Windenergie im Wald

Die Axt am deutschen Märchenwald?

Windparks im Wald provozieren Widerspruch – dabei sollten sie gerade von Waldliebhabern begrüßt werden. Ein Kommentar von Walter Delabar.
Kommentar: Walter Delabar
29.04.2025 | 7 Min.
Windkraftanlage im Wald
Windkraftanlage im Wald
Pixabay

Dem Deutschen ist sein Wald heilig. Immer schon und heute noch. Der Gang in die Natur soll gern unter Waldwipfeln stattfinden, da herrscht Ruhe und das Erlebnis ist erhebend, Geist und Körper finden Erholung, was gerade in unserer hektischen Zeit von besonderer Bedeutung ist. Da ist dann jede Meldung, dass es an den Baumbestand geht, beunruhigend bis empörend, unabhängig davon, ob die Schäden auf Kyrill, Borkenkäfer, Autofabriken, Braunkohletagebau oder Windparkprojekte zurückgehen – wo der Wald bedroht sein soll, gehen Puls und Emotionen hoch. Heimat, deutsche Seele, deutscher Wald – die Schlagworte reihen sich dann ganz schnell, was BILD-Zeitung und die derzeitige AfD-Vorsitzende gern aufnehmen und unters Lese- und Wahlvolk bringen: Windräder der Schande im deutschen Märchenwald?

Aufruhr um den Märchenwald

Anlass für die politisch motivierte Polemik der letzten Zeit waren Projekte im sogenannten Reinhardswald bei Kassel, den sich die Brüder Grimm als Handlungsort einiger ihrer Märchen ausgesucht hatten. Der Verweis auf die Brüder Grimm gewährt gewissermaßen Bestandsschutz, also die Unveränderbarkeit eines selbstverständlich uralten Natur- und Kulturraums. Dornröschen harrt anscheinend hier immer noch auf den Ablauf der hundert Jahre, bis dann der glückliche Prinz daherkommt, der eben nicht mehr kläglich in der Dornenhecke verendet. Bis dahin verheddert sich nun auch jeder, der die Hand an den Märchenwald resp. die wohl mitzudenkende Hecke legt, letal. Alternativ gehen jetzt Windparkplaner hin und wollen – selbstverständlich – mitten im Märchenwald Windenergieanlagen bauen. So wird – so der empörte Aufschrei – Heimat zerstört, wahlweise Kultur und Natur dazu – und das für zweifelhafte Projekte, bei denen anscheinend die Falschen ihr Geld verdienen wollen, ohne dass wenigstens billige Energie dabei herauskommt (womit über Braunkohle und Atomstrom zu reden wäre).

Nun könnte man zum Thema Grimm’sche Märchen und deren Entstehung noch einiges schreiben. Es ließe sich auch einiges noch zum Thema wirtschaftliche Nutzung und Prägung von Naturräumen hinzufügen: Dass ungefähr 30 Prozent der bundesdeutschen Fläche von Wald bedeckt ist, geht auf ein mittlerweile mehr als einhundert Jahre altes Konzept zurück, das seine nachhaltige wirtschaftliche Nutzung zum Ziel hatte und hat. Und das führt dazu, dass Wald in Deutschland nicht gleich Wald ist: Nutzholzplantagen und naturbelassene Areale gehören ebenso zum Wald wie Mischwälder oder aber auch große Flächen, die heute daniederliegen, weil sie den verschiedenen Stürmen oder Schädlingen zum Opfer gefallen sind.

Und für alle gilt in unterschiedlicher Weise: Es gibt in Europa heute kein Areal, das nicht von der menschlichen Nutzung geprägt wäre. Und wo es heute naturbelassene Räume gibt, gehen sie entweder darauf zurück, dass ihre Nutzung sich nicht (mehr) lohnt. Oder es steckt eine bewusste Entscheidung dahinter, etwa Waldgebiete sich selbst zu überlassen. Wer hier Heimat oder Kulturraum oder Erbe sehen will – am liebsten „unberührt“ –, den kann man nicht daran hindern. Dem Deutschen ist eben sein Wald heilig. Und da wird dann eben geklittert, was das Zeug hält.

Zur Sache

Aber Thema sind hier Windparks im Wald. Knapp geschrieben: Wer Windparks im Wald plant, muss mit Widerstand rechnen, mit Vorwürfen und gelegentlich auch damit, dass es die Leute dabei nicht so genau nehmen. Denn es geht den Gegnern darum, dass sie keine industriellen Anlagen (und das sind Windparks) in der Natur haben wollen.

Auf der anderen Seite bleibt: Wind im Wald ist auch für Planer eine heikle Geschichte, bei der sie es besonders gut hinschauen müssen. Denn unabhängig davon, dass solche Projekte aufwendig sind und wirtschaftlich hohe Hürden haben, sind die naturschutzrechtlichen Auflagen mit gutem Grund in solchen Fällen hoch. Denn mit Windparks ändert sich der Charakter von Wald zweifellos. Zwar bleibt Wald weiterhin auch Erholungsraum – das war er auch während seiner ausschließlichen Nutzung als Lieferant von Nutzholz. Man hat sich nur an die bislang bestehenden Fassungen von Wald gewöhnt. Die Nutzung durch die Holzwirtschaft ist allerdings weitgehend saisonal. So darf während der Brutzeit kein Holz geschlagen werden. In der Holzsaison ist dann hingegen einiges los im Wald. Auf der anderen Seite: Nach der Bauphase sinkt die Beeinträchtigung durch Lärm und Verkehr im Windpark auf ein Minimum, Notfälle ausgenommen. Ab und zu ein Servicefahrzeug, das wars. Bleibt also erst einmal die Änderung des Landschaftsbildes durch die Windenergieanlagen. Ohne Widerspruch: Der Wald ist nicht mehr derselbe.

Aber wenn die Energiewende erreicht werden soll, dann müssen auch Waldflächen genutzt werden. Und wenn der Natur- und Artenschutz im Klimaschutz nicht zu kurz kommen soll, dann müssen hohe Standards bei der Realisierung von Windparks im Wald eingehalten werden.

Standortfragen

Die Verpflichtung auf eine nachhaltige Installation von Windenergieanlagen im Wald und die Reduzierung der Belastungen für die Umwelt sind jedenfalls den Verfahren für die Projektrealisierung eingeschrieben: Das beginnt bei den Flächen, die hier überhaupt in Anspruch genommen werden können. Es geht bei den naturschutzfachlichen Untersuchungen weiter und setzt sich bis zu den Ausgleichsmaßnahmen fort, die für den Verlust von Waldflächen durchzuführen sind.

Zuwegung und Kranstellfläche müssen im Wald auf engstem Raum geplant und umgesetzt werden. Für den Bau müssen weitere Flächen vorbereitet werden, auf denen Bauteile zwischengelagert und montiert werden können, die später wieder renaturiert werden müssen.

Anders als im Flachland sind Waldstandorte vor allem im Mittelgebirge nur schwer zu erreichen, vor allem für die Schwertransporte, die beim Auf- und Abbau gefahren werden müssen. Transport- und Servicewege müssen nachhaltig geplant und gepflegt werden. Die für den Bau notwendigen Interimsflächen erfordern große Flexibilität, da neben den baulichen Anforderungen auch die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden müssen. All das ist Aufwand und kostet Geld – und dennoch sind auch Waldstandorte sinnvoll nutzbar, spätestens mit den Anlagen neuen Typs, deren Nabenhöhe deutlich größer ist. Anders als bei den Anlagen der späten 1990er Jahre kommen Anlagen modernen Typs auch mit der Rauigkeit des Geländes und den aerodynamischen Wirkungen der Bewaldung zurecht.

Die Axt am deutschen Märchenwald?
Foto: Walter Delabar

Naheliegend werden für Standorte, Wege und Lagerflächen vor allem nachrangige Waldflächen genutzt. Dafür kommen vorwiegend Standorte in Nutzwäldern in Frage, also in Nadelholzwäldern, während Laubholzbestände so weit wie möglich ausgenommen werden. In den letzten beiden Jahrzehnten kommen zudem Gebiete in Frage, die durch Stürme oder Ungezieferbefall nachhaltig geschädigt sind. Kyrill hat 2007 bereits große Schäden im Mittelgebirge verursacht. Die nachfolgenden Stürme haben – auch wenn sie nicht derart stark waren – ebenfalls große Waldbestände vernichtet. Die Borkenkäferplage, von der in den letzten beiden Jahren berichtet wurde, hat ihr Übriges getan, was ja zu den bekannten Notstandsmeldungen geführt hat. Über Klimaschäden muss man an dieser Stelle nicht einmal reden. Der Gang durch den Wald hat seinen Charakter vielerorts bereits deutlich verändert, wie die kleine private Impression aus dem Harz zeigt. (Bild rechts)

Joint venture

Gerade im Mittelgebirge werden deshalb oft Standorte auf den Höhenzügen genutzt, weil diese bei Stürmen besonders stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Zugleich sind das die attraktivsten Standorte für Windparks: größere Windhöffigkeit, bessere Anströmung, und das auf Freiflächen, die eh wieder aufgeforstet werden müssen, mit großer Sicherheit anders als bisher und eben auch mit Unterstützung durch die Windenergie.

Und da wird’s eben auch für den Walderhalt wie für die Anpassung des Walds an die neuen Anforderungen durch Schädlingsbefall, Brandschutz oder auch – für den, für den es ihn gibt – Klimawandel interessant. Denn Stürme und Borkenkäfer schaden nicht nur dem Wald, sondern produzieren enorme wirtschaftliche Schäden bei den Waldeigentümern, öffentlich wie privat – entweder weil Holzernten wegfallen oder die Preise für Nutzholz (etwa wegen Überangebot bei Sturmschäden) in den Keller fallen, von massiven Qualitätseinbußen beim Holz nicht zu reden. Das Geld fehlt dann nicht nur bei der Einrichtung der mondänen Waldschlösser derer von Holz und Wald, sondern auch und gerade bei der Aufforstung. Hinzu kommt, dass Neuaufforstungen auf die verschiedenen Schadensbilder Rücksicht nehmen, also andere Holzarten verwendet werden, Schneisen und Freiflächen eingeplant werden und weiteres mehr. Das alles kostet Geld – und Windparks im Wald leisten dazu ihren Beitrag. Vor allem, indem sie über Ausgleichsmaßnahmen die Aufforstung erleichtern, wo sie sie nicht überhaupt erst möglich machen. Außerdem lassen sich die Freiflächen und Schneisen, die für Windparks entstehen, in die neuen Aufforstungskonzepte einpflegen. Und schließlich bringen Windparks über Pachten für die Forstbesitzer neue Einnahmequellen, die auch für die Aufforstung genutzt werden können. Und so kommen beide Seiten – Wald und Windenergie – zusammen. Und vielleicht entstehen dann auch wieder Wälder, in denen sich Erholungssuchende ergehen können.

Oder anders gewendet, den Märchenwald gibt es schon lange nicht mehr, wenn es ihn je gegeben hat. Es ändert sich immer und alles, auch im deutschen Wald. Aber um den Wald zu erhalten, wird man einiges ändern müssen, gegebenenfalls auch Windparks zulassen.

 

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