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Ideen und Lösungen

Kreativ sein hilft bei Fachkräftemangel

Das Serviceunternehmen Deutsche Windtechnik unterstützt Quereinsteiger dabei, fehlende Qualifikationen zu erwerben. Auch die Bedingungen für Azubis sind gut.
Von:  Annette Jensen
03.12.2024 | 10 Min.
Erschienen in: Ausgabe 12/2024
Wartungsarbeiten am Leuchtfeuer: Die Deutsche Windtechnik geht unkonventionelle Wege, um gute Fachkräfte an sich zu binden.
Wartungsarbeiten am Leuchtfeuer: Die Deutsche Windtechnik geht unkonventionelle Wege, um gute Fachkräfte an sich zu binden.
Foto: Deutsche Windtechnik

Malte Weit-Möllers Arbeitsplatz befindet sich gegenwärtig 90 Kilometer vom Festland entfernt. Jeden Tag fährt er mit dem Fahrstuhl die Türme von Windmühlen hinauf, um die Anlagen zu warten, Filter zu tauschen, Öl zu wechseln oder kaputte Komponenten zu reparieren. Die Nächte verbringt er zusammen mit ein paar Dutzend Kollegen auf einem Spezialschiff – im Fachjargon Service Operation Vessel. 14 Tage Arbeit, 14 Tage frei – das ist sein Arbeitsrhythmus.

Im vergangenen März hat der 43-Jährige die Weiterbildung zur „Elektrofachkraft in der Industrie“ abgeschlossen. Die IHK Bremen prüfte ihn und sieben weitere Kollegen von der Deutschen Windtechnik in englischer Sprache – ein echtes Novum in Deutschland. Weit-Möller darf jetzt ohne Aufsicht elektrische Arbeiten ausführen und außerdem ein Team leiten. Die sind im Offshore-Bereich oft international zusammengesetzt, da versteht es sich, dass bei der Arbeit in der Regel Englisch gesprochen wird. Auch die Hinweisschilder in den Anlagen sind in der Weltsprache verfasst.

Weit-Möller ist gelernter Heizungsbauer, hataber schon 16 Jahre Berufserfahrung in der Windbranche – erst war er bei Siemens in Dänemark, zur Deutschen Windtechnik kam er 2018. In Mitarbeitergesprächen hatte er seine Vorgesetzten mehrfach nach Qualifizierungsmöglichkeiten im Elektro-Bereich gefragt. Als ihm dann der von seinem Arbeitgeber initiierte und von der IHK zertifizierte Kurs angeboten wurde, freute er sich: Die dreimonatige Maßnahme ließ sich gut mit seinem Familienleben vereinbaren. Für die Lernzeit wurde die Gruppe beim Bildungsträger untergebracht, war von der Arbeit freigestellt und bekam den vollen Lohn.

„Mein Englisch war auch vor der Weiterbildung recht gut. Aber im Kurs ging es ja auch viel um Fachsprache, und die war für uns und auch die Lehrer durchaus eine Herausforderung“, berichtet der Servicetechniker. Im Unterricht fand vieles auf Deutsch statt. Doch bei der Prüfung mussten er und seine Kollegen alles auf Englisch erklären können. Gern nahmen sie zur Vorbereitung Online-Übersetzungs-Tools wie Deepl zur Hilfe. „KI war sehr hilfreich“, so Weit-Möller.

Neues Konzept

„Eine Prüfung auf Englisch war natürlich auch Für uns was Besonderes“, sagt Claudia Schlebrügge, Teamleiterin für Weiterbildung an der Bremer Industrie und Handelskammer (IHK). Dass die Deutsche Windenergie sich mit dem Wunsch nach einer passgenauen Qualifizierung meldete, war dagegen nichts Ungewöhnliches. In solchen Fällen recherchiert die angefragte IHK zunächst, ob es irgendwo in Deutschland schon etwas Entsprechendes gibt. Weil das nicht der Fall war, erarbeitete die Bremer Handelskammer eine Rechtsvorschrift, in der Zulassungsvoraussetzungen und Inhalte der beruflichen Weiterbildung festgeschrieben wurden.

