Island ist mit knapp 400.000 Einwohnern das am dünnsten besiedelte Land Europas. Es ist bekannt für riesige Gletscher, Vulkane und heiße Quellen, was ihm viel Tourismus beschert. Doch die Insel ganz im Nordwesten des Kontinents könnte auch eine wichtige Funktion für den weltweiten Klimaschutz bekommen – zumindest, wenn es nach der Schweizer Firma Climeworks geht, die dort jetzt eine neue Anlage zur Entfernung des Treibhausgases Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Betrieb genommen hat. Quasi einen „Staubsauger“ für CO2. Ihr Name: „Mammoth“, zu deutsch: Mammut.
Der Name soll anzeigen: Es geht um ein großes Projekt. Die Kapazität des Mammoth, um CO2 aus der Luft herauszufiltern, ist mit 36.000 Tonnen Jahreskapazität fast verzehnfacht gegenüber der Vorgängeranlage, die Climeworks seit 2021 ebenfalls in Island betreibt. Es handele sich um „die weltweit größte Direct Air Capture und Storage Anlage“, so das Unternehmen. Im Endausbau sollen an dem Standort 72 haushohe Container mit CO2-Filtern betrieben werden. Derzeit sind zwölf installiert, die auch bereits laufen und erste Mengen CO2 aus der Umgebungsluft herausgeholt haben. Das Gas wird bei dem Prozess dann von einem Projektpartner übernommen und in den Untergrund gepresst.
CO2 wird aus der Umgebungsluft gefiltert
Angesichts der ungebremst fortschreitenden Erderwärmung, die inzwischen im globalen Durchschnitt erstmals das 1,5- Grad-Limit gerissen hat, kommt der CO2-Speicherung zunehmend Bedeutung zu. Dafür bieten sich „naturbasierte“ Lösungen wie die Aufforstung und die Wiedervernässung von Mooren an. Allerdings steigt auch das Interesse an technischen Verfahren, bei denen das CO2 abgetrennt und unterirdisch gelagert wird. Das besondere bei Climeworks ist, dass das Gas direkt aus der normalen Umgebungsluft herausfiltert werden kann, wo es in nur sehr geringen Anteilen vorliegt, nämlich zu 0,04 Prozent. Andere Verfahren setzten bei CO2 in höheren Konzentrationen an, wie etwa im Abgasstrom von Kohlekraftwerken oder Zementfabriken.
Climeworks ist ein Spin-of der ETH Zürich. Das Unternehmen, 2009 gegründet von den deutschen Ingenieuren Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, begann damals mit der Entwicklung des „Direct Air Capture“-Verfahrens (DAC). Die erste kommerzielle Anlage entstand in der Schweiz 2017, sie gewann 900 Tonnen CO2 pro Jahr und lieferte das Gas an Coca-Cola Schweiz, das damit ein „erstes Mineralwasser mit CO2 aus der Luft“ produzierte, sowie an einen Gewächshausbetreiber, der es als Wachstumsverstärker für Tomaten und Gurken einsetzte.
Speicherung in isländischem Basaltgestein
Die erste größere Anlage, Orca genannt, baute Climeworks dann in Island. Zwei Gründe gaben hierfür den Ausschlag. Erstens konnte das Unternehmen den energieaufwändigen Prozess dort mit reichlich vorhandener erneuerbarer Energie aus einem Geothermie-Kraftwerk im Südwesten Islands betreiben – pro Tonne CO2, die aus der Luft gefiltert wird, werden 2500 Kilowattstunden eingesetzt, soviel, wie ein Zwei-Personen-Haushalt in Deutschland im Jahr verbraucht. Zweitens kann Climeworks mit dem Unternehmen Carbfix zusammenarbeiten, das eine Methode zur unterirdischen Speicherung von CO2 entwickelt hat.
