Es ist beeindruckend zu sehen, wie dramatisch sich im Moment die Rolle Chinas in der Debatte um die Klimakrise und die Zukunft der Energiemärkte verändert. Für alle, die um Wege ringen, wie die Klimaziele des Pariser Abkommens eingehalten werden können, gibt es eine hervorragende Nachricht: Immer mehr spricht dafür, dass wir im Jahr 2023 den Höhepunkt der fossilen Emissionen in China gesehen haben. In der Volksrepublik ist die Menge des jährlich produzierten Solarstroms in der letzten Dekade um das 35fache, beim Windstrom um das Neunfache gewachsen. Bei Elektromobilität und dem Einsatz von Batterien ist das exponenzielle Wachstum sogar noch schneller. Der Höhepunkt der dortigen Emissionen der Industrie und des Gebäudesektors liegt bereits hinter uns. Ebenfalls im Jahr 2023 dürfte es im Stromsektor bei den Emissionen einen Peak gegeben haben.
In diesem Jahr wächst der Einsatz erneuerbarer Energien schneller als die Nachfrage nach Strom. Und tatsächlich zeigen die Zahlen für das erste Halbjahr 2024, dass sich für das Gesamtjahr ein Rückgang der Emissionen abzeichnet.
Zum Hintergrund:
Bei zwei Tendenzen ist China der dominante Weltmarktführer. Erstens bei der Elektrifizierung vieler Prozesse. Dadurch wird die eingesetzte Primärenergie massiv besser genutzt. Das lässt sich am Beispiel Verbrennungsmotor zeigen: Dort werden nur 25 Prozent des Benzins genutzt um die Dienstleistung Bewegung zu ermöglichen, aber 75 Prozent der Primärenergie verpuffen als nutzlose Wärme. Beim Elektroauto ist es umgekehrt. 75 Prozent der Primärenergie werden in Bewegung umgesetzt, nur 25 Prozent verpuffen.
Zweitens dominiert China weltweit auch den Ausbau der Erneuerbaren Energien – Solar, Wind und Batterien. Wenn diese exponentielle Entwicklung sich weiterhin wie in den letzten Jahren stabilisiert, dann sehen wir gerade den Einstieg Chinas in den für das Erreichen der globalen Klimaziele so dringend notwendigen Reduktions- und Ausstiegspfad aus fossilen Energien. Der Höhepunkt der Emissionen käme damit deutlich früher als 2020 von Xi Jinping („vor 2030“) versprochen – Chinas Regierungschef hatte es mit „vor 2030“ vage formuliert.
Noch gibt es drei dicke „Aber“ in Bezug auf diesen für viele überraschend schnellen Wendepunkt bei den Emissionen:
• Ein erneutes, massives Programm zum Ankurbeln der Wirtschaft in China könnte ihn zeitlich verschieben, wenn es – wie in der Vergangenheit – auf energieintensiver Infrastruktur basiert.
• China muss den systemischen Teil der Energiewende in den Griff bekommen. Zwar treibt die Regierung auch den Netzausbau sehr dynamisch voran. Aber Marktdesign, Regulierung und digitale Steuerung sind noch nicht optimiert. So kommt es oft vor, dass Provinzen den eigenen Kohlestrom und nicht die Überkapazität von Erneuerbarem-Strom aus einer Nachbarprovinz nutzen.
• Außerdem dürfen die Kräfte des fossilen „Weiter so“ den gegenwärtigen exponenziellen Trend in Richtung Elektrifizierung und Erneuerbare nicht abwürgen. Da aber bereits ein erheblicher Anteil des derzeitigen Wirtschaftswachstums in China auf die dynamischen Trends bei Elektrifizierung und Erneuerbarem-Stromsystem zurückzuführen sind, spricht derzeit wenig für ein gewolltes Abwürgen des Prozesses.
Es sieht im Gegenteil so aus, dass die Regierung in Peking die gewaltigen geopolitischen Chancen eines solchen Erfolgs sieht. Erstens ist China, was Angebot und Nachfrage nach Energie angeht, auf dem Weg zur führenden Supermacht des von Elektrifizierung und erneuerbaren Energien geprägten Energiezeitalters; so wie die USA die Supermacht des Ölzeitalters waren. Zweitens, eng damit verknüpft, dominiert China auch die meisten Zukunftstechnologien, die alle Staaten weltweit für ihre Transformation brauchen. Zunehmend bedeutet das auch Einfluss auf kritische Infrastruktur in anderen Teilen der Welt. Und drittens bedeutet eine Weiterführung dieser Wende, dass China erstmals beim Klimathema auch als „Softpower“ die Nase gegenüber dem Westen vorn hat.
Neue Strategie nötig
Für Deutschland und die EU bedeutet der sich abzeichnende Wandel, sich strategisch neu aufstellen zu müssen. Deutschland sollte in Bezug auf China in doppelter Hinsicht eine realistische Klimapolitik anstreben. Dabei sollte es sich zum einen keine Illusionen in Bezug auf die Relevanz einer konstruktiven Wende Chinas als größten CO2-Emittenten der Welt bei der Klimapolitik machen. Zugleich sollte es nicht verkennen, dass das Land eine Dominanz in den wichtigen klimarelevanten Branchen anstrebt. „Aber China!“ erhält an dieser Stelle einen anderen Klang.
Wie sollen sich Deutschland und die EU auf diese neue Lage in Bezug auf China aufstellen? Drei Aspekte sind zur Beantwortung dieser Frage zentral:
1. Wie kann eine Kooperation mit China in Bezug auf die globale Energiewende gelingen, wo dies sinnvoll ist? Kann etwa eine Kooperation zwischen China, Deutschland und der EU gelingen, um die 2023 auf dem Afrikanischen Klimagipfel in Kenia angefragte Unterstützung afrikanischer Länder beim Sprung ins Solarzeitalter zu organisieren? An welchen Punkten ist eine bilaterale Kooperation für Deutschland zu geringen Kosten und gleichzeitig hoher Relevanz möglich („No-Regrets-Kooperation“)? Wie können China und Deutschland beispielsweise durch Expertenaustausch voneinander bei ihren Erfahrungen mit der Energiewende oder dem Emissionshandel lernen?
2. Ökonomischer Wettbewerb im neuen Energiezeitalter: Deutschland ist unter den G20-Ländern führend, was den Anteil der flexiblen Erneuerbaren-Anlagen angeht. Es ist damit besonders gefordert und zugleich mit guten Unternehmen gerüstet, was den systemischen Teil der Energiewende angeht. Auf alle anderen Länder kommt in absehbarer Zeit die gleiche Herausforderung zu. Kann daraus ein Cluster von Unternehmen in Deutschland und der EU mit internationaler Relevanz entstehen? Ein solcher Wettbewerb zwischen China, Europa und anderen kann dazu führen, dass weltweit günstigere und bessere Technologien verfügbar werden – dafür braucht der Wettbewerb internationale Regeln. Dabei sollte Deutschland sich für passende globale Regelwerke zum Beispiel zu Handelspolitik oder Standardisierung einsetzen.
3. Systemische Rivalität und ausreichende Resilienz gegenüber Abhängigkeit von der neuen autoritär regierten Supermacht: China ist auf allen Wertschöpfungsstufen der Photovoltaik aber etwa auch bei Permanent-Magneten für Windanlagen dominant. Wie kann aus Gründen der Energiesicherheit und vermiedener Erpressbarkeit dennoch ein Mindestmaß an eigener oder differenzierter Versorgung sichergestellt werden? Sinnvoll sind in diesem Kontext auf jeden Fall schnelle Fortschritte bei einer auf modularem Bau, Reparaturfähigkeit und Recycling basierenden Kreislaufwirtschaft. Neben gezielten und fairen Rohstoffpartnerschaften mit anderen Ländern könnte etwa eine Rohstoffbank, die antizyklisch Rohstoffe aufkauft, Gegenakzente setzen.
Wie kann die EU resilienter werden?
Darüber hinaus stellt sich in Bezug auf Solar- und Windkraftanlagen, Batterien sowie Elektrolyseure die Frage: Gibt es in der EU tatsächlich den politischen Willen, das Ziel des am 1. Juli 2024 in Kraft getretenen Net Zero Industrial Act umzusetzen, wonach bis 2030 jährlich 40 Prozent des Bedarfs an diesen Anlagen in der EU produziert werden sollen? Für wirkungsvolle Resilienz ist wahrscheinlich ein nach Technologien differenzierter Ansatz sinnvoller. Beim E-Auto zum Beispiel sind die Sicherheitsrisiken viel größer als bei Solarpaneelen.
Wichtig ist auch die Frage: Wo kann Resilienz durch eine größere Vielfalt an Lieferländern entstehen, ohne dass dies zwingend Produktion in der EU bedeuten muss? Resilienz ist eine zentrale Herausforderung, aber in Teilbereichen kann sie vermutlich auch mit weniger als 40 Prozent europäischer Produktion gesichert werden.
Fest steht zugleich: So erfreulich kostengünstige Anlagen für Erneuerbaren-Strom oder Elektroautos sind – wenn durch die massiven Überkapazitäten in China auf unfaire Weise Wettbewerber aus dem Markt gedrängt werden, ist dies langfristig für den notwendigen Umbau und schon kurzfristig für die Resilienz ein Problem. Dann ist ernsthafter Handlungsbedarf gegeben. Schnelles Handeln ist derzeit etwa geboten, um den hiesigen Anbietern von Windkraftanlagen eine ausreichende Perspektive zu geben.
ist seit 2005 Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die unabhängige Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation wurde 1991 gegründet und setzt sich nach eigenen Angaben für eine zukunftsfähige globale Entwicklung ein. Unter „zukunftsfähig“ versteht die Organisation sozial gerecht, ökologisch verträglich und ökonomisch tragfähig. Die Arbeitsfelder der NGO mit Büros in Bonn und Berlin erstrecken sich über die nationale und internationale Klimapolitik,
An dieser Stelle lesen Sie einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich.