trialoge weiß ich, dass dabei eine sehr positive Atmosphäre der Kooperation entstehen kann. Ich habe schon erlebt, dass mancher knallharte Lobbyist hinterher ziemlich erschreckt war, welch weitreichende Zugeständnisse er in dieser Atmosphäre gemacht hat.

ne: Und hat das in Praxis irgendwo Wirkung gezeigt?

Schwan: Dafür kann ich Ihnen keine Belege liefern. Aber wir haben zum Beispiel in einem anderen Kontext, in der Politikwissenschaft, Studien gemacht, ob und wie sich Diskussionen an der Universität zum Klimawandel oder auch zur Sicherheitspolitik 20 Jahre später auswirken, wenn die, die da ausgebildet worden sind, selbst Akteure auf Konferenzen oder in Aushandlungsprozessen sind. Und da wirken sich tatsächlich Identifikationen aus der Studienzeit aus. Die Leute wollen das, was sie als junge Menschen in diesen Foren für gut befunden haben, dann auch umsetzen.

ne: Aber wenn die Effekte erst nach 20 Jahren eintreten, ist das für den Klimaschutz ein bisschen spät….

Schwan: Das ist schon richtig. Beim Klimawandel sind wir sehr viel mehr unter Druck, da müssen wir schneller handeln. Meiner Beobachtung nach haben vor allem junge Menschen das auch erkannt und sorgen für mehr Schub.

ne: Gerade Jugendliche scheinen aber auch zunehmend frustriert darüber, dass wir beim Klimaschutz nur so langsam vorankommen. In einer Diskussion mit Achtklässlern wurde uns kürzlich China als leuchtendes Vorbild genannt, nach dem Motto: ‚Die reden nicht nur, die tun auch was.‘

Schwan: Über solche Argumentationen muss man sich meiner Ansicht nach nicht erschrecken. Die Versuchung, auf China zu verweisen, wenn etwas bei uns nicht so klappt, ist groß, nicht nur bei Achtklässlern. Auch viele Unternehmer machen das, zum Beispiel beim Transrapid. Da heißt es dann: Guck mal, da geht es ruckzuck, der Transrapid fährt und bei uns läuft nichts. Aber das ist ja nur die halbe Wahrheit. In China haben wir keine öffentliche Meinungsfreiheit. Wir wissen daher nicht genau, was dort passiert, wo überall Dinge stocken oder im Argen liegen. Mein Eindruck war immer: Chinesische politische Verantwortungsträger haben eine Heidenangst, dass ihre Gesellschaft keineswegs so effizient funktioniert wie vorgegeben, sondern voller brisanter Konflikte steckt, die nicht wirklich bewältigt werden. Bei genauem Hinsehen ist also fraglich, ob es auf dem chinesischen Weg wirklich dauerhaft schneller vorangeht, oder ob es dort nicht irgendwann einen furchtbaren Rückschlag gibt.

ne: Sie glauben also, dass wir mit unserer Demokratie beim Klimaschutz letztendlich weiter kommen?

Schwan: Ja, uns bleibt nichts anderes übrig, als uns der Realität zu stellen und zu sagen, wir wollen das so schnell wie möglich, aber es ist eben nicht leicht, mehrere Milliarden Menschen unter einen Hut zu bringen. Deswegen plädiere ich so sehr dafür, auf der lokalen Ebene Beratungsgremien mit verschiedenen Gesellschaftsgruppen einzurichten, damit alle ein Gespür für Logik und Positionen des anderen bekommen. Mir ist bewusst, dass manche mich wegen dieser Herangehensweise für eine unverbesserliche Optimistin halten. Aber ich halte es da mit dem Philosophen Immanuel Kant, den ich sehr schätze. Er hat gesagt, die Geschichte an sich zeigt keinen Fortschritt, aber wenn wir Fortschritt wollen, dann finden wir stützende Anhaltspunkte dafür in der Geschichte. Genau so ist das für mich. Ich will, dass wir hier mit der Erde nicht untergehen, also muss man alles sammeln, was diese Position unterstützt.

ne: ‚Stützendes für den Klimaschutz sammeln‘ – das klingt recht vage. Derweil reißt Deutschland seine Klimaziele für 2020 und Experten äußern hinter vorgehaltener Hand bereits Zweifel, ob die Ziele für 2030 zu halten sein werden. Gibt es keinen Hebel, der uns tatsächlich schnell ein Stück voranbringen könnte?

Schwan: Nein, es gibt nicht diesen einen Hebel. Dagegen steht schon die Grundeinsicht, dass Regierungsvertreter immer versucht sind, Argumente vorzutragen, die sie in die geschützte Zone bringen, sodass sie möglichst nicht viele Risiken eingehen müssen. Ich glaube deshalb, dass wir nur vorankommen, wenn wir überall öffentlichen Druck ausüben, indem wir sagen: Es gibt Handlungsmöglichkeiten. Tut nicht so, als gäbe es sie nicht! Versteckt euch nicht dahinter!

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Das komplette Gespräch ist in der Ausgabe 02/2019 von neue energie erschienen.


Gesine Schwan
ist Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Plattform in Berlin und hat in diesem Rahmen sogenannte Trialoge ins Leben gerufen, Diskussionsforen zu verschiedenen gesellschaftlich wichtigen Themen, wie etwa der Energiewende. Zuvor war die Politikprofessorin Präsidentin der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder). Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist Gesine Schwan auch politisch engagiert. Seit den 1970er Jahren ist sie Mitglied der Sozialdemokraten, war zweimal Kandidatin ihrer Partei für das Amt der Bundespräsidentin und leitet seit 2014 die Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD.

 

Kommentare (1)

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  • 07.04.19 - 14:48, Dorothea Dietz

    Diese Art des kostruktiven kritischen und kreativen Meinungsaustausches findet meine volle Zustimmung und ist sicher notwendig um die komplexen Problem unserer Gesellschaft und der Umwelt besser zu verstehen und zu lösen.
    Schade, daß es das nicht in Italien gibt, wo ich lebe und mich an der Lösung eines ökologischen Problems engagiere.

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