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Ideen und Lösungen

Wo der Windpark am wenigsten stört

Wissenschaftler entwickeln ein Computerspiel, bei dem Bewohner die Energiewende in ihrer Region selbst planen können. Steigert das die Akzeptanz? Vertreter erster Gemeinden haben es getestet.
Von:  Ina Matthes
12.09.2024 | 7 Min.
Erschienen in: Ausgabe 09/2024
Die Wissenschaftler Valentin Leschinger und Katharina Dropmann wollen Bürger als Experten für die Landschaft ihrer Heimat in die Energiewende einbeziehen – per Computerspiel.
Die Wissenschaftler Valentin Leschinger und Katharina Dropmann wollen Bürger als Experten für die Landschaft ihrer Heimat in die Energiewende einbeziehen – per Computerspiel.
Fotos: privat/Huang Qi

In dieser Reihe stellen wir Ideen und Lösungen für die Energiewende vor.

Wie verändert sich das Landschaftsbild, wenn ältere Windräder durch leistungsstärkere, höhere Anlagen ersetzt werden? Was sieht ein Spaziergänger von den Rotoren, der über den Marktplatz einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt schlendert? Wissenschaftler entwickeln ein Computerspiel, das Antwort auf solche Fragen gibt und Anwohnerinnen und Anwohner zu Planern von Energielandschaften macht.

Denn in den üblichen Verfahren können Bürger häufig nur noch Einwände zu bereits ausgearbeiteten Plänen vorbringen, sagt der Umweltpsychologe Valentin Leschinger von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). „Wir haben uns gefragt, wie können wir Bürger aktiv einbinden, sodass sie nicht nur Einwände, sondern auch ein positives Konzept einbringen können.“

Leschinger gehört zu einem Team von Wissenschaftlern der Martin-Luther-Universität, der Technischen Universität München (TUM), der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und des Osnabrücker IT-Unternehmens Aratall, das das dreidimensionale Spiel im Projekt „Grow Flow Fly“ entwickelt. Nach Erfahrung des Umweltpsychologen sind es oft ältere, gebildete Männer, die sich in den üblichen Beteiligungsverfahren zum Ausbau der Erneuerbaren äußern. „Mit solch einem experimentellen Tool wollen wir vor allem junge Leute ansprechen“, sagt Katharina Dropmann, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Landschaftsarchitektur und -planung der TUM forscht.

Die Aufgabe: Möglichst viel Akzeptanz für Wind- und Solarparks

Das virtuelle Spiel funktioniert im Prinzip wie bekannte Games, zum Beispiel die Wirtschaftssimulation „Sim City“: Der Spieler bekommt eine Einführung, kann auf Ressourcen zugreifen – in diesem Fall Windräder und Solaranlagen – und sie verteilen. Besonders ist, dass auch innovative Technologien wie Agri-Photovoltaik, Floating-PV und Flugwindkraftwerke verwendet werden können. Als virtuelles „Spielbrett“ dienen Bilder realer dreidimensionaler Landschaften.

Die Aufgabe: Gestalte eine Energielandschaft, die auf größtmögliche Akzeptanz stößt. Die Spielerinnen und Spieler erhalten Informationen zu Energieerträgen, CO2-Einsparung und Möglichkeiten kommunaler Beteiligung. Es gelten dieselben Regeln wie im echten Leben: Mindestabstände der Anlagen zu Siedlungen sind einzuhalten. Vogelschutzgebiete müssen beachtet werden ebenso wie topografische Gegebenheiten – etwa die, dass Windräder an zu steilen Hängen nicht gebaut werden können.

Die Effekte ihrer Bautätigkeiten können die Spieler sofort anschauen – nicht nur aus der Vogelperspektive. In der 3D-Welt kann der Energiewende-Gestalter in die Rolle eines Fußgängers schlüpfen, der über den Marktplatz einer Kleinstadt schlendert und sieht, wie die neuen Windräder im Umfeld der Stadt wirken. Am Ende des Online-Spiels sollen Entwürfe von Energielandschaften entstehen, die veröffentlicht und von Mitspielern bewertet werden können. „Es geht darum, gemeinsam einen Entwurf zu finden, der in der Bevölkerung auf größtmögliche Akzeptanz stößt und die Energie- und Klimaziele in der Region erreicht“, erläutert Katharina Dropmann.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es die Akzeptanz befördert, wenn die Bürger als Experten für die Landschaft ihrer Heimat frühzeitig einbezogen werden. Genehmigungsprozesse lassen sich auf diese Art möglicherweise beschleunigen, weil strittige Punkte früh geklärt werden können.

Was im Spiel außen vor ist, sind ökonomische Aspekte der Erneuerbaren – beispielsweise, wie weit ein Solarpark vom nächsten Einspeisepunkt entfernt ist und ob sich der Bau dann noch rentiert. „Uns ist bewusst, dass ökonomische Fragestellungen ein wichtiger Faktor in der Planung von erneuerbaren Energien sind“, betont Dropmann. Dennoch wollen die Forschenden im Spiel bewusst die Frage nach der Ästhetik von Landschaftsbildern in den Vordergrund rücken. Denn oft sind es ästhetische Gründe, weshalb Anwohner Windräder oder Solaranlagen in ihrer Umgebung ablehnen.

Erste Tests mit der Demo-Version

Mehr als ein Jahr Entwicklungsarbeit stecken im Projekt Grow Flow Fly. Bislang existiert das Spiel in einer Demonstrations-Variante. Im Kreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt und der Bergbaufolgeregion Düren-Jülich in Nordrhein-Westfalen haben Fachleute aus der Energiebranche, Politiker und Planer die Demo-Version getestet. Sie hätten die Idee ‚erfrischend‘ gefunden, erzählt Katharina Dropmann.

Es sei auch für Expertinnen und Experten interessant gewesen, in einer virtuellen 3D-Welt zu erleben, wie ein Windrad in ihrer vertrauten Umgebung wirkt. Kritische Rückmeldungen habe es gleichfalls gegeben, sagt sie. „Aber genau darum ging es uns ja auch.“ Die Fachleute gaben etwa zu bedenken, dass Vorranggebiete für Erneuerbaren-Anlagen teils bereits festgeschrieben seien. Katharina Dropmann sieht aber Gestaltungsfreiräume. „Im Ausbau von Windenergie ist beispielsweise ein aktueller Planungsspielraum bis 2027 beziehungsweise bis 2032 vorhanden, bis die Bundesländer ihre Flächenziele erreicht haben müssen.“

Das ist ein Planungstool, das uns die Möglichkeit schneller Visualisierung bietet.“ Matthias Egert, Bürgermeister von Zörbig

Matthias Egert, der Bürgermeister der Stadt Zörbig in Sachsen-Anhalt, hat bei den ersten Tests mitgespielt. Er finde das Spiel interessant und „total hilfreich“, sagt Egert. „Das ist ein Planungstool, das uns die Möglichkeit schneller Visualisierung bietet.“ Damit könnte der Bürgermeister den Zörbigern frühzeitig zeigen, wie geplante Anlagen in der Landschaft aussehen. „Das ist für viele einfacher zu verstehen.“

In Zörbig sollen 50 Windkraftanlagen durch 25 neue, leistungsstärkere ersetzt werden. Außerdem ist die Kommune gerade dabei, Flächen für erneuerbare Energien auszuweisen und zu planen. Rund neun Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche sollen dafür verwendet werden. Die Gemeinde will in Zusammenarbeit mit Unternehmen grüne Strom- und Wärmeerzeugung koppeln, der Bevölkerung sollen regionale Strom- und Gastarife angeboten werden.

Egert wünscht sich weitere Funktionen im Spiel: So sollte die Infrastruktur mit abgebildet werden – wo gibt es Netzverknüpfungspunkte für Anlagen, welche Leitungskapazitäten sind vorhanden, wo könnten Elektrolyseure stehen. Der Bürgermeister Egert beschreibt die Stimmung gegenüber den Erneuerbaren in Zörbig als aufgeschlossen und glaubt, dass die Zörbiger sich auf das Energiewende-Spiel grundsätzlich einlassen würden und dass es die Akzeptanz befördern könnte.

In den nächsten Monaten sollen die Zörbiger Einwohner die Chance dafür bekommen: Dann soll die Demo-Version in Anhalt-Bitterfeld und Düren-Jülich in größer angelegten Tests von Bürgerinnen und Bürgern ausprobiert werden. Die Forschenden interessiert dabei auch, wie neue Technologien – beispielsweise Floating-PV – ankommen. In einer Bergbaufolgelandschaft wie jener rund um Düren könnten schwimmende Solaranlagen künftig eine größere Rolle spielen, weil dort aus alten Restlöchern und Kiesgruben künstliche Seen werden sollen. Solarpaneele dürfen nur auf künstlich angelegten Gewässern schwimmen.

Konzept künftig frei verfügbar

Bis zum April ist Zeit, das Spiel zu perfektionieren und fertigzustellen. Dann endet das Forschungsprojekt. Grundfunktionen und die Konzeption wollen die Wissenschaftler interessierten Kreisen, Planungsregionen, Gemeinden als Open-Source-Variante zur Verfügung stellen – also quasi die Anleitung, die Regeln und die Spielfiguren. Mit aktuellen räumlichen Daten ihrer jeweiligen Region müssten die Kreise oder Kommunen das Spiel nach ihren Bedürfnissen selbst füttern, das heißt, um das Spielbrett müssten sie sich kümmern oder Dienstleister beauftragen.

Wenn mehrere Gemeinden sich dafür zusammenschließen, dürfte das leistbar sein, meint der Zörbiger Bürgermeister Egert. Katharina Dropmann und Valentin Leschinger glauben, dass das virtuelle Spiel als ein informelles Angebot andere Beteiligungsformen gut ergänzen kann: Wer abends keine Zeit oder Lust hat, zur Einwohnerversammlung zu gehen, könnte sich am Computer ein Bild machen.

Dass sich die Sicht auf Erneuerbare ändern kann, wenn Anwohner mitgestalten dürfen, haben die Forschenden in einem Vorgänger-Projekt vor vier Jahren im Kreis Ebersberg erfahren. Der bayrische Landkreis will bis 2030 frei von fossilen Energieträgern sein. Eine Gruppe von Bürgern entwickelte daraufhin in Workshops mit wissenschaftlicher Begleitung und mit einer anschließenden 3D-Simulation ein Konzept. Konzentrierten sie sich anfangs auf Solaranlagen, setzten sie schließlich auf einen Mix aus Wind und Sonne – um Fläche zu sparen.

Die Beteiligten stellten außerdem erstaunt fest, wie viele Windkraftanlagen sich landschaftsverträglich platzieren ließen, auch außerhalb von Wäldern, wo sie in Ebersberg besonders umstritten sind. Das Bürger-Konzept war unverbindlich, doch es stieß Diskussionen im Kreistag und der Öffentlichkeit an. Die Laien entschieden: Jede der 21 Gemeinden sollte ein Windrad erhalten. Das dürfte so zwar kaum umsetzbar sein. Aber die Simulation machte deutlich, worauf es Bürgern ankommt: Fairness zum Beispiel.

 

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