Stromnetz in der EU ist mehr als elf Millionen Kilometer lang und versorgt 266 Millionen Haushalte sowie Unternehmen in den 27 Mitgliedsländern. Die Kabellänge würde ausreichen, um die Erde 282-mal zu umrunden. Doch Länge allein genügt nicht. Die Leitungen müssen dringend ausgebaut und modernisiert werden, zeigt eine aktuelle Analyse des Europäischen Rechnungshofs. Denn die Stromnachfrage dürfte sich wegen E-Autos, Wärmepumpen und zunehmender Elektrifizierung in der Industrie bis 2050 mehr als verdoppeln. Zudem muss das Netz für die steigende Einspeisung von Ökostrom nutzbar sein. Netzbetreiber müssen deutlich höhere Investitionen einplanen als derzeit vorgesehen.
Die Grundstruktur des Stromnetzes in der EU stammt aus dem 20. Jahrhundert, als es für Großkraftwerke optimiert war und die eher dezentral ausgerichteten erneuerbaren Energien praktisch keine Rolle spielten. Fast die Hälfte der Leitungen ist älter als 40 Jahre. „Um die Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit der EU sicherzustellen, brauchen wir eine moderne Infrastruktur, die der Industrie nutzt und die Preise im Rahmen halten kann“, sagt Keit Pentus-Rosimannus, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den jetzt vorgelegten Bericht zuständig war.
Teure Modernisierung
Die EU-Kommission schätzt den Investitionsbedarf in die Netze bis 2050 auf rund 2,0 bis 2,3 Billionen Euro. Die derzeitigen Planungen der Netzbetreiber liegen laut Rechnungshof mit knapp 1,9 Billionen Euro noch darunter. Zudem werde die nötige Modernisierung durch schlechte Netzplanung, langwierige Genehmigungsverfahren, Probleme mit der öffentlichen Akzeptanz sowie einen Mangel an Ausrüstung, Material und qualifizierten Arbeitskräften gebremst. Die Rechnungshof-Prüfer schlagen daher unter anderem eine bessere Koordinierung von Netzplanungsverfahren und die Straffung von Genehmigungsverfahren vor.
Großen Wert legen die Prüfer auf mehr Flexibilität im Netz durch Anpassung an das fluktuierende Ökostrom-Angebot und mehr Stromspeicher. Dies könne dazu beitragen, den Investitionsbedarf zu senken. Dann sei es auch nicht unbedingt erforderlich, das Netz in großem Stil auszubauen, argumentiert der Rechnungshof. Instrumente wie intelligente Zähler könnten helfen, Nachfragespitzen zu kappen; hierbei werden Verbraucher wie Wärmepumpen und E-Autos, wenn ohne Komfortverlust möglich, zeitweise vom Netz genommen. Die Prüfer monieren jedoch, dass die Umrüstung auf sogenannte Smart MeterDigitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden.Digitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden. in einigen EU-Staaten „nach wie vor nur schleppend“ vorangehe. Das trifft übrigens auch auf Deutschland zu: Hierzulande sind erst rund 15 Prozent der Haushalte und Unternehmen mit intelligenten Stromzählern ausgestattet.
Der Rechnungshof plädiert ferner dafür, die dezentrale Stromproduktion und -nutzung besonders voranzutreiben, um das Netz zu entlasten – etwa durch Haushalte und Energiegemeinschaften, die gemeinsam Strom erzeugen und lokal verbrauchen. „Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um den Investitionsbedarf so gering wie möglich zu halten“, betont Rechnungshof-Expertin Pentus-Rosimannus. „Neue Technologien, Speichermöglichkeiten und flexiblere Netze können dazu beitragen, die Kosten zu senken.“
Auch ein stärkerer Ausbau der Verbundnetze zwischen den EU-Ländern müsse den Prüfern zufolge ins Auge gefasst werden. Dies könnte nach Ansicht von Fachleuten die fluktuierende Einspeisung erneuerbarer Energien zum Teil ausgleichen. Ein Beispiel dafür erbrachte die Analyse der sogenannten Dunkelflauten in Deutschland, über die der Deutsche Wetterdienst (DWD) in seiner Klima-Pressekonferenz Anfang April berichtete. Demnach war die Erneuerbaren-Stromproduktion im November und Dezember wegen schwacher Winde und weniger Sonnenstunden während der damals herrschenden Großwetterlage „Hoch Mitteleuropa“ zeitweise sehr niedrig. Da zeitgleich aber unter anderem im Norden Skandinaviens überdurchschnittlich starke Winde wehten, habe zumindest aus meteorologischer Sicht die Möglichkeit eines innereuropäischen Ausgleichs bestanden, urteilte der DWD.
Die EU hat übrigens die Finanzmittel zuletzt deutlich erhöht, die sie für Investitionen in die Stromnetze zur Verfügung stellt. Sie betrugen im Haushaltszeitraum 2014 bis 2020 rund 5,3 Milliarden Euro, für die Periode 2021 bis 2027 sind es nun etwa 29,1 Milliarden Euro. Ein Hauptgrund für die Steigerung war Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, der es nötig machte, Alternativen zu Erdgas zu finden. Dazu gehört auch die Elektrifizierung der EU-Wirtschaft. Der Großteil der Kosten für den Netzausbau muss freilich von den Netzbetreibern aufgebracht werden, die sie dann an die Kundschaft weiterberechnen.
Knackpunkt: Kreditrisiken
Der Rechnungshof betonte überdies, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen sehr wichtig seien – besonders in der aktuellen Situation, in der einige Stromnetzbetreiber erhöhten Kreditrisiken ausgesetzt seien und Mühe hätten, Zugang zu Mitteln für die erforderlichen Investitionen zu erhalten. Eine große Rolle spielt dabei, wie viel Betreiber verdienen dürfen, denn das ist praktisch in allen EU-Staaten reguliert. Die Netztarife sollen es den Betreibern ermöglichen, Rendite aus den Investitionen zu erzielen und zugleich den Wertverlust von Anschaffungen sowie die Betriebskosten zu decken.
Die Höhe der Tarife ist indes oft umstritten; Verbraucherschutz- und Umweltorganisationen kritisieren vielfach, die Renditen würden zu hoch angesetzt. Der Rechnungshof hielt sich in diesem Punkt mit einer Bewertung zurück und schreibt lediglich, es sei „eine Herausforderung, einerseits dem Investitionsbedarf gerecht zu werden und andererseits die Stromkosten für die Verbraucher im Rahmen zu halten, insbesondere für Haushalte und Industriebranchen mit hohem Energieverbrauch“.
Auch eine Prognose, wie stark die Einbindung der Erneuerbaren und die Netzinvestitionen die Strompreise erhöhen werden, hat der Rechnungshof nicht getroffen. Er verweist aber auf eine Kalkulation der EU-Kommission. Die gehe davon aus, dass die Strompreise trotz steigender Netzkosten langfristig relativ stabil bleiben werden, da fossile Brennstoffe zunehmend durch immer günstigere erneuerbare Energien ersetzt würden.