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Interview

„Der G20-Beschluss bleibt weit hinter unseren Erwartungen zurück“

Interview: Astrid Dähn/ Jörg-Rainer Zimmermann, 11.07.17
Grünen-Chefin Simone Peter über die Klima-Ergebnisse von Hamburg, die Rolle der USA unter Trump und die Chancen eines weiteren Gipfeltreffens im Herbst.

neue energie: Was hat der G20-Gipfel für den Klimaschutz gebracht?

Simone Peter: Zunächst ist es gut, dass sich zumindest die 19 Gipfelteilnehmer außer US-Präsident Donald Trump noch einmal zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt haben, also klar gesagt haben, sie wollen das Abkommen umsetzen. Aber es ist mit Blick auf die Chancen, die die amerikanische Volkswirtschaft insgesamt beim Klimaschutz hätte, natürlich schmerzlich, dass der Präsident der Vereinigten Staaten dem Vertrag eine Absage erteilt hat. Durch seine Haltung fühlen sich auch andere Länder dazu legitimiert, Stück für Stück von dem Vertrag abzurücken.

neue energie: Sie spielen auf die Türkei an?

Peter: Ja, wir haben schon kurz nach dem Gipfel vernommen, dass auch der türkische Präsident Erdoğan jetzt verkündet, das Parlament seines Landes werde das Abkommen wahrscheinlich nicht ratifizieren. Das sind alarmierende Signale. Wenn solche Absetzbewegungen Schule machen, dann ist das Abkommen am Ende das Papier nicht mehr wert, auf dem die Staaten ihre Unterschriften geleistet haben.

neue energie: Wie können die übrigen Staaten dem entgegenwirken?

Peter: Sie müssen jetzt zeigen, dass sie gewillt sind, die beschlossenen Maßnahmen auch umzusetzen, dass sie die riesigen Vorteile nutzen wollen, die eine grüne Wirtschaft für die Gesundheit der Menschen und die Umwelt hat. Hier bleibt der G20-Beschluss weit hinter unseren Erwartungen zurück. Er ist unkonkret, enthält viele Absichtserklärungen, aber keine Strategie, wie die Industriestaaten ab sofort den Klimaschutz voranbringen könnten. Dabei sind diese Staaten für Dreiviertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Von daher hat es mich gefreut, dass der französische Präsident Macron angekündigt hat, er werde im Herbst noch einmal zu einem Klimaschutz-Gipfel einladen. Eine solche Initiative hätte eigentlich von Frau Merkel kommen müssen.

neue energie: Und was erwarten Sie konkret von einem weiteren Klimaschutz-Treffen?

Peter: Die Industriestaaten sollten dort die Umsetzung der Ziele des Paris-Abkommens verabreden und eine Dekarbonisierungs-Strategie mit konkreten Maßnahmen festlegen. Da ist Frau Merkel, obwohl sie den G20-Gipfel ausgestaltet hat, ein sehr schlechtes Vorbild. Trotz Energiewende ging der CO2-Ausstoß in Deutschland in den letzten neun Jahren nicht zurück: Es gab keinen Kohleausstieg, der zu einer Begrenzung der CO2-Emissionen geführt hätte; keine Ambitionen, den Automobilsektor und die Landwirtschaft klimafreundlich umzustellen und keine Strategie, um den Gebäudesektor energieeffizienter zu machen. Da bleiben die Maßnahmen der Kanzlerin bisher weit hinter dem Notwendigen zurück.

neue energie: Löst Trump mit seiner Anti-Haltung Gegenreflexe aus und nützt damit letztendlich den Grünen?

Peter: Nein. Wer den Klimawandel leugnet und den Klimaschutz blockiert, nützt niemandem, sondern schadet der gesamten Gesellschaft, schadet künftigen Generationen. Wir brauchen jede und jeden an Bord, um den Klimaschutz voranzubringen. Deshalb setzen wir auch weiterhin auf die USA. Auf unserem Parteitag hatten wir einen Wissenschaftler zu Gast, der auch den kalifornischen Gouverneur Jerry Brown berät. Er hat deutlich gemacht: Kalifornien wird weiter Bündnisse mit anderen US-Bundesstaaten und Regionen außerhalb der USA auf den Weg bringen, um den Klimaschutz in den USA auch unter einer Regierung Trump weiterzutreiben. Das ist gut, denn wir können uns den Ausfall eines solch großen Landes beim Klimaschutz nicht erlauben.

neue energie: Sehen Sie in der internationalen Staatengemeinschaft neue Partner für Deutschland, die beim Klimaschutz für die USA einspringen könnten?