Das Gas wird dabei in Wasser gelöst und dann in bis zu 1000 Metern Tiefe in Hohlräume in Basaltgestein gepumpt, wo es sich chemisch fest bindet. Das unterscheidet die Methode von anderen Endlagerprojekten, bei denen das Kohlendioxid gasförmig im Untergrund verbleibt. Die Gefahr, dass das Gas wieder entweicht, kann so praktisch ausgeschlossen werden. Carbfix ist ein Tochterunternehmen des Energieversorgers der isländischen Hauptstadt Reykjavik.
Kosten der Technologie noch deutlich zu hoch
Climaworks` Co-Chef Wurzbacher bezeichnete die Mammoth-Inbetriebnahme als „weiteren Meilenstein“ bei der Skalierung der Technologie, um bis 2030 in den Kapazitätsbereich von Millionen Tonnen und bis 2050 sogar von Milliarden Tonnen zu kommen. Bis es soweit ist, müssen die Kosten allerdings noch deutlich sinken. Bisher lauten Schätzungen für Verfahren zur CO2-Entfernung auf mehrere hundert Euro pro Tonne. Laut einer aktuellen Studie der ETH Zürich muss auch 2050 noch mit mindestens 230 US-Dollar gerechnet werden, und Studienleiter Bjarne Steffen geht nicht davon aus, dass Kosten unter 100 Dollar zu erreichen sind. In etwa dieses Preisniveau wurde im EU-Emissionshandel im vorigen Jahr erstmals erreicht. Inzwischen aber ist das Verschmutzungsrecht für die Tonne CO2 wieder deutlich billiger zu haben.
Ursprünglich hatten die Climeworks-Gründer gehofft, schneller vorankommen zu können. Ihr Ziel laute, bis 2025 ein Prozent der jährlichen weltweiten CO2-Emissionen aus der Luft filtern, bei dem aktuellen Ausstoß von rund 40 Milliarden Tonnen also 400 Millionen Tonnen. Die beiden Anlagen in Island sollen im Vollbetrieb rund 40.000 Tonnen schaffen – ein Zehntelpromille davon. Trotzdem glaubt das Unternehmen, auf gutem Weg zu sein.
Der Bau mehrerer produzierender Anlagen in rascher Abfolge mache Climeworks „zur heute fortschrittlichsten Direct Air Capture Firma“, meint Wurzbacher. Bis 2030 sollen mehrerer Anlagen der Millionen-Tonnen-Klasse entstehen. Man sei an drei solchen Projekten in den USA beteiligt, die vom US-Energieministerium mit insgesamt mehr als 600 Millionen Dollar gefördert werden. Zudem würden Projekte in Norwegen, Kenia und Kanada entwickelt und weitere potenzielle Standorte erkundet,
Kritik von Meeresschützern
Ganz unumstritten ist das Climeworks-Verfahren übrigens nicht. Zum Start von „Mammoth“ meldete sich die internationale Meeresschutzorganisation Ocean Care mit Sitz in der Schweiz zu Wort. Sie kritisierte, die Technologie verstelle den Blick „auf die eigentliche Aufgabe, nämlich den sofortigen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen“. Zudem binde sie wegen der hohem Kosten Ressourcen, die zur Bewältigung der Klimakrise an anderer Stelle dringend benötigt würden, so ihr Experte James Kerry.
Zudem gebe es Risiken durch die geplante Entnahme großer Mengen Meerwasser, um das CO2 darin zu lösen und in die Erde zu verpressen. „Auch wenn seismische Aktivitäten, die stark genug sind, um Tsunamis auszulösen, unwahrscheinlich sind, werden kleinere Erdbeben erhebliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt haben“, warnte Kelly. Bei Climeworks hieß es dazu auf Anfrage, man arbeite „nur mit Anbietern von CO2-Speichern zusammen, die bewährte Verfahren zur Überwachung von Lagerstätten anwenden". Es würden an den Speicher-Standorten „strenge sicherheitstechnische Protokolle" ausgeführt.