neue energie: Im Juli wurde öffentlich bekannt, dass der chinesische Hersteller Mingyang dafür im Gespräch ist, in der deutschen Nordsee den Windpark Waterkant zu errichten. Die Branche wie auch die Politik wurde von dieser Nachricht aufgescheucht. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Andreas Reuter: Das kommt für mich nicht komplett überraschend. Dass es für alle geplanten Offshore-Projekte, bei uns, bei den Anrainerstaaten, nicht genug Herstellerkapazitäten gibt, wurde ja in der Branche bereits mit einiger Sorge festgestellt. An den Ausschreibungsrunden haben sich Projektierer beteiligt, ohne Lieferverträge mit den üblichen bekannten Herstellern der westlichen Hemisphäre zu haben. Es war also klar, es würde schwierig werden, sollten diese Firmen den entstehenden Bedarf an Anlagen decken müssen. Ebenso ist offensichtlich, dass Projektierer, die großen finanziellen Aufwand betreiben, um Ausschreibungen zu gewinnen, nach einer Lösung für diesen Engpass suchen. Da ist es nur naheliegend, den chinesischen Markt in den Blick zu nehmen.
ne: Klingt so, als müssten wir uns an diese Situation gewöhnen …
Reuter: Kommt darauf an, wie es bei den Themen Ausschreibungsdesign sowie Resilienz und der Diskussion um eine verringerte Abhängigkeit von China weitergeht. Dann kommt es aber auch auf die Pläne der chinesischen Unternehmen an. Mingyang hat erklärt, dass sie in Europa investieren wollen. Es gibt also viele Variablen, viele Fragen. Wird ein chinesischer Investor immer noch als ‚chinesisch‘ definiert, wenn er eine Fabrik zum Beispiel in Norddeutschland eröffnet? Genau diese Entwicklung erleben wir jetzt in Cuxhaven, wo die chinesische Titan Gruppe ein Werk für Monopiles, Fundamente von Offshore-Anlagen, errichtet. Ist das dann noch eine chinesische Firma, weil der Investor aus China kommt? Sonst interessieren wir uns ja oft auch nicht dafür, wer wo Investor ist. Das ist eine ziemlich komplexe Gemengelage.
ne: Wie dürfte sich das Ganze demnach weiterentwickeln?
Reuter: Ich denke nicht, dass künftig Hardware im großen Stil aus China in europäischen Offshore-Projekten verbaut wird. Anders als bei Solarzellen ist der Transportweg zu aufwendig und zu teuer. Wahrscheinlicher ist, dass relativ schnell eine Lieferkette vor Ort aufgebaut wird. Dann geht es wieder um diese Fragen: Wer kontrolliert welche Firma über welche Investoren? Und welche Rolle spielt China dann politisch? Die Gemengelage ist schwer zu bewerten.
ne: Wobei Waterkant nicht das erste Offshore-Projekt in Europa ist, das mit Anlagen von Mingyang bestückt wird. Der Anfang wurde 2021 vor der italienischen Küste gemacht…
Reuter: Sicher, chinesische Unternehmen sind global in Offshore- und Onshore-Märkten unterwegs und versuchen auch in Europa immer wieder einen Fuß in die Tür zu kriegen. Das ist nicht ganz neu, siehe den Hersteller Vensys, bei dem ebenfalls chinesische Investoren eingestiegen sind. Im Fall von Waterkant geht es allerdings insgesamt um relativ wenige Anlagen.
ne: Es sind insgesamt 16.
Reuter: Bezogen auf die Gesamtmenge der in Europa geplanten Offshore-Projekte ist das sehr wenig. Aber die Frage bleibt, wie es langfristig weitergeht, was als kritische Infrastruktur bewertet wird und welche Rolle Europa dabei chinesischen Firmen einräumen möchte. Noch vor drei Jahren war das alles kaum ein Thema. Die Produkte der chinesischen Zulieferer haben den Strompreis gesenkt, das hat alle gefreut. Dabei ging es vor allem um den Photovoltaik-Bereich. Aber es kommen längst auch viele Komponenten für Windenergieanlagen aus China. Das liegt am Ausschreibungsdesign, bei dem in unseren Breitengraden einfach nur auf den Preis geschaut wurde. War ein Rotorblatt aus China im Vergleich am preiswertesten, dann gab es gar keine andere Wahl. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, die jeweiligen Ausschreibungen zu gewinnen.
ne: Die chinesischen Firmen genießen Vorteile durch finanzielle Hilfen seitens Peking, was wiederum den europäischen Ausschreibungsteilnehmern zugutekommt. Welche weitere Entwicklung wäre aus Ihrer Sicht wünschenswert?
Reuter: Es ist bekannt, was im Photovoltaik-Bereich passiert ist. Es entstand eine komplette Abhängigkeit des europäischen Markts von China, letztlich wurden sämtliche westlichen Hersteller systematisch verdrängt. Die Politik sollte so klug sein, dass das für den Windenergiebereich keine Perspektive sein kann. Wir brauchen Resilienz. Hinsichtlich der kompletten erneuerbaren Energieversorgung nur von einem Land mit einer solchen Regierung abhängig zu sein ist das Unvernünftigste, was man tun kann. Es muss also dafür gesorgt werden, dass es faire Marktregeln gibt.
ne: Seit einiger Zeit ist nicht mehr davon die Rede, die Schotten in Richtung China komplett dicht zu machen. Vielmehr sollen durch Abhängigkeiten entstandene Risiken gemindert werden, Stichwort De-Risiking. Wie könnte das aussehen?
