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Interview

„Eine Lotterie für die deutsche Windindustrie“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 19.06.17
...befürchtet Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE), nach der ersten Auktionsrunde für Onshore-Windprojekte. Das System gefährde die deutschen Ausbauziele – und die Klima-Versprechen von Paris.

neue energie: Die Ergebnisse der ersten Ausschreibungsrunde für Onshore-Wind wurden am 19. Mai von der Bundesnetzagentur veröffentlicht. 65 von 70 Zuschlägen gingen an Bürgerenergieprojekte. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?

Hermann Albers: Grundsätzlich ist wichtig, dass die Akteursvielfalt erhalten bleibt, um die Energiewende und ihre Akzeptanz zum Erfolg zu führen. Das habe ich auch im Gesetzgebungsverfahren immer betont. Die erste Ausschreibungsrunde wird dazu aber von manchen Branchenteilnehmern kritisch hinterfragt.

neue energie: Bürgerprojekte meint ja im Kern die Beteiligung großer Bevölkerungsteile, nicht zuletzt vor Ort, in den betroffenen Regionen. Aktuell wird viel darüber spekuliert, dass es sich teilweise nicht um echte Bürgerprojekte handele. Trifft diese Kritik zu – und hätte man das verhindern können?

Albers: In der tieferen Analyse der Ergebnisse zeigt sich, dass die Vielfalt der Teilnehmer nicht ganz so groß ist wie vermutet. Manche Teilnehmer haben ihr Geschäftsmodell zügig angepasst, ähnlich wie wir es auch bei der Photovoltaik erlebt haben, und haben so mehrere Zuschläge erhalten.

neue energie: Die Branche war am Gesetzgebungsprozess über Anhörungen beteiligt – hat niemand auf ein mögliches Problem hingewiesen?

Albers: Doch, wir haben auf die Probleme im Vorfeld hingewiesen. Der BWE hat neben der Stellungnahme zusätzlich einen Brief an den Staatssekretär Rainer Baake geschrieben. Darin haben wir klar formuliert, dass es sinnvoll ist, auch für Bürgerenergieprojekte eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz vorzusehen. Damit hätten wir die Sicherheit des Systems, aber auch für die Beteiligten deutlich erhöht. Sehen Sie, für die Industrie ist die Umsetzungszeit von bis zu 54 Monaten für Zuschläge an Bürgergesellschaften ohne Genehmigung kaum noch planbar. Die Energiewende wird sozusagen um 4,5 Jahre verschoben. Noch schlimmer ist das Delta zwischen den nun bezuschlagten Kapazitäten und dem, was dann in gut vier Jahren wirklich gebaut werden kann. Erfahrungsgemäß werden oft 30 bis 40 Prozent weniger genehmigt, als beantragt wurde. Diese Kapazitäten gehen nach den Richtlinien vollständig verloren. Das ist für die Antragsteller schlecht. Vor allem aber reduziert es den Zubau noch weit unter den schon sehr schmerzhaften Deckel.

neue energie: Nun soll die so genannte Bimsch-Genehmigung ja 2018 für alle Projekte verbindlich gelten, das wurde noch vor der Sommerpause durch den Bundestag gepeitscht. Sind die Probleme damit weitgehend behoben?

Albers: Wir sind den Regierungsfraktionen dankbar, dass sie so schnell auf die Erfahrungen der ersten Ausschreibungsrunde reagiert haben. Damit wurde mehr Vertrauen und Transparenz hergestellt. Vor allem aber verlieren wir weniger Megawatt im Zubau, der jetzt insgesamt planbarer wird. Das ist für die Zulieferer und die Herstellerindustrie wichtig.

neue energie: Es gab auch andere Vorschläge zur Korrektur, so etwa, die Zahl der Gesellschafter bei Bürgerprojekten stark zu erhöhen, von zehn auf 50…

Albers: Es gibt sehr viele Formen von Bürgerenergie. Das war im bisherigen Modell des EEG gar kein Problem. Die Festlegung durch das Bundeswirtschaftsministerium, was Bürgerenergie ist und was nicht, wird den Entscheidungen vor Ort nie gerecht werden können. Es ist eine Folge der politischen Entscheidungen. Der BWE wird alles tun, um den verschiedenen Modellen von Bürgerenergie gerecht zu werden.

neue energie: Die Bundesnetzagentur hat nun von den Bürgerprojekten, die einen Zuschlag erhalten haben, bis Ende Juni Unterlagen nachgefordert. Könnte es sein, dass am Ende einigen Projekten der Zuschlag entzogen wird – und werden die Megawatt-Volumen neu ausgeschrieben?

Albers: Ja, die Bundesregierung will kurzfristig klären, ob alle Zuschläge die Kriterien für Bürgerprojekte erfüllen. Das ist nachvollziehbar. Ich hoffe, der Branche gehen dabei nicht zusätzliche Kapazitäten verloren. Wir brauchen jedes Megawatt für die Klimaziele von Paris.

neue energie: Es bestehen ja ohnehin Zweifel, dass sämtliche Projekte realisiert werden können…

Albers: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass neben den 800 MW, die eine Zusage erhalten haben, eben auch 1200 MW eine Absage erhalten haben. Das ist bitter für die Teilnehmer, vor allem aber für den Klimaschutz. Wir sollten nicht vergessen: Deutschland versäumt alle selbstgesteckten Klimaschutzziele für 2020 erheblich.
Auf die Differenz zwischen den Zuschlägen vor Genehmigung und dem tatsächlichen Volumen der späteren Genehmigungen hatte ich schon hingewiesen. Sollten hier tatsächlich zum Beispiel 30 Prozent der Zuschläge nicht genehmigt werden, dann fehlen schnell 500 oder mehr MW im Zubau. Wir müssen mit dem BMWi darüber reden, dass es falsch ist, diese Kapazitäten nicht der Ausschreibung erneut zuzuführen. Ansonsten wird es eine Lotterie für die deutsche Windindustrie. Wir machen uns große Sorgen, dass der Zubau 2019/2020 in Deutschland sehr schlecht sein könnte. Das kann niemand wollen.

neue energie: In der ersten Runde haben südliche Bundesländer deutlich weniger Zuschläge erhalten. Was sind die Gründe und wie bewerten Sie das?

Albers: Ganz konkret sind nur zehn Prozent der Zuschläge in die südliche Hälfte Deutschlands vergeben worden. Um sich ein genaues Bild zu machen, sollte man sich allerdings auch das Verhältnis zwischen Anträgen und Zuschlägen anschauen. Das relativiert die Dinge etwas. Der BWE will einen dezentralen, mittelständischen Ausbau in ganz Deutschland. Dafür machen wir unsere Vorschläge.

neue energie: Kleinere Mittelständler kommen aber schon jetzt unter Druck…

Albers: Die Bundesregierung atmet nach der ersten Ausschreibungsrunde jedenfalls erleichtert auf. Gerade im Wahljahr ist es ihr wichtig, deutlich zu machen, dass mit den Ausschreibungen Akteure erhalten werden können. Wir sollten die kommenden Runden abwarten. Ein stark wettbewerbliches System lebt davon, dass nur die „Besten", heißt Billigsten, gewinnen. Das wird noch sehr viel Druck ausüben. Irgendwann wird dieser Druck auf die Bundesregierung zurückfallen. Spätestens dann, wenn die Ausbauziele nicht erreicht werden oder die Akzeptanz sinkt.

neue energie: Was bedeutet das für das Ausschreibungssystem?

Albers: Jedes System hat seine eigenen Probleme. Wir haben Probleme in der Festpreisvergütung diskutiert. Nun diskutieren wir schon nach der ersten Ausschreibungsrunde eine ganze Reihe neuer Probleme. Vielleicht sogar noch mehr. Es ist also nicht unbedingt besser geworden, nur anders. Am Ende kann ich das Interesse an einem marktwirtschaftlichen Ausbau der erneuerbaren Energien gut verstehen. Auch der BWE wird dazu Vorschläge machen. Immerhin steigt die Wettbewerbskraft der Erneuerbaren mit sinkenden Kosten stark an. Aber eines ist klar. Solange die teuren Umweltemissionen von Kohlekraftwerken und die tatsächlichen Folgekosten der Kernenergie nicht tatsächlich den Energiekosten zugeschlagen werden, solange funktioniert auch kein Markt. Mit der Einführung von gerechten CO2-Preisen könnte der Beginn eines fairen Marktes eingeläutet werden. Bis dahin ist die Förderung im EEG so etwas wie ein Marktausgleich. Der französische Präsident Macron reicht übrigens Deutschland die Hand für eine CO2-Steuer und spricht von circa 35 Euro pro Tonne. Herr Teyssen von Eon spricht von denkbaren 30 bis 50 Euro. BWE und BEE (Bundesverband Erneuerbare Energie, Anm. d. Red.) haben also mächtige Allianzpartner.

neue energie: Bei der Offshore-Windenergie wurden kürzlich Null-Cent-Gebote abgegeben. Erwarten Sie das auch für den Onshore-Bereich?

Albers: Wie schnell die Gebote sinken, ist schwer abzuschätzen. Aber schon in der ersten Runde gab es ein Gebot über nur noch 4,2 Cent. Schlimmer ist es, dass 1200 MW nicht gebaut werden, obwohl viele Gebote nur knapp über dem Vergabepreis liegen. Klar ist, der Deckel muss weg. Nur so hat Deutschland eine Chance, die Pariser Verträge zu erfüllen.

 

Kommentare (3)

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  • 23.06.17 - 13:49, Johannes Busmann

    Erfolg schlech reden?
    Das eigentliche Problem ist die gesellschaftlich immer weniger akzeptierte Höhe der EEG Umlage, die durch ungezügelte PV- und Offshore-Förderung entstanden ist und wir mit steigender Tendenz noch 15 Jahre als Altlast an der Backe haben.
    Die Sorge über die Aufstellungszahlen bis 2020 kann man leicht dadurch lösen, indem man Bürgerenergie erst dem Ausschreibungskontingent zuschlägt, wenn sie einer Genehmigung zugeordnet wird.
    Zusammenarbeit von kleinen und mittleren bürgernahen Entwicklern, die das know how haben, Bürgerenergie zu initiieren und deren Realisierung abzusichern, dient gerade der Absicherung der Realisierungszahlen.
    Sie hier als Prügelknabe zu benutzen hat sie nicht verdient und die vom BWE initiierte Gesetzesänderung ist eine Verteilung weg von Bürgerenergie.
    So zerfleischen wir uns selber, siehe
    https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article165808365/Der-Bluff-mit-den-Buergerwindparks.html
    Grüne Energie für Ihr Leben!

  • 30.06.17 - 14:55, Sandra Hook, Wi...

    Autsch, da ist sie wieder die Mär von der teuren PV, die das EEG verdorben hat. Auch wenn ihre Entstehungsgeschichte bereits lange vor Einführung der passenden Begrifflichkeit „postfaktisch“ begann, sie hat tatsächlich nichts mit den Fakten zu tun. Die Photovoltaik wurde hoch vergütet, weil sie als Technik viel teurer war als ihre Erneuerbaren-Geschwister. Allerdings hat sie auch nicht annähernd die gleiche Strommenge gebracht wie insbesondere die Windenergie, sodass der Fakt „hohe Vergütung“ insgesamt auf dem EEG-Konto gar nicht so zu Buche geschlagen hat. Der Anstieg der EEG-Umlage und damit verbunden Akzeptanzverlust rührte daher, dass man Vermarktungs- und Umlagemechanismus für EEG-Strom verändert hat (Abschaffung physische Wälzung, Vermarktung an der Börse). Ganz weit vorne in dieser Rechnung: die Umlagebefreiung der Industrie und der Verfall des Börsenstrompreises, sehr schön bildlich dargestellt durch die Agentur für Erneuerbare Energien, abrufbar auf deren Webseite. So, zurück zum übergeordneten Thema: Wo genau wurde der Erfolg schlecht geredet? Ich kann es gerade nicht so ganz nachvollziehen…

    Grüner Energiemix für Ihr Leben!

    Sonnige Grüße SANDRA

  • 30.06.17 - 17:49, Carlo Reeker

    Nach einer genauen Analyse und in Abstimmung mit den Gremien des Verbandes hat sich der BWE-Bundesvorstand - bei einer Enthaltung und keiner Gegenstimme - dafür entschieden, erneut und schnell die BImSch-Genehmigung als Vorrausetzung zur Teilnahme an der Ausschreibung zu fordern. Dank der Unterstützung weiterer Verbände ist es gelungen, eine kurzfristige Änderung im EEG zu erlangen. Das war ein gut abgestimmtes einheitliches Vorgehen der Branche. Ich glaube wir sind gut beraten, wenn wir uns darauf konzentrieren, dass eine kontinuierliche und ausreichende Ausbaumenge erhalten bleibt. Es geht hier um die Energiewende und nicht um wirtschaftliche Einzelinteressen.

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