Das Projekt erinnert an „Desertec“ – jene hierzulande entwickelte Vision, Europa per Fernleitungen mit Ökostrom aus Afrikas Wüsten zu versorgen, die vor zehn Jahren scheiterte. Doch nun gibt es gute Chancen, dass etwas ganz Ähnliches tatsächlich realisiert wird, allerdings auf der anderen Erdhalbkugel. Es geht um gigantische Photovoltaik-Felder und Windparks, die im Norden Australiens gebaut werden sollen, um nicht nur dort Haushalte und Industrie mit Grünstrom zu versorgen, sondern auch im rund 4500 Kilometer entfernten südostasiatischen Stadtstaat Singapur.
Tor nach Asien
Die Idee zu dem Projekt, genannt „Australia– Asia Power Link“, stammt von dem 2018 in Australien gegründeten Unternehmen „Sun Cable“, zu deutsch „Sonnen- Kabel“. Das Solarkraftwerk mit einer Spitzenleistung von 17 bis 20 Gigawatt soll im sonnenreichen australischen „Northern Territory“ entstehen, ergänzt um die weltgrößten Batteriespeicher, wodurch eine kontinuierliche Stromlieferung ermöglicht würde. Von dem Gelände auf der ehemaligen Rinderfarm „Newcastle Waters“ in der Nähe des Outback-Orts Elliott ist eine 750 Kilometer lange Hochspannungs- Gleichstrom-Übertragungsleitung (HGÜ) in die Küstenstadt Darwin geplant, wo der Strom ins öffentliche Netz fließen und in der Region neue grüne Industrien versorgen soll. Gleichzeitig ist Darwin, genannt „Tor nach Asien“, auch als Ausgangspunkt für ein 4300 Kilometer langes HGÜ-Unterseekabel bis nach Singapur vorgesehen. Die Kapazität der Leitung soll dafür ausreichen, künftig 15 Prozent des in der Wirtschaftsmetropole verbrauchten Stroms zu liefern.
Das Projekt war ursprünglich von dem australischen „grünen“ Internet-Milliardär und Gründer der Software-Firma Atlassian, Mike Cannon-Brookes, und dem ebenfalls superreichen Bergbau-Unternehmer Andrew Forrest angeschoben worden. Die Kosten werden derzeit auf 30 Milliarden australische Dollar taxiert, umgerechnet rund 18 Milliarden Euro. Eigentlich sollte bereits 2023 mit dem Bau begonnen werden, 2026 der erste Strom fließen und 2027 der Export nach Singapur beginnen.
Die Planungen verzögerten sich, doch nun hat Sun Cable einen weiteren Meilenstein für das Infrastrukturprojekt erreicht: Umweltministerin Tanya Plibersek in Canberra erteilte eine erste Umweltgenehmigung für den australischen Teil des Projekts, der die Solaranlagen, Speicher, Leitungen an die Küste sowie den küstennahen Teil des Unterseekabels umfasst. Die Zulassung ist an strenge Auflagen zum Schutz der Natur geknüpft, einschließlich der Auflage, wichtige Tier- und Pflanzenarten zu schützen und kritische Biotope zu meiden. Bereits im Juli hatte auch die Verwaltung des Northern Territory grünes Licht gegeben.
Indonesien hat zugestimmt
Sun Cable teilte daraufhin mit, die Genehmigung belege das Vertrauen der australischen Regierung, dass man das „Projekt von nationaler Bedeutung“ umsetzen könne. Eine Erlaubnis, das Unterseekabel durch indonesische Hoheitsgewässer bis nach Singapur zu verlegen, besitzt das Unternehmen bereits. Die Regierung in Jakarta hatte sie schon im September 2021 erteilt. Eine endgültige Investitionsentscheidung soll 2027 fallen, Strom könnte dann in den 2030er Jahren fließen.
Der Projektzuschnitt hat sich gegenüber dem ersten Plan verändert. Zuerst war es ein reines Solar-plus-Speicher- Konzept, inzwischen gibt es eine Variante, auch noch Windenergie zu integrieren. Der Vorteil: Weil sich die Profile von Photovoltaik- und Windstrom ergänzen, wird weniger Speicherkapazität benötigt, um rund um die Uhr Elektrizität liefern zu können.