Reuter: Ich bin kein Jurist oder Volkswirt. Aber ich denke, dass es wichtig ist, schnell und umfassend zu definieren, was zur kritischen Infrastruktur gehört. Damit würde andererseits klar werden, welche Komponenten für welche technischen Einrichtungen aus China kommen dürfen und welche nicht. Das wiederum würde mit Sicherheit helfen, das Bestehen der europäischen Hersteller abzusichern. Über Resilienz-Boni wird ja bereits diskutiert.
ne: Sie hatten es angesprochen, viele Anlagenkomponenten kommen bereits aus China. Was würde es für die europäische Erneuerbaren-Branche mit sich bringen, wenn kritische Infrastrukturen genauer definiert wären?
Reuter: Es wird darüber diskutiert, dass ein möglichst guter CO2-Fußabdruck bei der Anlagenproduktion ein Kriterium für einen Zuschlag in den Ausschreibungen sein soll. Damit würden Produkte aus europäischer Fertigung zum Zug kommen – ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass sämtliche jener Komponenten von wirklich europäischen Herstellern geliefert werden, bei denen es zum Beispiel um die Fernsteuerung der Anlage, Datentransfers oder den Stromnetzbetrieb geht. Also ich denke schon, dass es Hebel gibt, die mit den Regeln der Weltwirtschaftsorganisation kompatibel sind, um die kritische Infrastruktur hierzulande zu schützen.
ne: Allerdings bleibt von einer modernen Windenergieanlage nach solchen Kriterien nicht mehr viel übrig für Zulieferer aus Fernost, schließlich wächst der Digitalisierungsgrad ständig…
Reuter: Es läuft letztendlich darauf hinaus, dass Monopiles von chinesischen Firmen geliefert werden und meinetwegen auch noch Rotorblätter. Der Rest lässt sich nicht mehr entwirren. Es ist einfach nicht möglich, einen Triebstrang zur einen Hälfte von Siemens Gamesa und zur anderen von Mingyang liefern zu lassen. Das funktioniert nicht. Was funktioniert, ist, Schnittstellen zu definieren. Damit sind dann chinesische Rotorblatt-Hersteller mit von der Partie. Bei diesem Bauteil gibt es nichts, was wirklich ‚kritisch‘ für die Versorgungssicherheit ist. Dann bliebe nur noch die Frage der Abhängigkeit im Sinne der benötigten Liefermengen. Das lässt sich aber sicher in den Griff bekommen.
ne: Nicht wegdiskutiert werden kann, dass die heimischen Anlagenhersteller derzeit zu wenig Kapazitäten haben. Was bedeutet das für die europäischen Energiewende-Ziele?
Reuter: Wenn es um die europäischen Offshore-Projekte geht, dann entsteht um 2030 herum für drei, vier Jahre ein Peak. In der Nordsee werden sehr viele Windparks entstehen, dafür braucht es eine gigantische Menge an Anlagen. Sobald diese Installationsziele weitgehend erreicht sein werden, fällt die Kurve ab. Allerdings kommt dann wieder das RepoweringAustausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort.Austausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort. der ersten Offshore-Projekte hinzu. Es kann also sein, dass sich die anvisierten Installationsmengen um fünf Jahre nach hinten verschieben. Aber das kennen wir. Beim Netzausbau werden Nachrichten darüber, dass sich alles um zehn Jahre verzögert, regelmäßig sehr gelassen zur Kenntnis genommen.
ne: An die Verzögerungen beim Netzausbau hat man sich inzwischen gewöhnt. Bei der Installation von Windstromkapazitäten geht es jedoch sehr direkt um Klimaschutz …
Reuter: Klar werden wir in letzter Konsequenz unsere Klimaziele reißen. Allerdings sind im Werden und Sterben der Maßnahmen zur CO2-Reduktion fünf Jahre, die wir für den Windenergieausbau länger brauchen könnten, im Vergleich nicht besonders dramatisch. Da habe ich andere Sorgenpunkte.
ne: Welche sind das?
Reuter: Es geht um die vielen anderen nötigen Infrastrukturmaßnahmen wie Gebäudesanierung oder Verkehrswende. Wie lange werden wir für den Ausbau und die Sanierung der Bahn brauchen? Da verzögert sich alles! Bisher war die Erneuerbaren-Stromerzeugung immer das Vorzeigekind in Sachen Energiewende. Wenn es jetzt mal ein bisschen länger dauert – nun gut. Angesichts der immer rasanteren technologischen Entwicklung ist das aus meiner Sicht als Ingenieur gar nicht schlecht. Bevor wie wild überall teure 20-Megawatt-Anlagen aufgestellt werden, sollte es auch mal Zeit für ausreichend viele Tests geben. Das heißt, ich bin aus technischer Sicht nicht komplett traurig, wenn wir das eine oder andere Ziel nicht in diesem rasanten Tempo erreichen, sondern eben zwei, drei, vier, fünf Jahre später.
ne: Allerdings hat beim Thema Superlative wiederum Mingyang die Nase vorn. Die Offshore-Anlage für Waterkant gilt derzeit als leistungsstärkste weltweit. Was ist von der Maschine zu halten?