Wie üblich erstellten Fachexpertinnen und -experten die schriftlichen Aufgaben. Eine ehrenamtliche Kommission aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Lehrenden ist hingegen für die mündliche Befragung zuständig. Die Durchführung des Lehrgangs übernahm das Berufsförderungswerk Friedehorst. „Das Ganze wird sicherlich fortgesetzt. Es gibt auch schon erste Anfragen aus anderen Bundesländern“, berichtet Schlebrügge.

Sprachen werden auf den Arbeitsmärkten immer wichtiger – und das in vielfältiger Hinsicht. Anfang November warnte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums noch einmal eindringlich vor dem zunehmenden Arbeitskräftemangel in Deutschland, da die Babyboomer nach und nach in Rente gehen. Schon 2023 betrug die Lücke zwischen denjenigen, die den Arbeitsmarkt verlassen, und den Nachrückern 340.000 Menschen. Im Jahr 2027 wird die Differenz sogar auf 470.000 Personen ansteigen. 

Migration und eine sehr gute Integration von Geflüchteten sind neben einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen die größten Hebel, mit denen dem Problem begegnet werden könnte. Das Forschungsteam riet deshalb, Geflüchtete stärker zu unterstützen, mehr Einwanderer anzulocken und ausländische Qualifikationen rascher anzuerkennen.

Zu wenig Fachkräfte, zu langsamer Windparkausbau

Für die Windenergiebranche könnte der Fachkräftemangel angesichts der gesetzlich verankerten jährlichen Ausbauziele zu einem Flaschenhals werden. Seit der Einführung des Ausschreibungssystems im Jahr 2017 ist der Sektor wirtschaftlich unter Druck geraten. Die Ausbildungsquote liegt deutlich unter der des gesamten Maschinenbaus, wie aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2023 hervorgeht. 

Im Servicebereich ist die Branche auf Quereinsteiger angewiesen und konkurriert mit dem Automobil-, Chemie- und Maschinenbau-Sektor um Arbeitskräfte, wo das Lohnniveau historisch bedingt höher liegt. Deshalb sind besondere Anstrengungen nötig. Der Bundesverband WindEnergie hatte vor einiger Zeit etwa eine Kampagne gestartet, um in der Öffentlichkeit über Berufsbilder zu informieren.

Bei der Deutschen Windtechnik steht das Thema Fachkräftegewinnung und -sicherung auf der Liste der Zukunftsthemen sehr weit oben. Gegenwärtig arbeiten dort etwa 2300 Menschen. 80 Prozent reparieren und warten Anlagen an Land oder auf dem Meer, die übrigen sitzen in Büros in Bremen oder an einem anderen deutschen Standort, in Großbritannien, Polen, Schweden, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, den USA oder Taiwan. Aktuell sucht Europas größtes Serviceunternehmen der Windbranche rund 150 neue Mitarbeiter.

„Vielleicht gibt es ja gar keinen Mangel an Fachkräften – vielleicht muss man sie einfach nur finden“, beschreibt Hanna Dudda ihre Haltung gegenüber Initiativbewerbungen, von denen jede Woche einige auf ihrem Schreibtisch landen. Seit zwei Jahren leitet die Betriebswirtin den Campus der Deutschen Windtechnik, zu dem drei Trainingscenter an unterschiedlichen Standorten gehören. Dort stehen Original-Turbinen von verschiedenen Herstellern, an denen nicht nur Azubis herumschrauben dürfen. Auch das übrige Personal kann bei Bedarf im sicheren Umfeld geschult werden.

Verschiedene Kanäle anzapfen

„Es gibt ja noch gar nicht so viele fertig ausgebildete Menschen in unserem Bereich“, fasst Edgar Kary zusammen. Er leitet seit einem halben Jahr die vierköpfige Abteilung, die den Arbeitsmarkt sondiert und Konzepte entwickelt, um Fach- und Führungskräfte zu gewinnen. Kreativität ist gefragt, lautet Karys Motto. So sucht das Unternehmen nicht nur den Kontakt zu regionalen Netzwerken und staatlichen Stellen, um Quereinsteiger zu finden, sondern ist auch auf zahlreichen Social-Media-Kanälen präsent.

