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Story des Monats

Leise rollende Revolution

Katja Dombrowski, 04.12.14
In Chinas Städten sind E-Skooter mittlerweile eines der beliebtesten Verkehrsmittel, bei uns fahren bisher nur wenige urbane Trendsetter solch ein Zweirad. Doch der Markt wächst rasant. Ganz neu in Europa: ein hochwertiger Elektroroller aus Japan.

Die Revolution rollt leise heran, beinahe lautlos. Sie kommt aus dem Fernen Osten. Und was in China bereits die Massen bewegt, nimmt bei uns erst ganz langsam Fahrt auf. Millionen Elektroroller werden jedes Jahr in China verkauft, 98 Prozent des Weltabsatzes. Der Boom nahm vor rund zehn Jahren seinen Anfang. Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen bereits 150 Millionen der umweltfreundlichen Skooter im Land der Superlative unterwegs sind. Verlässliche Zahlen gibt es allerdings nicht.

Ein paar Millionen mehr oder weniger - eines ist klar: Die E-Skooter haben auf leisen Reifen Chinas verpestete, verstopfte Metropolen erobert und ihre stinkenden und knatternden Vorfahren verdrängt. Ihren Erfolg verdanken sie nicht zuletzt einem Druckmittel des Staats: Zweiräder mit Verbrennungsmotor sind in zahlreichen Großstädten und Ballungsräumen verboten. Verkaufsfördernd wirkt auch der Preis: Manche Modelle sind schon für weniger als 300 Euro zu haben, und bei den Kilometerkosten schlugen sie in einer Studie vor einigen Jahren nicht nur Benzinroller, sondern auch öffentliche Busse in den untersuchten Städten.

Den Weltmarkt kontrollieren die chinesischen E-Skooter jedoch bisher nicht: Mangelhafte Qualität sowie Probleme bei der Wartung und der Verfügbarkeit von Ersatzteilen verhindern den Massenabsatz im Ausland. Während China für Quantität und Niedrigpreise steht, setzt sein Hightech-Nachbar Japan auf Qualität und Innovationen. Mit diesen Wettbewerbsvorteilen will der japanische Marktführer für elektrische Zwei- und Dreiräder, Terra Motors, die Märkte Asiens und der Welt erobern. Zu den Anteilseignern der 2010 gegründeten Firma, die bereits Tochterunternehmen und Produktionsstätten in Vietnam und auf den Philippinen hat, gehören japanische New-Economy-Größen wie Koichiro Tsujino und Kenji Yamamoto, die ehemaligen Chefs von Google Japan beziehungsweise Apple Japan. Kapital scheint kein großes Problem zu sein.

Daten direkt auf dem Smartphone

Ganz neu ist Terras E-Skooter A4000i jetzt in Europa. Die Marktzulassung für die Europäische Union haben die Japaner eigenen Angaben zufolge im Oktober erhalten und wollen den hiesigen Markt nun von Italien aus aufrollen. In dem traditionellen Roller-Land kann der A4000i seit November über Terras Kooperationspartner, die Turiner Zuliefererfirma Spesso, bestellt werden. Die Auslieferung ist ab März vorgesehen. Ebenfalls im November präsentierte sich der Roller auf der Motorradmesse EICMA in Mailand – auf der Suche nach weiteren Vertriebspartnern in Europa. Auch Produktionsstätten sollen auf dem alten Kontinent entstehen.

Der A4000i, der für 4500 bis 5500 Euro in modernem japanischem Design und mit Smartphone-Verbindung daherkommt, soll nach Angaben von Terras PR-Manager Tetsuya Ohashi vor allem trendbewusste Männer zwischen dreißig und fünfzig Jahren ansprechen. „Menschen, die Outdoor-Sport lieben und ökologische Produkte kaufen möchten", nennt er ebenfalls als Zielgruppe. Als Alleinstellungsmerkmal hebt Tetsuya Ohashi die Verbindung mit dem iPhone hervor. Energieverbrauch, Ladezustand und weitere Daten wie Fahrtdauer und Geschwindigkeit können darüber angezeigt und gespeichert werden. Später soll das auch für Android-Smartphones möglich sein.

Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde fällt der E-Skooter in die Klasse der Kleinkrafträder, die in Deutschland mit dem Autoführerschein und dem Führerschein Klasse M gefahren werden dürfen. Die Reichweite des Stadtfahrzeugs gibt Terra mit sechzig Kilometern an. Danach braucht die Batterie etwa 4,5 Stunden, bis sie wieder vollständig geladen ist. Eine Elektrotankstelle erübrigt sich, der herausnehmbare Akku kann an jeder herkömmlichen Steckdose geladen werden. Das schafft Flexibilität und sorgt für eine bessere Akku-Leistung im Winter, indem der Ladevorgang in geheizten Räumen stattfinden kann. Die Lebensdauer der Batterie wird mit etwa 50000 Kilometern angegeben.

Pioniere sind die Japaner mit ihrem E-Skooter in Europa allerdings bei weitem nicht. Auf dem Markt sind bereits seit mehreren Jahren eine ganze Reihe Modelle mit ähnlichen Merkmalen (siehe Tabelle), inklusive hochwertigen technischen Features wie Lithium-Ionen-Akkus, Rekuperation, also Energierückgewinnung beim Bremsen, und Scheibenbremsen, mit denen sich Terra explizit von chinesischen Herstellern absetzen will. Viele europäische Firmen produzieren Komponenten oder auch die ganzen Fahrzeuge in China, während Terra mit made in Japan wirbt.

 

Einen Konkurrenten, der dem A4000i besonders ähnlich ist, wird es bald nicht mehr geben: Peugeot stellt die Produktion seines E-Vivacity, seit 2011 auf dem Markt, im kommenden Jahr wegen sinkender Absatzzahlen ein. Da auch die Benzinroller des traditionsreichen Motorradproduzenten unter starken Umsatzeinbrüchen leiden, will Peugeot die Mehrheit seiner Motorrollersparte an die indische Mahindra & Mahindra-Gruppe verkaufen; die Verhandlungen laufen derzeit. Der E-Vivacity wird dann möglicherweise vom Genze abgelöst, einem E-Skooter, den Mahindra seit kurzem im Programm hat. Er wird zunächst in den USA gebaut und verkauft. In Zukunft soll der Genze auch mit Smartphone-Verbindung erhältlich sein.

Die meisten Elektroroller in Europa verkauft eigenen Angaben zufolge die aus Hongkong stammende und in Australien börsennotierte Firma Vmoto, die ihre europäische Zentrale in Spanien hat und seit 2001 in rund dreißig Ländern weltweit E-Skooter vertreibt. Zu den Modellen von Vmoto gehört seit 2010 auch der E-max, ein Pionier unter den europäischen E-Skootern, von einer kleinen bayerischen Firma entwickelt und schon seit 2007 in Deutschland erhältlich.

Heute werden die E-max-Modelle in Deutschland und Österreich von etropolis vertrieben. Die Marke ist Teil von SiG Solar, einer deutschen Vertriebsfirma für Photovoltaik mit Sitz in Stuhr bei Bremen. Etropolis ist mit drei eigenen E-Roller-Modellen in einem guten Dutzend europäischer Länder vertreten. Hergestellt werden die schicken Stromer, die sich – wie die meisten ihrer Klasse – an eine junge Zielgruppe wenden und mit Fahrspaß werben, vom Partner Vmoto in China.

Die deutsche Marktführerschaft reklamiert inzwischen die Firma emco electroroller aus dem niedersächsischen Lingen für sich. Sie ist seit 2011 am Markt und bietet nach eigenen Angaben mit sechs Modellen von 1,5 bis fünf Kilowatt (KW) Motorleistung und Höchstgeschwindigkeiten von zwanzig bis 82 Kilometern pro Stunde hierzulande das größte Elektroroller-Angebot. Das Unternehmen, eine Tochter der emco group Lingen, setzt ihre Skooter auch in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Italien und der Türkei ab.

Deutscher Retrotrend

Neben weiteren deutschen Anbietern wie Haug&Luithle mit der Marke InnoScooter, Govecs und Trinity electric vehicles kommt Konkurrenz unter anderem aus der Schweiz mit der 2012 gegründeten E-Move Motors Store, aus Italien mit Ecomission, deren noch ziemlich neuer EcoJumbo in der 90-Stundenkilometer-Version Firmenangaben zufolge bereits der meistverkaufte E-Roller in Italien ist, und aus den Niederlanden mit der Firma Ebretti, die seit 2008 E-Roller entwickelt und auch einen Sitz in Deutschland hat.

