neue energie: Herr Wolf, Sie befragen jährlich rund 6500 Deutsche zur Energiewende. Zwischen 64 und 67 Prozent der Thüringer, Sachsen und Brandenburger haben 2023 dem Windkraftausbau zugestimmt. In den westlichen Bundesländern waren das teils mehr als 80 Prozent. Wie kommt dieser Unterschied zustande?
Ingo Wolf: Wir befragen für das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energie- und Verkehrswende immer wieder dieselben Personen. Man sieht über die Zeit, dass die Zustimmung für die Energiewende allgemein und für Erneuerbare-Energien-Technologien wie Windenergie in den westlichen und östlichen Bundesländern angestiegen ist, im Osten sogar stärker. Das Niveau hat sich angeglichen, aber es gibt sehr wohl noch immer Unterschiede. In Thüringen lag die Zustimmung für die Energiewende 2023 bei 57 Prozent, in Sachsen bei 58 Prozent und in Brandenburg bei 52 Prozent.
ne: Sie haben auch nach der Akzeptanz für Anlagen im Wohnumfeld gefragt. Wie ist es damit bestellt, wenn sich das Windrad quasi vor der Haustür dreht?
Wolf: Im Vergleich zur generellen Befürwortung des Ausbaus und der Förderung von Windenergie an Land ist die sogenannte lokale Akzeptanz etwas niedriger. Dennoch ist auch hier eine Mehrheit in Thüringen, Sachsen und Brandenburg für Windkraft. Unsere Zahlen zeigen auch, dass in Krisen wie der Energiekrise 2022 die Handlungsbereitschaft der Menschen und die Unterstützung ambitionierter Klimapolitik eine andere ist. In Thüringen lag die allgemeine Zustimmung zur Energiewende 2022 zum Beispiel bei 66 Prozent, ein Jahr später ging sie zurück auf das alte Niveau von 2021, auf 57 Prozent.
ne: Wie erklärt sich der schnelle Rückgang?
Wolf: In Krisenzeiten sind Menschen eher bereit, weitreichende Transformationen mitzutragen. Die Sorge um die Sicherheit der Energieversorgung war zu der Zeit groß. Nachdem Deutschland Flüssiggas-Terminals gebaut hatte, die Versorgung stabilisiert war, richtete sich die Aufmerksamkeit auf andere Themen.
ne: Warum ist die Energiewende in den östlichen Bundesländern denn nun weniger akzeptiert?
Wolf: Da muss man ein komplexes Geflecht von Einflüssen betrachten. Zum einen geht es den Menschen um eine gerechte Verteilung von Belastung und Nutzen. In Bayern und Baden-Württemberg ist die Kapazität der Windenergie im Vergleich zu Nordostdeutschland geringer, obwohl der Strombedarf im Süden höher ist. Diese wahrgenommene Ungerechtigkeit beeinflusst, wie die Bevölkerung zu Erneuerbaren steht. Ein wesentlicher Faktor ist das Vertrauen in Institutionen, in Politik.
In Ostdeutschland haben dieses Vertrauen in Institutionen und die Zufriedenheit mit Demokratie in den vergangenen Jahren stark abgenommen, stärker als in Westdeutschland. Von jenen Menschen, die unzufrieden sind mit unserem politischen System, befürworten nur 35 Prozent die Energiewende; unter denen, die sehr zufrieden sind, liegt die Zustimmung bei über 80 Prozent. Die Situation in Ostdeutschland kann man unter anderem historisch erklären, aus den Erfahrungen der Wendezeit und den bis heute ungleichen Lebensverhältnissen in Ost und West. Die Akzeptanz wächst auch mit der Höhe des Einkommens. Und sie ist in der Stadt höher als auf dem Land.
ne: In Brandenburg wird deutlich mehr Windstrom erzeugt als in Sachsen und Thüringen, die Menschen dort sind mit viel mehr Windrädern in ihrem Umfeld konfrontiert. Aber die Akzeptanz in Brandenburg ist höher. Wie erklären Sie das?
Wolf: Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ermöglichen per Gesetz den Gemeinden eine finanzielle Teilhabe an der Windenergie. Mecklenburg-Vorpommern ist da vorangegangen, Brandenburg hat nachgezogen. Aber wir nehmen an, dass sich diese Teilhabe positiv auf die Haltung der Menschen gegenüber den Erneuerbaren auswirkt.
ne: Welchen Einfluss hat die finanzielle Beteiligung von Bürgern an Energieprojekten?
Wolf: Wir haben unterschiedliche Formen finanzieller Teilhabe von der individuellen Vergütung bis zur Vergütung von Gemeinden untersucht. Die Mehrheit bevorzugte Letzteres. Es wird als gerechter gesehen, wenn die Allgemeinheit Geld bekommt und nicht nur einzelne Bürger, die in einem bestimmten Abstand von einem Windrad wohnen. Doch am Ende geht es nicht nur um Geld, auch um Mitsprache. Gibt es eine tatsächliche Mitsprache oder werden Mitspracheformen nur als Marketinginstrumente genutzt? Soziale Normen sind gleichfalls sehr entscheidend, die Frage, wie andere Menschen über etwas denken.
ne: Was heißt das?
Wolf: Nach unseren Befragungen 2023 befürworten zwei Drittel der Menschen in Deutschland den Ausbau von Windenergie und Freiflächen-Solaranlagen. Die Mehrheit der Befragten unterschätzt aber die Zustimmung bei ihren Mitmenschen massiv. Es ist wichtig, diese tatsächlichen Mehrheiten auch zu kommunizieren.
ne: Wie kann Akzeptanz außerdem gesteigert werden?
Wolf: Eine Möglichkeit ist, lokale Allianzen von Akteuren für die Energiewende aufzubauen. Wenn mein Verein da mitmacht, wenn mein Unternehmen mitmacht, hat das eine andere Wirkung, als wenn etwas „von oben“ vorgegeben wird. Und man muss den Menschen auch erzählen, welchen Nutzen sie von der Energiewende haben und nicht nur über Belastungen reden.
arbeitet am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Rifs in Potsdam, wo er interdisziplinäre Projekte zu den Themen Mobilität, Energie, Klima und Gesellschaft leitet und koordiniert. Seit 2020 leitet er das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer. Dafür werden in einer jährlichen Onlinepanelbefragung Einstellungen, Anliegen und Bewertungen zur Energie- und Verkehrswende von mehr als 6 500 Personen erhoben.