Co-Initiator Forrest hatte zwischenzeitlich die Idee favorisiert, sich mit dem Projekt auf die Produktion von grünem Wasserstoff zu konzentrieren. Das führte zu einem Zerwürfnis mit Cannon-Brookes, der an dem ursprünglichen Plan festhalten wollte. Sun Cable ging daraufhin Anfang 2023 in die freiwillige Insolvenz. In einem nachfolgenden Bieter-Wettkampf um das Unternehmen war der Tech-Milliardär, der den alten Plan weiterverfolgt, dann siegreich. In einer Erklärung ließ Cannon-Brookes damals wissen, sein Traum sei es, Australien zur „Supermacht im Bereich der erneuerbaren Energien“ zu machen. Dass der Australia-Asia Power Link weiterverfolgt werde, sei „ein großer Schritt in die richtige Richtung“.
Umweltministerin Plibersek, die der Labor Party angehört, erhofft sich von dem Projekt viele positive Impulse für das Northern Territory, darunter einen Aufschwung der Wirtschaft und neue Jobs. „Dieses gewaltige Projekt ist ein generationsbestimmendes Stück Infrastruktur. Es wird das größte Solarkraftwerk der Welt sein – und Australien zum Weltmarktführer für grüne Energie machen“, sagte Plibersek. Bisher ist Australien vor allem als Kohlenation bekannt.
Auf dem Weg zum Weltmarktführer für grüne Energie muss es Australien mit einem harten Konkurrenten aufnehmen: Die chinesische Regierung hat 2024 den Ausbau von Wind- und Solaranlagen weiter rasant vorangetrieben. Das geht aus den aktuellen Daten der „China National Energy Administration“ (NEA) für das ersten Halbjahr 2024 hervor. Die installierte Leistung aller Kraftwerke im Land stieg danach in dieser Zeit um 14 Prozent auf 3,1 Terawatt, das sind 3100 Gigawatt (GW), wofür vor allem der Ökostrom-Ausbau verantwortlich war. Ein Ende des Booms ist derzeit nicht abzusehen, wie das Internationale WirtschaftsforumRegenerative Energien (IWR) aus Münster schreibt.
China behauptete seine Position als der mit Abstand weltgrößte Markt für Photovoltaik. Laut NEA wurden von Januar bis Juli 2024 Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 123 Gigawatt (GW) installiert. Zum Vergleich: Das ist mehr, als Deutschland in rund 25 Jahren geschafft hat; hierzulande steht die kumulierte Solarenergie-Leistung aktuell bei 92 GW. In China könnte die gesamte solare Kraftwerksleistung bis Ende 2024 auf rund 850 GW ansteigen, also fast das Zehnfache davon.
Daneben geht auch der Ausbau der Windenergie mit hohem Wachstumstempo voran. Von Januar bis Juli wurden Anlagen mit rund 30 GW neu errichtet; hierzulande waren es 1,7 GW. Hält der Onshore-Wind-Trend in China an, könnte dort Ende 2024 die Marke von 500 GW erreicht oder sogar überschritten werden.
Der Zubau konventioneller Kraftwerke liegt deutlich niedriger. So wurden im ersten Halbjahr 2024 nur etwas mehr als acht GW an Kohlekraftwerken und das AKW Tianwan-6 mit 1,1 GW ans Netz genommen. Die Genehmigungen für neue Kohlemeiler sind stark gesunken, allerdings befindet sich eine größere Anzahl im Bau. Auch sind weitere AKW geplant. Das IWR rechnet jedoch damit, dass aufgrund der langen AKW-Bauzeiten das Zubautempo deutlich niedriger sein wird als bei den schnell zu errichtenden Wind- und Solaranlagen. Zum Vergleich: In Australien waren am Ende des Jahres 2023 Photovoltaik- Anlagen mit einer Leistung von 33,7 Gigawatt installiert. Die Gesamtleistung von Onshore-Wind-Anlagen kam auf 9,4 Gigawatt.