Die E-Skooter-Welle rollt also. Bei den Neuentwicklungen aus Deutschland fällt in Sachen Design ein Retrotrend auf: Viele Roller erinnern optisch an die Vespas der fünfziger und sechziger Jahre. Offenbar sollen sie das Gefühl von Sonne und Freiheit vermitteln, das ganze Generationen deutscher Italien-Urlauber mit dem Kultroller verbinden. Ein Beispiel dafür ist der Unu, den zwei Mainzer Mittzwanziger entwickelt haben. Die Idee dafür haben sie aus ihrem Studium in China beziehungsweise Singapur mitgebracht. Er ist seit Juli erhältlich, kann ausschließlich übers Internet nach Wunsch konfiguriert und bestellt werden und ist mit 1699 Euro für das Basismodell preislich unschlagbar. Er hat allerdings nur ein Kilowatt Motorleistung unterm Sattel.

Auch die Etropolis-Roller erinnern an früher. Eins der drei Modelel heißt sogar Retro. Und die Kumpan-electric-Roller der Firma e-bility aus Remagen, 2010 von drei Brüdern gegründet, tragen ihren Retrolook ebenfalls im Namen: Die Modelle heißen 1953, 1954 und 1955. Sie sind dabei jedoch nicht weniger innovativ als der japanische A4000i. Zusammen mit der deutschen Telekom hat e-bility ein ganz ähnliches Cloud-basiertes Feature entwickelt wie Terra und im Oktober erstmals auf der Motorradmesse Intermot vorgestellt. Beim Kumpan läuft die Kommunikation jedoch nicht über ein Smartphone, sondern über eine SIM-Karte im Roller. Daten wie der Ladezustand der Batterie und die verbleibende Reichweite werden auf dem digitalen Tachometer oder der dazugehörigen App angezeigt.

Sind Benzinroller in zehn Jahren verdrängt?

E-bility entwickelt derzeit ein neues Modell mit fünf KW Motorleistung und 85 Kilometern pro Stunde Höchstgeschwindigkeit. Und auch die Mitbewerber tüfteln weiter an neuen Lösungen für die emissionsfreie Mobilität der Zukunft. Insgesamt ist die Branche überzeugt davon, dass der Absatz steigen wird. Das Marktforschungsunternehmen Navigant Research gibt den Herstellern Recht: Es erwartet ein Wachstum des Markts für elektrische Motorräder und Roller in vielen Regionen weltweit, vor allem nach 2015. Der Forscher Christopher Cherry, Experte für E-Skooter in China, nimmt an, dass die umweltfreundlichen Stadtfahrzeuge immer populärer werden, wenn mehr Städte emissionsverursachende Verkehrsmittel stark einschränken und wenn fossiler Treibstoff teurer wird.

„Die Nachfrage nach elektrischen Motorrädern wächst schnell in Europa", heißt es in den Pressemitteilungen von Terra. Energie- und Umweltgründe seien dafür ausschlaggebend. Katharina Bürger, stellvertretende Marketingleiterin von unu, erklärt: „Es besteht ein großer Bedarf, Stadtleben von Verkehr, Emissionen und Parkplatznot zu entlasten." Elektroroller böten eine Lösung. Dafür, dass ihre Verbreitung in Europa bislang dennoch gering ist, macht sie in erster Linie den Preis verantwortlich. Die meisten E-Skooter seien rund doppelt so teuer wie vergleichbare Benzinmodelle. Der unu will diesen Wettbewerbsnachteil ausschalten. Man sehe sich mit dem aktuellen Wachstum bestätigt, teilt das Startup-Unternehmen mit. Absatzzahlen veröffentlicht es aber nicht.

Auch andere Hersteller halten sich mit Marktzahlen bedeckt. Vmoto verkauft nach eigenen Angaben in diesem Jahr weltweit etwa 8000 E-Roller. Bei den europäischen Startups dürften die Zahlen darunter liegen. E-bility-Geschäftsführer Patrik Tykesson spricht von einem  „wachsenden vierstelligen Bereich" und erklärt: „Im Hause Kumpan electric erfahren wir derzeit eine enorme Absatzsteigerung. Mittelfristig erwarten wir alleine in Deutschland einen jährlichen Absatz von 15000 Kumpanen." Er geht davon aus, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Benzinroller im Neuverkauf durch E-Roller ersetzt werden. In jedem Fall ist es bis zu einer Wiederholung der chinesischen Erfolgsgeschichte im Westen noch ein weiter Weg. Die zunehmenden Probleme urbaner Mobilität scheinen ihn aber gangbar zu machen.

 

Kommentare (1)

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  • 06.01.18 - 02:24, tiger46

    Aktueller Marktübersicher aller Elektroroller 2017 & 2018:

    https://imgur.com/a/WkWO9

    Meistverkaufte Modelle in D & A 2017:

    1. Platz: Niu N1S
    2. Platz: UNU
    3. Platz: Vmoto Super Soco

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