Wer die Sicherheit und Demokratie in Deutschland und Europa bewahren will, muss das Klima schützen – und auch die Rolle des Militärs mitbedenken. So lautet der Tenor der Nationalen Interdisziplinären Klimarisiko-Einschätzung (NIKE), einem Strategiepapier, das kürzlich vom Bundesnachrichtendienst, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Metis-Institut der Universität der Bundeswehr veröffentlicht wurde. neue energie sprach dazu mit Professor Jürgen Scheffran, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit der Universität Hamburg.
neue energie: Herr Scheffran, wie beurteilen Sie die Thesen und Argumente, die im NIKE-Papier formuliert werden?
Jürgen Scheffran: Das Dokument fasst viele Arbeiten zusammen, die in den vergangenen 30 Jahren zu dem Thema geschrieben wurden. Vieles davon ist korrekt. Es stellt sich aber die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem Papier ergeben und ob man daraus den Determinismus eines möglichen Klimakrieges ableiten kann. Die Studie ist in dieser Hinsicht vorsichtig. Und sie sollte keinesfalls dazu genutzt werden, um ein neues Aufgabenfeld für das Militär abzustecken. Denn das Militär ist nur bedingt geeignet, um die Klimakrise und deren Folgen zu bewältigen. Zudem stellen Rüstung und Krieg selbst eine erhebliche Belastung der Umwelt dar und verursachen klimaschädliche Emissionen. Das kommt in der Studie zu kurz – vielleicht weil die Autoren die Wehrhaftigkeit aufgrund der aktuellen Situation in Europa infolge des Ukrainekrieges nicht untergraben wollten. Zudem geht das Strategiepapier nicht darauf ein, dass man der aktuellen Polykrise auch mit einer nachhaltigen Friedensordnung begegnen kann. In einer kooperativen multilateralen Weltordnung könnte die friedensstiftende Rolle Europas stärker zum Tragen kommen. Die Kriegslogik muss durch eine Friedenslogik ersetzt werden, basierend auf Deeskalation, Diplomatie, Verhandlung und Vermittlung.
ne: Welche Rolle könnte das Militär denn überhaupt spielen, um Eskalationen abzuwenden, die sich aus der Klimakrise oder deren Folgen ergeben?
Scheffran: Das Militär hat eine Reihe von Mitteln, die etwa für den Katastrophenschutz wichtig sind: Räumfahrzeuge, Transportpanzer, Brückenbaugeräte. Oder auch Sandsäcke, die bei Überflutungen gebraucht werden. Die Bundeswehr hat bei vielen Katastrophen geholfen, beispielsweise in der Eifel oder bei den Überschwemmungen an Oder und Elbe. Wobei klar ist, dass diese Hilfen ebenso vom zivilen Sektor erbracht werden könnten. Das gilt auch für Kommunikationssysteme oder Satellitenbeobachtung, mit denen in Krisenlagen gearbeitet wird. Die Mittel sind vorhanden.
ne: Ein Blick auf die derzeitige geopolitische Situation und existierende Konflikte wirft die Frage auf: Gibt es bereits Kriege, die durch den Klimawandel ausgelöst wurden?
Scheffran: Es sind immer die Kontextfaktoren, die darüber entscheiden, ob der Klimawandel Konflikte verstärkt oder ob er sogar Kriege auslöst. Wenn die Verhältnisse günstig sind, die sozioökonomischen Bedingungen, die politischen Rahmenbedingungen, dann sind die Staaten besser gewappnet, um mit klimatischen Extremen umzugehen und ihnen mit Anpassung oder Katastrophenschutz zu begegnen. In fragilen Regionen, wo schon Konflikte schwelen, bestehen indes hohe Risiken, dass sie sich infolge des Klimawandels verschärfen. Ein Beispiel ist der Mittelmeerraum, insbesondere Nordafrika und der Nahe Osten: Die Region ist konfliktreich und zudem in hohem Maß abhängig von Nahrungsmittelimporten. Wenn da der Klimawandel die Versorgung beeinträchtigt, wie das beim Arabischen Frühling 2011 der Fall war, dann gibt es quasi eine Initialzündung. Damals schränkten China und Russland aufgrund von Missernten infolge katastrophaler Klimaereignisse die Weizenexporte ein. Das führte dazu, dass die Bevölkerung in den Staaten des Maghreb, die mit ihren jeweiligen Regierungen unzufrieden war, auf die Straße ging. Es kam zu einer Flächenprotestbewegung, die etliche Regierungen zu Fall brachte, etwa in Tunesien, Libyen und Ägypten, und in Syrien einen Bürgerkrieg auslöste. Dabei hatte der Klimawandel eine Verstärkerwirkung. Auch für die Tschad-Region in Zentralafrika werden solche Zusammenhänge diskutiert. Die Anrainerstaaten sind bei der Wasserversorgung vom Tschadsee abhängig, dessen Wasserspiegel in den vergangenen Jahrzehnten stark schwankte. Dadurch haben sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung verschlechtert; Fischerei und Landwirtschaft sind stark eingeschränkt. Die daraus resultierende Unzufriedenheit der Menschen führte dazu, dass radikale Strömungen wie etwa die Terrororganisation Boko Haram mehr Zulauf erhielten. Auch der Krieg in der Darfur-Region im Sudan fällt in diese Kategorie. Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte ihn schon 2007 als eine Folge des Klimawandels bezeichnet, was später jedoch relativiert wurde. Und in anderen afrikanischen Regionen sowie in Südasien könnten die Auswirkungen des Klimawandels bei der Radikalisierung der Bevölkerung ebenfalls eine Rolle spielen, wobei lokale Gründe durch den Klimawandel nicht verdeckt werden dürfen.
ne: Die Radikalisierung unzufriedener Menschen ist nicht der einzige Grund, weshalb in den genannten Regionen Kriege ausbrechen. Oft sind Gier und Profit die Treiber, wie etwa in der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Ist der Kampf um Ressourcen, wie er dort gerade erbarmungslos auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, womöglich ebenfalls eine Folge des Klimawandels?
Scheffran: Zum Teil ist das so. Denn im Kongo geht es um kritische Rohstoffe wie Tantal, Kobalt, Koltan und Seltene Erden, die für die Herstellung von Mikroelektronik und Batterien benötigt werden. Für die Energiewende und die damit verbundene E-Mobilität sowie für die fortschreitende Digitalisierung sind solche Metalle quasi unverzichtbar. Der Krieg der vom Nachbarstaat Ruanda unterstützten M23-Miliz gegen die Regierungstruppen der DRK, der inzwischen Tausende Todesopfer gefordert hat, steht insofern im Zusammenhang mit den in der umkämpften Region vorhandenen Mineralvorkommen. Der Kampf um diese nicht erneuerbaren Rohstoffe wird immer erbitterter; er kann Kriege verursachen, wie sie auch mit fossilen Energieträgern verbunden sind und waren. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb es infolge des Klimawandels zu Konflikten kommt: das Abschmelzen der Polarregionen. So lagern beispielsweise unter dem Eis Grönlands viele kostbare Bodenschätze. Das dürfte wohl auch der Hauptgrund sein, weshalb US-Präsident Donald Trump die Insel partout übernehmen will.
ne: Wie ernst meint Trump es mit seiner Grönland-Idee?
Scheffran: Ich gehe davon aus, dass er es wirklich ernst meint. Ob er dafür aber am Ende militärische Mittel einsetzt, dafür gibt es noch keinen Anhaltspunkt.
ne: Zurück nach Afrika: Die 2009 veröffentlichte Untersuchung „Warming increases the risk of civil war in Africa“, an der Forschende der Universitäten in Berkeley und Stanford beteiligt waren, kam zu dem Ergebnis, dass in der Subsahara-Region infolge des Klimawandels immer häufiger Kriege ausbrechen, die überdies immer mehr Opfer fordern. Spätestens seit dieser Studie müsste doch Konsens darüber herrschen, wie verheerend sich der Klimawandel auf die geopolitische Stabilität des afrikanischen Kontinents auswirkt.
Scheffran: Die Studie hat aufgrund der eingeschränkten statistischen Methoden Widersprüche ausgelöst, und die Fachwelt streitet sich weiterhin, wie groß der Anteil des Klimawandels daran ist – und ob er eventuell nur ein verstärkender Faktor ist. Konsens ist in der Sache schwierig zu erreichen: Der eine Teil der Wissenschaft neigt zu der These, dass der Klimawandel der Auslöser ist. Andere sehen sozialpolitische Faktoren als die Dominanten und das Klima lediglich als zusätzlichen Faktor. Klar ist allerdings, dass der Klimawandel Gesellschaften destabilisieren kann. Und jede Gesellschaft hat eine Grenze, bis zu der sie das verträgt. Auch Deutschland könnte perspektivisch mit den Folgen des Klimawandels überfordert sein, etwa wenn bestimmte Kipppunkte überschritten werden wie der Wegfall der Nordatlantikströmung oder eine zunehmende Polarschmelze, die dazu führt, dass der Meeresspiegel signifikant ansteigt. Zudem können Veränderungen der Wettermuster die Landwirtschaft in Europa in erheblichem Maß beeinträchtigen und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gefährden. Das wären Entwicklungen, die die Sicherheitslage in Deutschland empfindlich verschlechtern.
ne: Nach wie vor hält sich in Teilen von Politik und Gesellschaft dennoch die Meinung, dass die Folgen des Klimawandels hierzulande erst in 50 oder mehr Jahren relevant werden. Dagegen kam eine von der Bundesregierung beauftragte Studie aus dem Jahr 2022 zu dem Ergebnis, dass klimawandelinduzierte Extremwetterereignisse in Deutschland im Zeitraum von 2000 bis 2021 Schäden in Höhe von 145 Milliarden Euro angerichtet und im Schnitt 1400 Todesfälle pro Jahr verursacht haben. Die Studie wird im NIKE-Papier zitiert, das sich noch etwas alarmierender liest als vorangegangene Risikoeinschätzungen. Der Druck auf die politischen Entscheidungsträger nimmt zu.
Scheffran: Zu Recht. Denn die Reaktion auf den Klimawandel darf nicht allein aus der Beseitigung der Schäden bestehen, sondern muss auch die Prävention und die Vorbereitung auf absehbare Katastrophen einbeziehen. Diese Maßnahmen sind schon heute erforderlich, nicht erst in 50 Jahren. Dass Eile geboten ist, können die Menschen, die bei der Flutkatastrophe in der Eifel ihr Hab und Gut verloren haben, sicher bestätigen. Oder auch die Betroffenen der Überflutungen in Spanien im vergangenen Jahr – um nur zwei Beispiele zu nennen.
ne: Trotzdem regt sich in Teilen der Bevölkerung weiterhin Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen …
Scheffran: … der sich aber meist gegen die Regierungen richtet, da sie aus Sicht der Betroffenen nicht in der Lage sind, angemessen mit den immer öfter eintretenden Katastrophen umzugehen, und die Opfer nicht ausreichend entschädigen …
ne: … oder weil sie unpopuläre Maßnahmen anordnen, die im Vorfeld die Folgekosten von Katastrophen abfedern und im besten Fall die Anzahl der Opfer verringern könnten?
Scheffran: Ob Vermeidungs-, Anpassungs- oder Katastrophenschutzmaßnahmen: All das kostet viel Geld. Und die Frage ist, ob alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen belastet werden (sollen). Dieser Verteilungskonflikt trifft die Gesellschaft zurzeit frontal – wie wir in den Diskussionen um Wärmewende, Verkehrswende, Energiewende gesehen haben. Es kommt zu Gegenbewegungen und Protesten, deren Teilnehmer sich bisweilen radikalisieren (lassen).
ne: Einige Interessengruppen instrumentalisieren die Problematik, um die Gesellschaft zu spalten. Diese Tendenz ist in Deutschland und in anderen europäischen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden.
Scheffran: Rechtspopulisten bestreiten den menschengemachten Klimawandel und haben aus dieser Haltung ein Politikfeld gemacht, mit dem sie Stimmen gewinnen können. Um dagegenzuhalten, muss die Politik intelligent handeln und einen gerechten Lastenausgleich hinbekommen. Bisher ist es ihr nicht gelungen, finanziell schwächere Bevölkerungsschichten dabei spürbar zu entlasten, etwa über das Klimageld. Da gab es viele Versprechungen, aber die wurden nicht gehalten.
ne: Ein weiterer Aspekt des Klimawandels ist die durch ihn ausgelöste Migration, sowohl in den betroffenen Regionen oder Ländern als auch international. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass es aufgrund von Migrationsströmen zu bewaffneten Konflikten kommt?
Scheffran: Die Klimamigrationsthese wird in der Wissenschaft ebenso heftig diskutiert wie die Klimakonfliktthese. Sicherlich werden viele Menschen entwurzelt und sind massiv betroffen: In naher Zukunft werden Hunderte Millionen bis Milliarden Menschen erheblich in ihrer Existenzfähigkeit beeinträchtigt sein – zig Millionen sind es heute bereits. Einige der Betroffenen versuchen, sich anzupassen und mit den verbleibenden Ressourcen zu leben. Doch sie sind damit oft überfordert – und das führt schnell zu Instabilität vor Ort. Diese Instabilität kann die Migration ankurbeln, etwa vom Land in die Städte. Da aber die Städte vom Klimawandel ebenfalls betroffen sind, gerade in den Küstenregionen der afrikanischen und asiatischen Staaten, sind die Geflüchteten an diesen Orten ebenso wenig sicher. Dennoch verlassen derzeit die wenigsten ihr Heimatland – aus naheliegenden Gründen: Je mehr die Menschen durch den Klimawandel geschwächt sind, desto weniger weit können sie sich fortbewegen. Für viele ist es schwierig bis unmöglich, etwa von der Sahelzone bis zum Mittelmeer zu laufen, um von dort nach Europa zu kommen. Interkontinentale Migration infolge des Klimawandels findet zwar statt, ist aber zurzeit noch die Ausnahme.
ne: Nichtsdestotrotz intensiviert die Europäische Union die Abwehrmaßnahmen an den Grenzen gegen Flüchtende. Was würden Sie der EU ins Hausaufgabenheft schreiben, damit sie mit der Klimamigration in den kommenden zehn bis 20 Jahren angemessen umgehen kann?
Scheffran: Wenn Menschen erstmal an der Grenze stehen, ist es schwierig, sie am Übertritt zu hindern. Die gegenwärtige Rechtslage sichert ihnen einen Aufenthaltsstatus zu und gibt ihnen die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Man kann aber nicht alle Grenzen Europas vollständig kontrollieren, vor allem die Seegrenzen nicht. Deswegen ist es wichtig, neue Regeln für die Zuwanderung aufzustellen. Wobei klar ist, dass Europa Zuwanderung dringend braucht, gerade die Industrieländer, in denen die Bevölkerung schrumpft. Hinzu kommt, dass die europäischen Länder zu den wesentlichen Verursachern des Klimawandels zählen und mitverantwortlich dafür sind, dass es überhaupt zur Klimamigration kommt. Auch deshalb muss es einen gewissen Ausgleich geben.
ne: Einige Klimaschutzprojekte oder nachhaltige Energieprojekte im globalen Süden wurden bereits mit Mitteln des globalen Nordens gefördert – um dort den Migrationsdruck zu senken, aber auch wegen der dort vorhandenen Ressourcen, die in den Industrieländern dringend gebraucht werden. Wie hoch ist der Eigennutz-Anteil?
Scheffran: Das sogenannte Climate Matching kann man als Teil der Strategie zur Vermeidung von Fluchtursachen sehen. Solche Projekte schaffen vor Ort Arbeitsplätze, schützen das Klima, stärken die wirtschaftliche Infrastruktur in den Ländern und die Verbindung zwischen Nord und Süd. In einer 2021 durchgeführten Studie der Bundesregierung zur Fluchtursachenvermeidung wurden einige dieser Vorhaben diskutiert.
ne: Viele der Projekte, wenn sie denn realisiert werden, sind privatwirtschaftlich angetrieben. Wäre es sinnvoll, dass sie stärker politisch gelenkt werden?
Scheffran: Bisher gibt es keine hinreichende Lenkung, außer in einzelnen Projektmaßnahmen, etwa vom Entwicklungsministerium. Es fehlt eine integrierte Strategie, in der die Privatwirtschaft und die staatliche Unterstützung zusammengedacht und -gebracht werden. Sinnvoll wäre es auch, bereits in Europa lebende Migrantinnen und Migranten stärker in solche Projekte einzubinden. Sie kennen sich in ihren Heimatländern besser aus als alle, die von außen kommen.
ne: Allerdings herrscht in vielen afrikanischen Staaten, ganz gleich ob Subsahara oder Maghreb, eine aus der kolonialen Vergangenheit resultierende Abneigung, mit den Staaten Europas solche Projekte aufzubauen.
Scheffran: Es gibt große Vorbehalte aufgrund der kolonialen Erfahrungen, sowohl bei Regierungen als auch in der Bevölkerung. Manchmal sind die Vorbehalte aufseiten der Bevölkerung so stark, dass sie die Entscheidungen der Regierungen beeinflussen und geplante Projekte nicht zustande kommen. Der Umgang mit der kolonialen Vergangenheit ist eine sensitive Frage …
ne: … auf die nicht immer die passende Antwort gefunden wird, wie das gescheiterte, milliardenschwere Desertec-Projekt gezeigt hat.
Scheffran: Die Idee kam aus dem Norden und sollte dem Süden aufgedrängt werden, was die Chancen verschlechterte. Die beteiligten Maghreb-Staaten haben nach dem Ende von Desertec eigene Pilotprojekte zur Erzeugung von Solarenergie gestartet, zum Beispiel Marokko mit dem Ouarzazate-Solarkraftwerk. Das ist vermutlich ohnehin der bessere Weg: Die afrikanischen Staaten entwickeln die Projekte selbst, beziehen die lokale Bevölkerung ein und nutzen etwaige Finanzierungs- und Technologieoptionen aus dem globalen Norden. So kann diese Art von Zusammenarbeit funktionieren.