Reuter: Das ist eine klassische Dreiblatt-Anlage mit einem klassischen Triebstrang, Getriebestufen und einem mittelschnell laufenden Permanentmagnetgenerator. So, wie es auch europäische Hersteller, etwa Vestas, machen. Insofern ist die Anlage nicht besonders ausgefallen oder etwa neuartig. Nur einfach besonders groß. Und das ist anspruchsvoll genug. Die Rotorblätter sind 140 Meter lang. Als ich mir die ansehen konnte, habe ich mich unwillkürlich gefragt, wie das funktionieren soll. Es geht um gigantische rotierende Massen. Dazu gibt es praktisch keine Erfahrungswerte, was die Unternehmung ja aus Expertensicht so interessant macht. Das gilt auch für den Transport – eine riesige logistische Herausforderung. Ich bin sehr sicher, dass viele aus der Branche dieses Projekt sehr aufmerksam beobachten werden.
ne: Bei dem Thema überlagern sich etliche Aspekte. Da ist grundsätzlich das Risiko der Abhängigkeit von China, dann die Herausforderung durch gigantische Anlagengrößen und alte Ressentiments hinsichtlich der Qualität chinesischer Hightech-Produkte. Dazu kommt noch die Frage, wie chinesische Hersteller in Europa guten Anlagenservice gewährleisten können …
Reuter: Ich glaube, mittlerweile geht es nicht mehr um große technologische Unterschiede zwischen europäischen und asiatischen Herstellern. Ich kenne persönlich viele Ingenieure bei Mingyang und habe keinerlei Zweifel an deren Kompetenz. Die Windparks in China laufen ja auch prima und produzieren ohne Ende Terawattstunden grünen Strom. Und zwar unter widrigen Bedingungen. An den Standorten gibt es Sandstürme und Taifuns. Die Chinesen haben also sehr viel Betriebserfahrung. Aber es gibt Unterschiede bei der Mentalität. Wir wissen, dass chinesische Firmen tendenziell etwas risikobereiter sind, wenn es um neue Technologien geht. Zwischen diesen Aspekten muss abgewogen werden.
ne: Was genau ist dabei der Punkt?
Reuter: Um es so zu sagen: Wenn in einem Offshore-Park eines europäischen Herstellers etwas schiefgeht, wissen alle Beteiligten, wer sich darum kümmert. Es existiert eine riesige Logistik-Wertschöpfungs-Kompetenzkette, die bei Problemen sofort anspringt. Dazu braucht es extrem viel Netzwerkwissen. Und das fängt nicht erst hinterher, sondern schon beim Aufbau des Parks an. Es geht darum, innerhalb einer Saison eine logistische Meisterleistung hinzulegen, bei der sehr viele Themen ineinandergreifen, von der Verfügbarkeit von Schiffen bis hin zu Arbeitszeitgesetzen. Diese spezifisch europäischen Aspekte von China aus in den Griff zu bekommen, muss für jeden Hersteller dort eine der größten Herausforderungen sein. Dahinter tritt die Frage, mit welcher Risikobereitschaft solche riesigen Anlage ausgelegt sind, eigentlich zurück.
ne: Unterm Strich bleibt übrig, dass perspektivisch chinesische Firmen in Europa eine ernstzunehmende Rolle spielen, wenn die Politik das gestattet. Richtig?
Reuter: Ja, klar, warum nicht? Technologisch ist das kein Hexenwerk, und es gibt dort gute Ingenieure sowie finanzkräftige Firmen. Die haben auf der Welt schon alles Mögliche hingekriegt. Das hat im Haushaltsbereich angefangen und das lässt sich beliebig weiterdenken: von der Waschmaschine und dem Fernseher zum E-Auto und schließlich zum Kraftwerk. Das können Windparks, Gaskraftwerke oder Atomkraftwerke für Ungarn sein. Es kommt nur darauf an, was wir in Europa wollen. Letztlich geht es um die Frage, wie unsere zukünftige Welt aussehen soll, wie wir uns Arbeitsteilung denken.
Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 09/2024 von neue energie erschienen.
ist seit 2010 geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer Iwes und bekleidet parallel dazu eine Professur für Windenergietechnik an der Leibniz Universität Hannover, Fakultät für Bauingenieurwesen und Geodäsie. Nach seiner Promotion an der TU Berlin war er 15 Jahre lang in der Windindustrie als Projektingenieur, Leiter der Technik und Geschäftsführer tätig. Nach dem Aufbau eines eigenen Ingenieurbüros mit dem Arbeitsschwerpunkt Windenergieanlagenentwicklung kehrte er in die Wissenschaft zurück. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des VGBE und Sprecher des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE).