Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 03/2024 von neue energie und ist zuerst im März erschienen.
„Heute ist der Beginn einer Reise“ sagte Ursula von der Leyen, als sie Ende des Jahres 2019 den Green Deal vorstellte. Die CDU-Politikerin war gerade zur Präsidentin der EU-Kommission berufen worden und der „Grüne Deal“ sollte ein Herzstück ihrer Amtszeit werden: Zahlreiche Richtlinien und Verordnungen für eine ambitioniertere europäische Klimapolitik, den Abschied von fossilen Energien und den Ausbau der erneuerbaren, zumindest in Ansätzen auch den Erhalt der Artenvielfalt und den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft.
Zum Teil war das motiviert von den Jugendprotesten auf der Straße, Europa sollte aber zugleich wirtschaftlich profitieren – Klimaschutz als „unsere neue Wachstumsstrategie“. Heute, rund viereinhalb Jahre später, stellt sich die Frage: Endet die Reise demnächst, oder geht sie weiter? Denn tatsächlich ist vieles von dem, was die Kommission damals in Aussicht stellte, tatsächlich gekommen, von höheren Klimazielen bis zum Abschiedsdatum für den Verbrennungsmotor.
Dabei fielen in diese Zeit die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine samt Energiekrise – die Sorge um eine sichere Energieversorgung führte teils sogar zu verschärften Beschlüssen. Andere sind im Prozess verwässert worden, an zahlreichen Details gibt es Kritik und aus klimawissenschaftlicher Sicht wäre objektiv mehr nötig. Dennoch gilt der Green Deal bisher insgesamt als politischer Fortschritt.
Ob es auf diesem Weg weitergeht, steht momentan allerdings in den Sternen. Anfang Juni ist Europawahl, dann setzt sich das Parlament neu zusammen und eine neue Kommission tritt an. Prognosen sagen einen europaweiten Rechtsruck voraus. Im aktuellen EU-Parlament haben Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke eine knappe Mehrheit. Die könnte nun kippen, weil Nationalkonservative und Rechtsextreme in vielen Mitgliedsländern mit Gewinnen rechnen dürfen. Dazu zählt auch Deutschland. Bei der letzten Wahl 2019 waren die Grünen im Hoch, wurden mit Abstand zweitstärkste Partei hinter CDU und CSU. Jetzt könnte sich auf dieser Position die AfD wiederfinden. Der Thinktank European Council on Foreign Relations hält es in einer Analyse für wahrscheinlich, dass eine „Anti-Klimaschutz“-Koalition entsteht.
Was machen die Konservativen?
Eine entscheidende Rolle kommt dabei der größten Gruppe im Parlament zu, der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Aus Deutschland sind dort die Abgeordneten der Union vertreten. Im EU-Parlament gilt normalerweise kein Fraktionszwang, daher stimmen die verschiedenen Gruppen selten geschlossen ab. Zuletzt war die EVP in der Umwelt- und Klimapolitik aber klar auf Bremskurs. Im Sommer 2023 forderte sie eine „regulatorische Pause“ und bekämpfte das geplante Renaturierungsgesetz, das mit Blick auf Arten- und Klimaschutz vorschreibt, einen Teil der geschädigten Naturgebiete in Europa wiederherzustellen.
6000 Forschende sahen sich in der Debatte genötigt, falschen Behauptungen rund um das Gesetz – sowie das mittlerweile abgelehnte Vorhaben, den Einsatz von Pestiziden zu verringern – mit einem Aufsatz entgegenzutreten. Am Ende und in abgeschwächter Fassung gab es eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. In der prognostizierten Neuverteilung der Sitze wäre das wohl nicht gelungen. Auch den Verkaufsstopp für Pkw mit Verbrennungsmotoren ab 2035 lehnt die EVP ab. Ihr Fraktionsvorsitzender, der CSU-Politiker Manfred Weber, hat angekündigt, den Beschluss nach der Wahl zurücknehmen zu wollen.
Dieser Forderung sieht sich auch Ursula von der Leyen ausgesetzt, für Gesetzesvorschläge ist in der EU die Kommission zuständig. Als Antwort verwies sie darauf, dass 2026 ohnehin eine Überprüfung des Gesetzes vorgeschrieben sei. Von der Leyen möchte gerne im Amt bleiben, brauchte dafür aber die Nominierung als Spitzenkandidatin der EVP. 2019 war das noch anders, damals war eigentlich Weber auf dem Papier nominiert, passte aber nicht allen Mitgliedsländern, die formell den Kommissionsvorsitz bestimmen.
Künftiger Kommissionskurs unklar
Es sieht so aus, als ob von der Leyen erfolgreich sein könnte. Ob sie danach ihre bisherige Politik fortsetzt oder auf den EVP-Kurs umschwenkt, steht auf einem anderen Blatt. Zumal das politische Gesicht des Green Deal mittlerweile nicht mehr in Brüssel weilt: Der Niederländer Frans Timmermans koordinierte als Vize-Kommissionschef die Umsetzung, bevor er 2023 abtrat, um bei den Wahlen in seinem Heimatland zu kandidieren.
Als eine ihrer letzten großen Amtshandlungen vor der Wahl hat die Kommission Anfang Februar ein EU-weites Klimaziel für 2040 vorgeschlagen, einen bislang fehlenden Zwischenschritt: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 55 Prozent sinken, bis 2050 soll das Bündnis klimaneutral sein. Die Kommission schlägt nun also vor, für 2040 minus 90 Prozent anzusetzen.
Das liegt am unteren Ende dessen, was das European Scientific Advisory Board on Climate Change empfiehlt, ein neu geschaffenes wissenschaftliches Beratungsgremium. Die Expertinnen und Experten hatten für 90 bis 95 Prozent plädiert und außerdem ein verfügbares Restbudget nach 2030 von elf bis 14 Milliarden Tonnen CO2 angesetzt – die Kommission geht von 16 Milliarden aus. Umweltorganisationen fordern die obere Marke von 95 Prozent, die europäischen Grünen haben in ihr Wahlmanifest sogar Klimaneutralität bis 2040 geschrieben, wobei sich laut Medienberichten die deutschen Grünen dagegen ausgesprochen hatten.
Auf Kritik stößt auch die Rolle, die die Kommission für die Abscheidung und anschließende Speicherung oder Nutzung von CO2 (CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte./CCU) vorsieht. Dass die CO2-Entnahme bei bestimmten industriellen Prozessen, etwa der Herstellung von Zement, wohl notwendig sein wird, ist relativ konsensfähig. Die Kommission will sie aber auch bei der Stromerzeugung in Gaskraftwerken einsetzen. Dabei ist aus den Debatten rund um den Fossilaussteig beim Klimagipfel in Dubai von EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra eigentlich das Zitat überliefert, „we cannot CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. ourselves out of the problem“, CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. sei bei Kraftwerken also keine Lösung.
Er könne die Kritik an der Stelle nachvollziehen, sagte der Energieexperte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik bei einem Pressegespräch zum Kommissionsvorschlag. „Das widerspricht schon dem, was die Europäische Union in der Regel in der internationalen Klimapolitik vertritt.“ Einen ähnlichen Kurswechsel hat in Deutschland gerade Wirtschaftsminister Robert Habeck hingelegt.
Unzuverlässige Verhandlungspartner
Zusammen mit dem Europaparlament entscheiden am Ende die Regierungen der Mitgliedsländer über die meisten EU-Regelungen. Deshalb haben nationale Konflikte und Interessen nach wie vor großen Einfluss auf Brüsseler Beschlüsse. Deutschland zum Beispiel ist mittlerweile berüchtigt dafür, mit dem Parlament in einem komplizierten Verfahren fertig ausgehandelte Gesetze wieder aufzumachen, weil die FDP plötzlich nicht mehr mitspielt. So lief es etwa beim Verbrenner-Aus, sowohl für Pkw als auch später für Busse, und zuletzt beim Lieferkettengesetz. Berichten zufolge hat FDP-Chef Christian Lindner sogar Absprachen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den rechtsnationalistischen Fratelli D‘Italia getroffen, um jeweils unliebsame Gesetzesentwürfe gemeinsam zu kippen.
Frankreich hat sich dieses Verhalten schon zum Vorbild genommen und versucht, kurzfristig noch die Förderung von Wasserstoff aus Atomstrom durchzudrücken. Der teure Neubau von Atomkraftwerken hat für die französische Regierung Priorität, bei erneuerbaren Energien kommt das Land kaum voran. Präsident Emmanuel Macron blies zudem kürzlich ins gleiche Horn wie die EVP und forderte eine „regulatorische Pause“ in der EU-Umweltpolitik. Immerhin verspricht die neue Regierung in Polen, wieder konstruktiv am Klimaschutz mitzuarbeiten, statt den Fossilausstieg wie bisher zu blockieren.
Fertig ist die Arbeit keineswegs. Der Vorschlag zum 2040-Ziel ist erstmal nur das, ein Vorschlag. Der konkrete Gesetzesentwurf und die Verhandlungen sind Sache der nächsten Kommission. Viel akuter aber: Diverse Analysen – auch der EU selbst – kommen zu dem Schluss, dass sie derzeit an ihrem 2030-Ziel vorbeisteuert. Grund sind die Pläne der Mitgliedsländer, die entweder nicht weitreichend genug sind oder nicht ausreichend erklären, wie sie die in Aussicht gestellten Emissionsminderungen erreichen wollen.
Eine Studie des European Climate Neutrality Observatory diagnostiziert für fünf Beispielländer eine „signifikante Transparenz-Lücke“. In Italien etwa sei für 44 Millionen Tonnen CO2 nicht klar, wie sie eingespart werden sollen, fast 40 Prozent der Gesamtmenge. Bis Ende Juni müssen die EU-Staaten ihre „Nationalen Energie- und Klimapläne“ überarbeitet haben, dann lässt sich neu bilanzieren, ob es für die Zwischenmarke voraussichtlich reichen wird.
Problemfall Landwirtschaft
Einfacher wird es danach nicht, von 2030 bis 2040 müsste die Emissionskurve laut Plan steiler fallen als zuvor, um dann bis 2050 wieder abzuflachen. Der deutsche Thinktank Agora Energiewende hat in einem Papier 20 Denkanstöße für mögliche Initiativen in der nächsten Legislaturperiode gesammelt. Dazu gehört etwa, den Austausch fossiler Heizungen zu unterstützen, Mindeststandards für die Versorgung im öffentlichen Nahverkehr zu schaffen und realistische Ziele für den Einsatz von Bioenergie und CO2-freien Gasen zu setzen.
Eine weitere Idee: EU-Länder, die stark auf Atomenergie und CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. setzen, müssten Alternativpläne entwickeln für den Fall, dass die Projekte – wie bisher regelmäßig geschehen – länger dauern oder unerschwinglich werden. Eine große Herausforderung sei außerdem die Klimabilanz im Agrar- und Forstsektor. Hier lautet der Vorschlag unter anderem, Agrarfördergelder so umzulenken, dass die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Umwelt- und Klimaschutz finanziell belohnt wird. Das zählt auch zu den Empfehlungen des Scientific Advisory Boards, neben einer Aufnahme des Sektors in den Emissionshandel und Anreizen für eine weniger fleischlastige Ernährung.
Wenn die Landwirtschaft bei ihrer bisherigen Produktionsweise bleibe, würden sehr große Kapazitäten zur CO2-Entnahme nötig, so Oliver Geden. In einem Agrarland wie Irland sei das in dem Ausmaß gar nicht realistisch. Seiner Einschätzung nach wird der Sektor „der große Problemfall werden, auch politisch“. Bislang habe man ihn „über Gebühr geschont“. Dabei protestieren schon jetzt Bauern in mehreren EU-Staaten und auch in Brüssel, angefeuert von konservativen bis rechtsextremen Politikern.
Die EU-Kommission führt in ihrem sogenannten Impact Assessment zum 2040-Ziel ein alternatives Szenario auf – allerdings nur zu Anschauungszwecken –, das mit weniger technischer CO2-Entnahme zum gleichen Ergebnis kommt. Dafür müsste die europäische Bevölkerung Dinge öfter reparieren statt neu kaufen, geteilte Mobilität statt Privatautos nutzen und sich nachhaltiger ernähren. Aber das wirklich vorzuschlagen, erschien der Kommission dann wohl doch zu gewagt.