In dieser Reihe stellen wir Ihnen Ideen und Lösungen für die Energiewende vor.
In der Weimarer Notenbank sind sie alle versammelt: Mendelsohn, Schubert, Beethoven, Liszt und Bach. Die ehemalige Staatsbank, ein Kulturdenkmal, beherbergt heute ein Gästehaus mit Ferienwohnungen, die nach den Komponisten benannt sind. Alle hatten eine Beziehung zu Weimar oder Goethe. Wer in der Notenbank bucht, bekommt ein Quartier mit einmaliger Aussicht: Auf dem Dach des wuchtigen Sandsteinbaus bietet eine große Terrasse einen weiten Blick über die Stadt. Die Terrasse ist eingerahmt von Solarpaneelen. Denkmalschutz und Sonnenstrom, im thüringischen Weimar geht das zusammen. Die Anlage gehört der Bürgerenergiegenossenschaft Ilmtal. Probleme beim Bau habe es nicht gegeben, erzählt Matthias Golle, Vorstand der Genossenschaft. Denkmalschützer und Planer hätten sich gut verstanden. „Der Denkmalschutz hat sich geöffnet“, sagt er. Durften Solaran lagen auf den Dächern in Weimar lange Zeit von der Straße aus nicht sichtbar sein, ist das heute nicht mehr ausgeschlossen. Manchem hier gelten Solaranlagen auf historischen Gebäuden als „zu akzeptierende Zeitschicht“.
Die Ilmtal-Genossenschaft unterhält ein Büro gleich gegenüber der Notenbank. Im Schaufenster des Büros duckt sich ein kleines weißes Windrad neben einem Balkonsolarmodul. Über die Scheibe zieht sich die Aufschrift: „Ökostrom aus Thüringen.“ Seit 2013 gibt es die Energiegenossenschaft. Golle gehört zu den 18 Gründungsmitgliedern. Der gebürtige Thüringer hat in Weimar Architektur studiert und sich bereits im Studium mit Photovoltaik beschäftigt. Statt Architekt zu werden baute er eine Firma für PV-Installationen auf. Als die Stadt Weimar vor elf Jahren Dächer für die Installation von Solaranlagen ausschrieb, gab das den Anstoß für die Gründung der Genossenschaft.
Die Solaranlage auf dem Dach des städtischen Bauhofs war 2013 eines der ersten Projekte der Ilmtaler. Rund 30 000 Kilowattstunden Energie speist sie im Jahr ins Netz ein. Insgesamt 16 Solaranlagen hat die Genossenschaft inzwischen auf Dächern in Weimar und im Umland gebaut. Von der Terrasse des Bankhauses ist eine der neueren Anlagen in Weimar gut zu sehen, auf einem Förderschulzentrum ganz in der Nähe. Aber auch Turnhallen, eine Kita, eine Wohnanlage und die Tribüne eines Stadions hat die Genossenschaft mit Photovoltaik ausgestattet. Manche Anlagen speisen den Strom komplett ins Netz ein, andere liefern Energie für die Bewohner oder Nutzer der Gebäude, dritte eine Mischung aus beidem.
Auch eine Freiflächen-PV-Anlage auf einer ehemaligen Deponie im Umland der Stadt ist entstanden. Sie erzeugt im Jahr etwa 1,6 Millionen Kilowattstunden Energie. Der Strom wird unter dem Siegel „Thüringer Landstrom“ vom Ökostromanbieter Bürgerwerke vermarktet. Das ist eine Dachorganisation von Energiegenossenschaften, die Grünstrom aus lokaler Erzeugung bündelt und Haushalte damit versorgt. Insgesamt hat die Genossenschaft im vergangenen Jahr fast zwei Millionen Kilowattstunden Solarstrom erzeugt – das entspricht etwa dem Bedarf von 1000 Zwei- Personen-Haushalten.
Neues Windprojekt
Vom Dach des Bankgebäudes nicht zu sehen sind die Windräder in Uthleben, rund 100 Kilometer von Weimar entfernt. Die Ilmtal-Genossenschaft ist seit Juni 2021 mit 15 Prozent an zwei Windenergieanlagen vom Typ Enercon E115 mit je drei Megawatt Leistung beteiligt. Gebaut hat die Anlagen der Projektierer Energiequelle mit Hauptsitz im brandenburgischen Kallinchen. 2018 hat Energiequelle die beiden Windräder an die Stadtwerke Nordhausen verkauft. Daran geknüpft war die Bedingungen, 49 Prozent der Anteile an Bürgerenergiegenossenschaften zu veräußern. Beteiligt haben sich schließlich die Stadt Heringen/Helme, ein landwirtschaftlicher Bewirtschafter und fünf Bürgerenergiegenossenschaften – darunter Ilmtal aus Weimar. Sie sind als Kommanditisten an der Windpark Uthleben GmbH und Co.KG beteiligt. Die beiden Anlagen haben im vergangenen Jahr rund 14 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt – davon gehen vier Millionen Kilowattstunden auf das Konto der Weimarer Genossenschaftler.
Die Ilmtaler und zwei weitere Thüringer Genossenschaften arbeiten in einem weiteren Windkraft-Projekt mit dem Projektierer Energiequelle zusammen– dem geplanten Bürgerwindpark Großschwabhausen, etwa 15 Kilometer von Weimar entfernt. Die Genossenschaften hatte sich mit der Idee an Energiequelle gewandt, auf einem Höhenzug Windräder zu bauen. Energiequelle will dieses Mal anders vorgehen als in Uthleben und die Genossenschaften enger einbinden, sagt Stefan Siegmund, Abteilungsleiter Projekte bei Energiequelle in Erfurt. Hat der Projektierer in Uthleben den Windpark fertig entwickelt und dann verkauft, seien die Genossenschaften dieses Mal von Anfang an bei der Entwicklung dabei.
Sie sollen sich außerdem nicht nur an einer Gesellschaft finanziell beteiligen, sondern tatsächlich ein oder zwei der Anlagen kaufen können. „Es ist für die Bürgerenergiegenossenschaften auch lukrativer, Projekte mitzuentwickeln. Sie haben dadurch die Chance, höhere Renditen zu erzielen“, erläutert Siegmund. Das Modell von Großschwabhausen könne für das Unternehmen künftig eine Blaupause sein für eine Zusammenarbeit mit Bürgerenergiegenossenschaften. Energiequelle hat sich als Träger des Siegels „Faire Windenergie Thüringen“ zu Transparenz und Zusammenarbeit verpflichtet.
Bürger sollen mitreden
Windenergieanlagen in Bürgerhand sind eher selten in Thüringen. „Von den 850 Windrädern in Thüringen sind 90 Prozent nicht im Eigentum von Bürgern, Bürgerinnen oder Unternehmen aus Thüringen“ schreiben Genossenschaftler und Projektierer in einem Werbeprospekt für den Windpark Großschwabhausen, der sich an die Anwohner wendet. „Wir wollen gemeinsam mit Ihnen zeigen, wie es gehen kann. Sie können eine eigene Genossenschaft im Umfeld des Projektes gründen oder sich an einer der drei bestehenden Genossenschaften beteiligen und Miteigentum erwerben,“ heißt es dort weiter.
Matthias Golle geht es bei solchen Projekten um „echte Beteiligung“. Die gesetzlich möglichen 0,2 Cent pro Kilowattstunde freiwilliger Abgabe von Windkraftbetreibern an Kommunen sind für ihn eine „gekaufte“ Akzeptanz. „Echte Beteiligung heißt, es zu schaffen, dass Bürger mitreden, sich wirklich interessieren und einen finanziellen Mehrwert haben.“ In Großschwabhausen gestaltet sich das allerdings schwieriger als erwartet. Ist die Stimmung in einer Kultur- und Universitätsstadt wie Weimar eher aufgeschlossen gegenüber Erneuerbaren, regt sich vor allem auf dem Land Widerstand gegen Windkraftanlagen.
Thüringen gehört zu den bundesweiten Schlusslichtern beim Windkraftausbau. Die CDU – die Thüringen lange regiert hat - sträubt sich dagegen. Nun kommt als neuer Bremser eine erstarkte AfD hinzu. Die Energiegenossenschaften wollen in Großschwabhausen die Gemeinde mit ins Boot holen. Sie organisierten Bürgerstammtische, auf denen das Projekt diskutiert werden sollte. Doch die Bürger blieben weitgehend fern, vor allem interessierte Flächeneigentümer kamen. Die Gemeinde sei auf Gesprächsangebote nicht eingegangen, bedauert Golle. An ihrem Vorhaben für den Bürgerwindpark halten die Genossenschaften fest. Sie wollen weiter versuchen, sagt Golle, mit der Gemeinde ins Gespräch zu kommen.
Gewinnausschüttung von drei bis vier Prozent
410 Mitglieder zählt die Ilmtal-Genossenschaft derzeit. Darunter sind Leute, die in erster Linie die Energiewende voranbringen wollen und solche, die vor allem ein Investment suchen. Das prominenteste Mitglied ist jenes mit der Nummer 100 – der Astrophysiker und Moderator Harald Lesch aus München. Ein Anteil kostet 500 Euro, jedes Mitglied hält im Schnitt 15 Anteile. In den vergangenen Jahren lag die Gewinnausschüttung bei jährlich drei bis vier Prozent. Über rund drei Millionen Euro Eigenkapital der Mitglieder kann die Genossenschaft derzeit verfügen. Und sie ist gefragt: Gegenwärtig bekommt sie mehr Anfragen nach Projekten, als sie finanzieren kann. „Ein Luxusproblem“, meint Golle. Ilmtal investiert in Solardächer ebenso wie in Freiflächen-PV. „Wenn du wirtschaftlich vorankommen willst, musst du in große Projekte reingehen“, sagt Matthias Golle. „Wir sind unternehmerisch tätig.“
Golle wünscht sich für Genossenschaften gerechtere Bedingungen bei den Ausschreibungen von Projekten nach dem Erneuerbare-Energien- Gesetz (EEG). Kleine Akteure seien im Wettbewerb benachteiligt. Sie würden gegen große Projektierer und Konzerne antreten, die sich mit sehr viel größeren Projekten bewerben. Akteursvielfalt und Chancengleichheit würden so eingeschränkt. Fair wäre aus seiner Sicht, wenn Projekte konkurrieren, die von ihrer Größe vergleichbar sind und ähnliche Standortbedingungen haben. Dann könnten Bürger als Miteigentümer von Anlagen stärker zum Zuge kommen.
Dieser Text stammt aus der Ausgabe 07/08/2024 von neue energie.