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Ernährung

Schnelle Mikrobenbrüter

Biotech-Pioniere wollen mit mikrobiell erzeugten Produkten den Lebensmittelmarkt erobern – und einen Betrag zum Kampf gegen die Erderwärmung leisten.
Von:  Frank Lassak
03.12.2024 | 6 Min.
Erschienen in: Ausgabe 12/2024
Nährreiches Vielzweckprodukt: Solein-Pulver besteht zu rund 70 Prozent aus Protein, der Rest sind Fett, Kohlenhydrate und Mineralien.
Nährreiches Vielzweckprodukt: Solein-Pulver besteht zu rund 70 Prozent aus Protein, der Rest sind Fett, Kohlenhydrate und Mineralien.
Foto: Solar Foods

Wurst aus der Tube, Steaks aus dem 3D-Drucker, Schokoriegel aus Proteingranulat? Was nach Science Fiction klingt, ist für Pasi Vainikka längst Realität. Sein 2018 gegründetes Start-up Solar Foods produziert Nahrungsmittel klimaneutral, kostengünstig und ganz ohne herkömmliche Viehwirtschaft. Die Zutaten für das nahrhafte Pulver namens Solein: Wasserstoff, Kohlendioxid, grüner Strom – und jede Menge Mikroben.

Die „Revolution an der Fleischtheke“, wie der Entrepreneur sein ehrgeiziges Vorhaben nennt, kommt zur rechten Zeit. Denn laut Weltklimabericht von 2023 ist die Agrarbranche nach wie vor einer der schlimmsten Klimakiller. „Pro Jahr blasen landwirtschaftliche Betriebe 20 Gigatonnen Treibhausgase in die Atmosphäre“, sagt Vainikka. „Wenn wir die Erderwärmung stoppen wollen, müssen wir auf Nahrungsmittel tierischen Ursprungs und auf Fleischkonsum künftig weitgehend verzichten.“

Zuviel Vieh

„Falls Viehzüchter und Fleischproduzenten weitermachen wie bisher“, sagt die US-amerikanische Agrar- und Klimaforscherin Cynthia Rosenzweig, „werden wir das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verfehlen, selbst wenn alle anderen Bereiche der Wirtschaft bis 2050 klimaneutral sind.“ Der Umbau des Ernährungssektors sei dringend erforderlich – auch und gerade weil die globale Viehwirtschaft laut dem aktuellen Bericht der Welternährungsorganisation FAO rund 3,2 Milliarden Hektar Agrarfläche beansprucht. Das entspricht knapp 50 Prozent der nutzbaren Landfläche des Planeten. 

„Wenn überdies die Weltbevölkerung wie prognostiziert bis 2050 auf zehn Milliarden wächst, wird die landwirtschaftlich nutzbare Fläche bei Weitem nicht mehr ausreichen, um alle ausreichend zu ernähren“, warnt Rosenzweig. „Schon heute leiden rund 800 Millionen Menschen Hunger – vor allem in den Ländern des globalen Südens.“

Pasi Vainikka ist mit seiner Firma angetreten, um an der Lösung dieses Problems mitzuwirken. Im April dieses Jahres nahm Solar Foods die Produktion im industriellen Maßstab auf. Seitdem wachsen in der Factory 01 im finnischen Vantaa Abermilliarden Mikroorganismen in riesigen, sterilen Edelstahlbehältern, werden automatisch geerntet und zu Solein verarbeitet. Das gelbliche Pulver besteht aus rund 70 Prozent Protein, fünf bis acht Prozent Fett, bis zu 15 Prozent Kohlenhydraten und fünf Prozent Mineralien. Die klimaschonende Kraftnahrung der Zukunft enthalte zudem neun essenzielle Aminosäuren sowie die Vitamine A und B, so Vainikka. 

Als Nahrungsmittelzutat beziehungsweise -grundstoff ist Solein bereits seit 2022 in Singapur zugelassen, wo der japanische Lebensmittelkonzern Ajinomoto es in Form von Burger-Patties, Pancakes, Kraftbrühen und anderen Speisen anbietet. Nach Angaben von Solar Foods habe man in der Factory 01 aber schon mehr als 30 unterschiedliche Produkte aus dem Pulver hergestellt, darunter Fake-Fleisch aus dem 3D-Drucker, Proteinriegel und vegane Schokolade (gemeinsam mit dem finnischen Süßwarenhersteller Fazer). In der EU laufe der Zulassungsantrag für Solein seit 2021.

Nahrung für Reisen durchs All

Jüngst habe auch die US-Weltraumorganisation Nasa Interesse gezeigt: Für lange Reisen durchs All wäre Solein als Grundnahrungsmittel gut geeignet, heißt es vonseiten der Raumfahrtexperten, da das Pulver „nahezu unbegrenzt haltbar“ sei. Im September erhielt Solar Foods zudem das Unbedenklichkeitszertifikat von der US-Lebensmittelbehörde FDA. Damit sei „der Einstieg in den wichtigen US-Markt schon Ende dieses Jahres möglich“, sagt Solar-Foods-Sprecher Juan Benitez Garcia.

In Europa ist das Unternehmen darüber hinaus ein wichtiger Puzzlestein der Wasserstoff-Wirtschaft: Solar Foods’ Factory 01 ist das erste realisierte Wasserstoff-IPCEIProjekt (Important Project of Common European Interest) der Europäischen Kommission. Das 600 Millionen Euro schwere Investitionsprogramm der Firma wurde im September 2022 mit einer staatlichen Beihilfe von 110 Millionen Euro bedacht; im Dezember desselben Jahres floss die erste Tranche in Höhe von 34 Millionen Euro. Für Entwicklung, Bau und Betrieb seiner Bakterienfabrik hatte Vainikka zuvor 40 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt.

Mittlerweile ist die Firma an der Technologiebörse Nasdaq notiert und hat eine Marktkapitalisierung von rund 150 Millionen Dollar. Das reicht laut Unternehmensangaben aus, um in den schnellen Mikrobenbrütern pro Jahr zunächst zwei Millionen Portionen Solein herzustellen. Bis 2050 planen die Finnen den Ausbau der Produktionskapazität auf neun Milliarden Portionen jährlich, an Standorten auf allen fünf Kontinenten.

Winzige CO2-Verwerter

Betrieben wird der Fermenter von Solar Foods mit Solarstrom, aus der Luft im Direct-Air-Capture-Verfahren extrahiertem Kohlendioxid, per Elektrolyse gewonnenem grünem Wasserstoff, diversen Mineralien wie Phosphaten, Nitraten und Spurenelementen sowie einer Mikrobenart, die überall auf der Welt im Boden vorkommt: Cupriavidus necator. Sie vermehrt sich in atemberaubendem Tempo. Bei der Fermentation wandeln die Einzeller das CO2 und die anderen Substrate in neue Zellsubstanz um.

Clou des Verfahrens: Anders als bei vergleichbaren biotechnischen Prozessen, die etwa für die Produktion von Nahrungsergänzungsmitteln genutzt werden, geben die Mikroorganismen bei Solar Foods keine Stoffwechselprodukte an das sie umgebende Medium ab. Sie selbst sind das Endprodukt. „Unter kontrollierten Bedingungen wachsen unsere hydrogenotrophen Kulturen sehr schnell und verbrauchen wenig Nährstoffe“, erläutert Vainikka. Um ein Kilogramm Solein zu produzieren, seien zudem nur zehn Liter Wasser notwendig. Für die gleiche Menge Sojaprotein braucht man 2500 Liter, für Fleisch aus herkömmlicher Viehwirtschaft 15.500 Liter. 

Gerade deshalb sei „Solein ein sehr wichtiger Motor für den notwendigen Umbau der globalen Nahrungsmittelbranche“, sagt George Monbiot. In seinem 2022 erschienen Buch „Regenesis“ hat der britische Umweltexperte diverse Möglichkeiten skizziert, wie die Menschheit in Zukunft satt werden kann, ohne die Erde zu zerstören. Vainikkas Idee sei „ökonomisch und technisch am chancenreichsten, zumal mit dem Verfahren hochwertige Nahrung bei minimalem Flächenbedarf nahezu klimaneutral hergestellt wird“.

Dennoch sei fraglich, ob sich Solein am Markt durchsetzen kann, denn „die Fleischindustrie wird auf das Geschäft mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs nicht gern verzichten wollen“, meint Monbiot. Agrarkonzerne würden das Verfahren vermutlich modifzieren und rasch patentieren, mutmaßt er, um den entstehenden Markt für klimaneutrale, nachhaltige Nahrungsmittel kontrollieren zu können. Solar-Foods-Chef Vainikka gibt sich derweil unbeeindruckt: „Wir sind mit Solein bereits sehr erfolgreich. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis die Lebensmittelbranche ihren Pearl-Harbor-Moment erlebt.“

Viele Start-ups im Rennen

Das hoffen wohl auch manche seiner Mitbewerber, die mit Proteinen aus der Retorte den Markt aufmischen wollen. Etwa die US-Firma Air Protein, die ihre Produkte anfangs für die Raumfahrt entwickelte, seit einem Jahr aber auch an Fleischalternativen für irdische Konsumenten arbeitet. Auch das kalifornische Start-up Calysta stellt tierfrei erzeugte Proteinkost her, nutzt für die Fermentation aber Methan anstelle von Wasserstoff und Kohlendioxid. Calystas Produkte werden vor allem zu Fischfutter verarbeitet und sind in der EU bereits als Tierfutter zugelassen.

Die österreichischen Biotech-Pioniere von Arkeon setzen hingegen auf eine etwas andere Methode: Im bislang experimentellen Bioreaktor der Firma aus Seestatt gedeihen seit 2023 Einzeller der Gattung Archaea, die zu den ältesten irdischen Mikrobenarten zählt. Sie ernähren sich zwar ebenfalls von CO2, produzieren damit aber im Zuge der Fermentation „alle 20 für Menschen essenziellen Aminosäuren sowie maßgeschneiderte Peptide, also Eiweißbausteine, die anschließend zu einer Vielzahl von Lebensmitteln zusammengefügt werden können“, erläutert Arkeon-Gründer Gregor Tegl. Zurzeit arbeite das Unternehmen an der Skalierung des Verfahrens. Ebenso weit ist man bei der dänisch-niederländischen Biotech-Firma Aerbio, deren Produkt namens Proton in etwa dieselbe Zusammensetzung hat wie Solein.

Insgesamt sind aktuell mehr als ein Dutzend Start-ups in dem Segment aktiv, haben die britischen Marktforscher von Fact.Mr ermittelt. In ihrem „Air-based Foods“-Report beziffern sie das bis 2032 erreichbare Marktvolumen auf rund 100 Millionen US-Dollar bei jährlichen Wachstumsraten zwischen zehn und zwölf Prozent. Das klingt nicht gerade üppig, dürfte aber eine realistische Schätzung sein. Denn die Forscher sind durchaus skeptisch, ob die Nachfrage nach mikrobiell erzeugten Nahrungsmitteln tatsächlich so stark sein wird, wie es sich die Start-ups in ihren Businessplänen ausmalen.

Pasi Vainikka gibt sich dennoch optimistisch: „Wir stehen am Anfang eines gigantischen Verdrängungswettbewerbs – alte Technologie wird durch neue ersetzt. Und dieser Wandel dürfte auch Folgen für die in Teilen anachronistische Subventionspolitik im europäischen Agrarsektor haben, sodass Produkte tierischen Ursprungs sich verteuern werden.“ Es sei schließlich nicht mehr zeitgemäß, so der Solar-Foods-Chef, „Klimasünder zu bezuschussen und die ohnehin defizitäre Viehwirtschaft damit länger als nötig am Leben zu erhalten“.

 

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