Peter: Zunächst einmal muss sich Deutschland selber anstrengen, um Partner für andere zu sein. Stichwort Automobilwirtschaft: Wenn etwa die Asiaten vorangehen, um Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen, dann muss Deutschland als Partner bereitstehen und die entsprechenden Autos auch bauen. Länder wie China können beim Klimaschutz eine nennenswerte Rolle spielen. Dort wird zwar immer noch zu viel Kohlekraft zugebaut, aber es ist beeindruckend, in welchem Tempo der Einstieg in die Elektro-Mobilität und der Ausbau der erneuerbaren Energien stattfinden. Und wenn man gleichzeitig sieht, dass auch Kalifornien, Frankreich und Norwegen in riesigen Schritten weg wollen von Diesel und Benzin, dann wird klar, dass andere Länder im Begriff sind, uns abzuhängen – da muss Deutschland aufholen.

 

Die Gipfel-Ergebnisse zum Klima

Das Kapitel zu Klima und Energie im Abschlusspapier der G20 ist geprägt von einem tiefen Riss: 19 Staats- und Regierungschefs halten den Paris-Vertrag für „unwiderruflich“ und erklären, sich schnell an die Umsetzung machen zu wollen. Für die USA gilt das ausdrücklich nicht, deren Regierung will stattdessen anderen Ländern dabei helfen, „fossile Kraftstoffe sauberer und effizienter zu nutzen“ sowie Erneuerbare und „andere saubere Energiequellen“ zu erschließen. Dem Einsatz für niedrigere Treibhausgas-Emissionen schließen sich in der Erklärung zwar auch die USA an. Konkrete Pläne enthält die allerdings nicht – genauso wenig wie der „Aktionsplan zu Klima und Energie für Wachstum“, den die übrigen 19 der G20-Mitglieder zusätzlich beschlossen haben. Darin finden sich viele weitere Absichtserklärungen und Bekenntnisse, etwa zur zentralen Rolle der Energieeffizienz. Dagegen fehlt beispielsweise der erhoffte Zeitplan für die Reduzierung umweltschädlicher Subventionen, die die G20 schon seit Jahren versprechen.

G20-Dokumente zum Nachlesen:

Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs

Aktionsplan zu Klima und Energie (ohne die USA)

Kommentare (2)

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  • 18.07.17 - 12:31, Kai Wehnemann

    Grundsätzlich ist einmal das Totalversagen der letzten Regierungen zu sehen und die Reichweite dieses Versagens zu verdeutlichen: Merkel hat jahrelang national und international was von Klimaschutz und Energiewende erzählt. Wenn die Emissionen aber nicht sinken - welches Argument hatte sie, um Trump von der positiven Seite des Klimaschutzes zu überzeugen? Gar keine!

    Bei der Türkei geht es ja um die Frage, dass sie lieber als Entwicklungsland eingestuft werden wollen. Das hat wohl nichts mit Trump zutun?

    Es steht ja die Erkenntnis im Raum, dass die ganze Welt unehrlich ist.
    Um das 1,5 Grad-Ziel zu errichen, wäre in 4 Jahren Schluss mit Treibhausgasemissionen (http://docs.dpaq.de/12419-three_years_to_safeguard...). Natürlich ist das nicht zu erreichen. Selbst das 2 Grad-Ziel grenzt an das Unmögliche.

    Wie kann also der zwingend notwendig radikale Umbau so gestaltet werden, dass er auf Akzeptanz der Bevölkerung, der Industrie und der Politik stößt?

  • 18.07.17 - 12:34, Kai Wehnemann

    http://docs.dpaq.de/12419-three_years_to_safeguard_-_nature_comment_figueres_schellnhuber_et_al_2017.pdf

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