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ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2025 - Klimaschutz mit Krisenschutz
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Interview

„Wir können einen Paradigmenwechsel erleben“

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Über die dafür nötigen Gesetze wird in der Bundesregierung viel gestritten. Die rechtlichen Vorgaben der EU könnten helfen, das Ausbautempo stark zu beschleunigen, ist Thorsten Müller, Chef der Stiftung Umweltenergierecht, überzeugt.
Interview: Jörg-Rainer Zimmermann
07.11.2024 | 9 Min.
Erschienen in: Ausgabe 11/2024
Thorsten Müller leitet die Stiftung Umweltenergierecht.
Thorsten Müller leitet die Stiftung Umweltenergierecht.
Foto: Manuel Reger/Stiftung Umweltenergierecht

neue energie: Das Wirtschaftsministerium hat jüngst nochmals an mehreren gesetzlichen  Stellschrauben gedreht, um die Energiewende zu beschleunigen. Welche der Eingriffe sind aus Ihrer Sicht zentral?

Thorsten Müller: Aus meiner Sicht gibt es zwei sehr wichtige Bereiche, an denen derzeit gearbeitet wird. Da ist einmal das Planungs- und Genehmigungsrecht. Konkret geht es um das Gesetz zur Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU und  dort um die sogenannten Beschleunigungsgebiete für die Windenergie an Land, PV-Freiflächenanlagen und Speicher. Das ist das Pendant zu dem parallel laufenden Gesetzgebungsverfahren für Windenergie auf See. Dieses Instrument hat das Potenzial, den gordischen Knoten, den es bei der Beschleunigung des Onshore-Wind-Ausbaus gibt, letztlich zu durchschlagen. Wir können im Planungsund Genehmigungsrecht einen Paradigmenwechsel erleben, wenn es gelingt, die neuen unionsrechtlichen Möglichkeiten sinnvoll umzusetzen.

ne: Und was wäre der zweite, für Sie sehr wichtige Bereich?

Müller: Dabei geht es um die Frage, wie künftig die finanzielle Förderung von Investitionen in erneuerbare Energien geregelt sein soll und welche Rolle das Erneuerbare-Energien- Gesetz, kurz EEG, in Zukunft spielt. Das Wirtschaftsministerium hatte dazu Anfang August Vorschläge veröffentlicht, die jetzt unter dem Namen ‚Optionen-Papier‘ diskutiert  werden. Dabei sind wir noch in einem dem Gesetzgebungsverfahren vorgelagerten Stadium. Mit dem Papier ist ein breites Spektrum aufgezeigt worden. Dies umfasst eine lineare Fortschreibung der Vergütung unter modifizierter Beibehaltung des Status quo. Am anderen Ende des Spektrums steht eine weitreichende Umstellung von der heutigen Betriebsförderung auf eine Investitionsförderung. Es könnte also zu sehr grundlegenden Veränderungen kommen. Wir wissen aber nicht, welcher der beste Weg ist. Im Gegensatz dazu lässt sich das beim Thema Beschleunigungsgebiete relativ genau erklären.

ne: Bitte erläutern Sie das.

Müller: Der Gesetzentwurf, der die geänderte Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU  in nationales Recht überführen soll, ist nur in Teilen gut gelungen. Die Idee aus Brüssel war, dass im Genehmigungsverfahren in Zukunft die Artenschutz- und FFH-Prüfungen, wie auch die Vereinbarkeit mit den Belangen des Wasserschutzes im Wesentlichen auf einer Ebene zusammengezogen werden. Prüfungen sollen im Grundsatz nur noch auf der Planungsebene erfolgen. Dort sollen auch eventuell erforderliche Minderungsmaßnahmen definiert werden – also zum Beispiel, Antikollisionssysteme, Ablenkflächen oder dass Abschaltungen bei landwirtschaftlicher Bodenbewirtschaftung vorzusehen sind. Wenn der Anlagenbetreiber mit seinem Genehmigungsantrag nachweist, dass er diese Minderungsmaßnahmen einhält, wird davon ausgegangen, dass die Vereinbarkeit des Projektes mit dem Umwelt- und Naturschutz gewährleistet ist.

ne: Was hat das zur Folge?

Müller: Es gibt dann kein langwieriges Genehmigungsverfahren mehr, sondern nur noch ein Screening. Im deutschen Gesetzentwurf heißt es Überprüfung. Dabei soll nur noch geschaut werden, ob unvorhergesehene, erheblich nachteilige Umweltauswirkungen vorliegen, die auf Planungsebene übersehen wurden. Wenn das nicht der Fall ist, gilt nach dem Unionsrecht die Genehmigung nach 45 Tagen unter Umweltgesichtspunkten als erteilt. Bei RepoweringAustausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort.Austausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort.-Vorhaben sind es sogar nur noch 30 Tage. Das ist eine sehr weitgehende Beschleunigung.

ne: Dennoch gibt es Kritik am Entwurf…

Müller: Der Gesetzgeber hat an vielen kleinen Stellen das Potenzial der EU-Richtlinie nicht ausgeschöpft. Zum Beispiel wurde die gerade angesprochene Vereinbarkeitsvermutung gar nicht geregelt. Es ist nur ausgeführt, dass das einschlägige Umweltrecht nicht geprüft wird, wenn die Minderungsmaßnahmen eingehalten werden. Das hätte aber zur Konsequenz, dass die Anforderungen des Umweltrechts weiterhin vollumfänglich gelten würden und von den Anlagenbetreibern auch beachtet werden müssten. Nur würde die Behörde das nicht prüfen. Vielmehr muss der Projektierer ganz einfach allein für die Einhaltung aller Vorschriften sorgen. Damit entstünde natürlich große Rechtsunsicherheit. Und zudem fehlt es in dem Gesetzesentwurf auch an der Genehmigungsfiktion, die beim Nichtstun der Behörde nach den besagten 45 Tagen gelten soll.

ne: Das bedeutet, der Planer hängt gewissermaßen in der Luft und weiß nicht mit letzter Gewissheit, wie es weitergeht?

Müller: Richtig, und genau das wollte die Erneuerbare-Energien-Richtlinie vermeiden. Wenn die Vereinbarkeit des Windprojekts mit dem Arten- und Naturschutzrecht rechtlich vermutet wird und daraufhin die Genehmigungswirkung insoweit fingiert wird, entsteht nicht nur Beschleunigung, sondern gerade auch Rechtssicherheit.

ne: Gibt es in dem Entwurf weitere ungünstige Aspekte?

Müller: Es gibt einige Regeln, die auf den ersten Blick für die Windenergie zwar günstig erscheinen, die aber auf tönernen Füßen stehen könnten. Etwa wurde vorgeschlagen, dass jede Windenergiefläche zu einem Beschleunigungsgebiet ausgewiesen werden muss. Es sei denn, es befindet sich in einem bestimmten, gesetzlich definierten Ausschlussgebiet, wie den Natura-2000-Gebieten, oder es handelt sich um ein sogenanntes sensibles Gebiet.

ne: Die EU-Richtlinie lautet an der Stelle ja etwas anders.

Müller: Und daraus könnte sich ein Problem ergeben. Die Richtlinie sieht eigentlich vor, dass nur diejenigen Flächen Beschleunigungsgebiete werden sollen, bei denen aufgrund der auf der Planungsebene erhoben Daten nicht zu erwarten ist, dass es erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen gibt. Das sollen die Behörden prüfen. An dieser Stelle geht der deutsche Gesetzgeber also sehr weit, denn er schreibt den Behörden vor, dass sie außerhalb der definierten Ausschlussgebiete immer auszuweisen haben. Ein Prüfverfahren ist gerade nicht vorgesehen. Es ist unsicher, wie der Europäische Gerichtshof das einmal bewerten wird.

ne: Wie lautet Ihre Empfehlung?

Müller: Auch wenn es für die Windbranche auf den ersten Blick ungünstig erscheint, würde ich dafür plädieren, zu einer ‚Soll ausweisen‘-Regelung zu wechseln. So ist das ja auch im parallelen Gesetzentwurf für Wind auf See vorgesehen. Das dürfte sich auch gar nicht dramatisch auswirken. Denn die Behörde muss auch bei einer Soll-Vorschrift im Regelfall die Fläche als Beschleunigungsgebiet ausweisen, es sei denn, es liegt ein atypischer Fall vor, mit besonderen Anhaltspunkten, die gegen einen Windpark sprechen. Parallel gibt es zudem den Paragraf 2 EEG, der festschreibt, dass erneuerbare Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Die Soll-Regel plus Paragraf 2 dürfte letztlich zu einem sehr ähnlichen Ergebnis wie der Regierungsentwurf führen. Das europarechtliche Risiko wäre aber deutlich minimiert. Aber es gibt einen weiteren Punkt, was an diesem Gesetzentwurf wenig geglückt ist.

ne: Nämlich?

Müller: Die Richtlinie sieht wie gesagt vor, dass die Behörde die Überprüfung – das Screening – durchführt und unvorhergesehene erhebliche Umweltnachteile identifizieren soll. Liegen solche Nachteile vor, dann müssen weitere Minderungs- oder Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden. Wenn das nicht möglich ist, dann sollen Zahlungen geleistet werden, die Artenschutzprojekten zugutekommen. Die Bundesregierung hat nun einen Weg gewählt, der in noch mehr Fällen solche unvorhergesehenen Nachteile identifizieren dürfte, als es das Unionsrecht tun würde. Laut dem Gesetzentwurf sollen bereits ‚eindeutige tatsächliche Anhaltspunkte‘ ausreichen. Das ist viel weicher als die Formulierung der Richtlinie, die ‚eindeutige Beweise‘ verlangt, damit die Vermutungswirkung durchbrochen werden kann.

ne: Das bedeutet, der Gesetzentwurf sieht in sehr viel mehr Fällen eine Zahlungspflicht vor als die Richtlinie?

Müller: So ist es. Etwa bereits dann, wenn keine entsprechenden Daten vorhanden sind, die etwas zum Artenschutz aussagen. Die Richtlinie geht hingegen davon aus, dass es immer Daten gibt, sei es schon vorab bei den Behörden, sei es im Verfahren durch den Vorhabenträger zur Verfügung gestellt. Sind diesen Daten keine Aussagen zu Artenschutzkonflikten zu entnehmen, gibt es auch keine weiteren Probleme. Und folglich auch keine Zahlungspflichten. Es gibt beim Regierungsentwurf also eine deutlich überschießende Tendenz, indem viel häufiger Zahlungen anfallen würden als unionsrechtlich erforderlich. Das wird sogar noch verschärft, indem Daten, die älter als fünf Jahre sind, einfach nicht mehr verwendet werden dürfen. Vielleicht wäre das für den Artenschutz gut. Aber es geht um Kosten, die in den Projekten erwirtschaftet werden müssen und die die Energiewende insgesamt teurer machen. Insgesamt finden sich viele anscheinend kleine Aspekte, die aber in Summe große Wirkungen entfalten und unbedingt nachgebessert werden sollten. Sonst werden die Chancen, die sich mit der EU-Richtlinie für einen schnelleren Ausbau eröffnen, nicht wirklich genutzt.

ne: Einmal beste Absichten des Gesetzgebers vorausgesetzt – warum kommt es in einem Gesetzentwurf zu solch einer Vielzahl von juristischen Fallstricken, die dem übergeordneten Ziel zuwiderlaufen?

Müller: Die Absicht würde ich nicht in Zweifel ziehen wollen. Ich glaube, es geht um eine Vielzahl von Faktoren. Dieser Gesetzentwurf wurde von drei Ministerien gemeinsam erarbeitet. Dadurch entstand gleich am Anfang noch in der Konzeptionsphase eine Verhandlungssituation. Das hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass sehr früh Kompromisslösungen formuliert wurden. Dazu kommt der Zeitdruck und der einfache Umstand, dass sich alle Akteure, gerade auch Juristen, bewusst oder unbewusst an bekannten Strukturen orientieren. Das kann dazu führen, dass der grundlegende Wandel einer neuen Regelung und die neuen Spielräume nicht erkannt werden. Mit der Folge, dass die sich eröffnenden Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden.

ne: Oft wird kritisiert, dass Genehmigungsbehörden nicht genug qualifiziertes Personal haben. Ist das auch bei Ministerien der Fall?

Müller: Das Problem dürfte tiefer liegen. Die Art und Weise der Abstimmung in der Bundesregierung erfolgt mehr in einem Gegeneinander als in einem konstruktiven Miteinander. In der Politikwissenschaft wird von negativer statt der wünschenswerten positiven Koordination gesprochen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Aufgabe, den Windenergieausbau zu beschleunigen, die Experten zum Planungs- und Genehmigungsrecht sitzen aber in den Ministerien für Bauen und Umwelt.

ne: Dazwischen liegen Welten…

Müller: Ja, diese Häuser haben andere Kulturen und setzen andere politische Schwerpunkte. Daher fragt das BMWK dort nicht einfach an, wie das Ziel, Beschleunigungsgebiete einzurichten, am besten zu erreichen ist. Vielmehr versucht es, die notwendige Expertise selbst aufzubauen, um solch ein Gesetz maßgeblich selbst zu erarbeiten. Ich habe meine Zweifel, ob das wirklich zielführend ist.

ne: Weshalb?

Müller: Wir wollen ja in Deutschland bis 2045 klimaneutral sein. Wenn wir weiter so vorgehen wie beschrieben, dann wird es schwer, innerhalb der kurzen Zeit die Probleme zu lösen. Wir erlauben uns zu viele Reibungsverluste und Umwege, die aufwendig korrigiert werden müssen. Vielmehr müssen wir alle Kapazitäten zur Problemlösung aktivieren. Das setzt politische Führung, ein Minimum an Vertrauen und ein gemeinsames Zielbild voraus. Mehr Personal in den Ministerien ist eine Konsequenz unseres bisherigen Vorgehens, aber nicht zwangsläufig ein Garant für gute Lösungen. Zumal sich dadurch das Gewicht von Regierung und Parlament immer stärker zulasten des Bundestags verschiebt.

ne: Zurück zum Gesetzentwurf. Was sind nun die nächsten Schritte bis zum fertigen Gesetz?

Müller: Der Ball liegt beim zuständigen Ausschuss, der den Gesetzentwurf jetzt berät. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Ampel-Fraktion werden also darüber verhandeln, welche Änderungen  sie noch vornehmen wollen. Es wäre zu hoffen, dass das Gesetz dann schnell verabschiedet wird. Die EURichtlinie schreibt vor, dass schon Mitte Mai 2026 die Beschleunigungsgebiete ausgewiesen sein sollen. Das heißt, die Planungsträger brauchen sehr schnell Klarheit. Zumal derzeit parallel die Flächen ausgewiesen werden, die zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz erforderlich sind. Je schneller die Umsetzung der EU-Richtlinie vorliegt, desto besser können die beiden Prozessesynchronisiert werden.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 11/2024 von neue energie erschienen.

 

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