Außerdem regt das Unternehmen seine Beschäftigten an, im eigenen Bekanntenkreis potenziell Interessierte anzusprechen. Immerhin für 40 Prozent der Einstellungen war das der Initial-Impuls. „Die Quote ist wahnsinnig hoch und zeigt nicht nur, dass unsere Leute wissen, was gebraucht wird. Sie haben offenbar auch Lust auf ihre Arbeit“, meint Kary, der die Atmosphäre bei Deutsche Windtechnik als eine Mischung aus Start-up-Energie und effektiven Organisationsstrukturen beschreibt.

„Welche Puzzleteile fehlen einer Person, damit sie gut bei uns arbeiten kann, fragen wir uns. Und dann haben wir hier einfach eine Machermentalität“, fasst Dudda zusammen. Mangelt es beispielsweise an Sprachkenntnissen, werden passende Lösungen gesucht. Das betrifft gleichermaßen die notwendigen Englischkenntnisse auf B2-Niveau im Offshore-Bereich wie auch ein entsprechendes Deutsch-Level für Menschen aus dem Ausland. 

Vor allem aus arabischen Ländern treffen relativ häufig Bewerbungen von Technikern ein, die in der Öl- und Gasförderung arbeiten oder in Deutschland studiert haben. Auch aus Kenia könnten demnächst einige neue Kollegen kommen: Dort läuft gerade ein staatlich gefördertes Projekt, das Fachkräfte für den Auslandseinsatz qualifiziert. Davon erfahren hat Kary über einen früheren Berufskontakt.

Internationale Anwerbestrategien

Solche Programme gibt es inzwischen in mehreren Ländern. 2020 hat die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Initiative „Hand in Hand for International Talents“ gestartet, bei der sie eng mit der Bundesagentur für Arbeit kooperiert. Das Geld kommt vom Bundeswirtschaftsministerium. Ziel ist es, qualifizierte Menschen mit Berufserfahrung aus Ländern wie Indien und Brasilien für eine Zukunft in Deutschland zu gewinnen und sie schon vor der Einreise mit deutschen Arbeitgebern zu verbinden.

Dafür gibt es eine Plattform, auf der die Unternehmen den aktuellen Fachkräftepool studieren können. An „Recruiting-Days“ haben sie dann die Möglichkeit, die Interessierten durch virtuelle Speed-Dating-Formate persönlich kennenzulernen. Eine DIHK-Spezialabteilung prüft, ob die Berufsabschlüsse aus dem Herkunftsland anerkannt werden können. Außerdem lernen die Bewerberinnen und Bewerber bereits im Herkunftsland die deutsche Sprache auf B1-Niveau. Dagegen gibt es im Bereich „Einwanderung in Ausbildung“ bisher nur wenig Angebote.

Anders sieht das bei einem anderen, ebenfalls vom Wirtschaftsministerium geförderten Projekt aus: Ursprünglich zielte das 2016 von engagierten Unternehmen gegründete Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ darauf ab, dass Menschen aus Syrien oder Afghanistan möglichst rasch eine qualifizierte Arbeit in Deutschland finden. „Solche soziale Motivation gibt es bei einigen natürlich auch heute noch, aber jetzt steht der Arbeitskräftebedarf eindeutig im Vordergrund“, sagt Projektleiterin Marlene Thiele von der DIHK. Sie organisiert das auf 4300 Firmen angewachsene Netzwerk, bei dem sich der Schwerpunkt inzwischen auf Azubis verlagert hat.

Sprachprobleme bei den Prüfungen

Während geflüchtete junge Leute in den Unternehmen vielfach durch hohes Engagement auffallen, sind ihre Prüfungsergebnisse oft für alle Beteiligten enttäuschend. „Viele Ausbildungsbetriebe haben dazugelernt und unterstützen die Azubis jetzt vom ersten Tag an vor allem bei der Sprache“, berichtet Thiele. Auch die vorgeschalteten, von der Bundesagentur geförderten vier- bis zwölfmonatigen Praktika seien hilfreich. Doch für anerkannte Berufsausbildungen werden die Prüfungsaufgaben von speziellen Einrichtungen verfasst. Die Aufgaben sind bundeseinheitlich gleich und die Musterprüfungsordnung schreibt in Paragraph 14 fest: „Die Prüfungssprache ist Deutsch.“ Zwar kann es Ausnahmen geben. Doch am Prinzip will kaum jemand etwas ändern.

Inzwischen setzen sich jedoch sowohl einige Arbeitgebervertreter als auch die IG Metall (IGM) dafür ein, dass die Aufgaben für Azubis mit Sprachdefiziten in einfacher Sprache verfasst oder die Prüfungsaufgaben sogar für alle Teilnehmenden verständlicher formuliert werden. Gegenwärtig ist der Stil meist anspruchsvolles Amtsdeutsch. So resultieren schlechte Noten in den Abschlussprüfungen oft daraus, dass die jungen Leute die Fragen nicht richtig verstehen, obwohl sie die Antworten im Prinzip kennen und auch sonst keinesfalls leistungsschwach sind. Unter solchen Voraussetzungen hilft es meist auch wenig, wenn sie als Nachteilsausgleich mehr Zeit bekommen, wie es bestimmten Behindertengruppen zugestanden wird.

Einfache Sprache bedeutet dabei nicht, das inhaltliche Niveau der Prüfungen zu senken, betont Thiele. Was allerdings steigt, sind die Anforderungen an diejenigen, die die Aufgaben formulieren. Die IGM plädiert außerdem für Möglichkeiten, begleitende Sprachkurse in Ausbildungen zu integrieren. Das geeignete Instrument dafür wäre eine vollwertige Berufsausbildung in Teilzeit, wie sie seit einigen Jahren existiert. Die Azubi-Zeit verlängert sich dann entsprechend.

Junge Leute gefragt

Um in Zukunft genügend Personal zu haben, bildet die Deutsche Windtechnik auch viele junge Leute aus. 114 Azubis gibt es zurzeit, die meisten werden Mechatronikerinnen und Mechatroniker. Eine von ihnen ist Vanessa Köver, die sich für den Offshore-Bereich entschieden hat. „Die erneuerbaren Energien sind mir aus Klimaschutzgründen sehr wichtig – und Windräder sind ein bisschen abenteuerlicher als Solaranlagen. Ich mag das Meer, bin gerne unterwegs und finde es interessant, in verschiedenen Teams zu arbeiten“, fasst sie die Motivation für ihren künftigen Beruf zusammen.

Nach dem Grundstudium der Geophysik war ihr klar geworden, dass sie lieber etwas Praktisches zur Energiewende beitragen möchte. Die Deutsche Windtechnik stand auf ihrer Liste potenzieller Ausbildungsbetriebe an erster Stelle. „Und die haben sich dann auch schnell bei mir gemeldet. So habe ich im September angefangen“, berichtet die 23-Jährige. Nun wohnt sie mit anderen Azubis in einer Betriebs-WG in der Nähe vom Trainingscenter Viöl nördlich von Husum und lernt in echten Maschinenhäusern verschiedener Windrad-Anbieter die Grundlagen von Elektrotechnik, Mechanik und Hydraulik.

Immer wieder kommen im Bremer Trainingscenter Schulklassen vorbei, bei denen die Jugendlichen nicht nur die Anlagen inspizieren dürfen, sondern auch einen Techniker in einem echten Windrad per Fernleitung befragen können. Außerdem nutzt die Deutsche Windtechnik Aktionstage an Hochschulen und Universitäten, um sich bekannt zu machen. Zwar könne man nicht so viel Geld bezahlen wie die Autoindustrie, räumt Kary ein. „Aber für viele steht heute eine sinnstiftende Arbeit an erster Stelle – und die bieten wir,“ umwirbt der gelernte IT-Fachmann den heiß begehrten Nachwuchs und begründet damit auch, warum er selbst bei der Deutschen Windtechnik angeheuert hat.

 

 

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