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Offshore-Windkraft

Neuer Lebensraum – oder Gefahr für Wale und Co?

Anne-Katrin Wehrmann, 15.06.15
Bau und Betrieb von Offshore-Windparks stellen Eingriffe in die Meeresumwelt dar. An einem Gesamtbild über die tatsächlichen Auswirkungen auf die marine Flora und Fauna wird noch gearbeitet. Dabei zeigt sich: Es gibt auch tierische Nutznießer.

Ob Makrele oder Hering, Schweinswal oder Hummer, Taschenkrebs oder Alge: Unzählige Tier- und Pflanzenarten leben in der deutschen Nord- und Ostsee, und alle müssen sie sich mit menschlichen Eingriffen in ihren Lebensraum arrangieren. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat mit der Fischerei, Nährstoffeinträgen (Abwässer und Düngemittelreste) sowie Abbau- und Baggerarbeiten drei Hauptgefährdungsfaktoren für die marine Flora und Fauna ausgemacht. In einer im Mai 2013 von der Behörde veröffentlichten Roten Liste der Meeresorganismen heißt es, dass nur knapp 31 Prozent von 1700 analysierten Arten nachweislich nicht gefährdet seien. 30 Prozent stehen auf der Roten Liste und gelten somit als bedroht, bei den übrigen Arten gibt es noch nicht genügend Informationen für eine fundierte Einschätzung.

Inwieweit der Ausbau der Offshore-Windenergie langfristig negative – oder am Ende vielleicht sogar positive – Auswirkungen auf die Meeresumwelt haben wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Zwar gibt es zahlreiche punktuelle Untersuchungen hierzu, etwa im Rahmen der ökologischen Begleitforschung an den Fino-Forschungsplattformen und im Testfeld „alpha ventus“, doch ein Gesamtbild wird es erst dann geben, wenn mehrere Windparks für einige Jahre in Betrieb gewesen sind und die Forschung fortgesetzt wird.

Ein Tier, dem in diesem Zusammenhang seit einiger Zeit eine besonders große Aufmerksamkeit zukommt, ist der als stark gefährdet und streng zu schützen eingestufte Schweinswal, der zum (Über-)Leben zwingend auf sein gutes Gehör angewiesen ist. Nach aktuellem Wissensstand kann bei Schweinswalen durch einen einzigen so genannten Einzelereignis-Schalldruckpegel, wie er beim Rammen von Fundamenten gleich tausendfach vorkommt, ab 164 Dezibel (dB) eine Hörschwellenverschiebung ausgelöst werden. Eine solche zeitweise Schwerhörigkeit kann zu schweren Störungen bei der Orientierung, der Nahrungssuche und der innerartlichen Kommunikation der Meeressäuger führen.

Um die Tiere davor zu bewahren, ist in Deutschland ein Grenzwert von 160 dB vorgeschrieben, den Errichter von Offshore-Windparks mithilfe geeigneter Schallminderungsmaßnahmen einzuhalten haben. Bei den ersten Projekten in hiesigen Gewässern gelang das vielfach noch nicht, trotz des Einsatzes eines Blasenschleiers, bei dem um das Fundament herum auf den Meeresboden gelegte Druckluftschläuche zur Verringerung des Rammschalls Luftblasen erzeugen. Mittlerweile hat sich die Schallschutztechnik nach Aussage von Nico
Nolte vom für Genehmigungen zuständigen Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) allerdings „sehr positiv entwickelt“.

Streit um Schweinswale

Bei den Ramm-Arbeiten im vergangenen Jahr sei der Grenzwert fast durchgängig eingehalten worden, sagt der Leiter des Referats Ordnung des Meeres. „Für Monopile-Fundamente in einer Wassertiefe von ungefähr 25 Metern haben wir mit dem Hüllrohr eine gut funktionierende Technik vorliegen. Jetzt müssen auch für andere Fundament-Typen und Wassertiefen Systeme entwickelt werden, die verlässlich unterhalb der 160-dB-Grenze bleiben.“ Eine Möglichkeit sei die Kombination von verschiedenen Schallminderungssystemen. „Die Entwicklung geht weiter“, betont Nolte, „und die Offshore-Windindustrie investiert weiter in diesen Bereich.“

Mit dem Schallminderungsrohr in Kombination mit einem zusätzlichen großen Blasenschleier hat Entwickler und Betreiber WPD beim Bau des Meereswindparks „Butendiek“ nach eigenen Angaben die besten Werte aller bisher in der Nordsee errichteten Windparks erreicht und den Grenzwert sogar stellenweise um bis zu zehn dB unterschritten. Die Umhüllung besteht aus einem doppelwandigen Stahlrohr, das zur Schallreduzierung über den Monopile gestülpt wird und in dessen Innerem außerdem Luftblasen aufsteigen. Die Datenanalysen des ökologischen Begleitmonitorings hätten keine messbaren Veränderungen der Schweinswalpopulation in der Umgebung der Baustelle gezeigt, berichtet WPD-Offshore-Geschäftsführer Achim Berge Olsen. „Für uns heißt das, dass unsere tatsächlich sehr aufwändigen und kostenintensiven Schallschutzmaßnahmen greifen und funktionieren.“

Laut WPD sind hierfür Gesamtkosten von rund 26,5 Millionen Euro entstanden. Dessen ungeachtet hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) im April 2014 nach dem Umweltschadensgesetz Klage gegen den Bau von „Butendiek“ eingereicht, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch das BSH und das BfN) richtet. Nach Ansicht der Naturschützer weist der Genehmigungsbescheid „zahlreiche Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht“ auf, da der Park inmitten des Fauna-Flora-Habitat-Gebiets „Sylter Außenriff“ sowie des EU-Vogelschutzgebiets „Östliche Deutsche Bucht“ liege und mögliche Auswirkungen auf Schweinswale und die ebenfalls besonders geschützten Seetaucher nicht hinreichend beachtet worden seien.

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BSH-Referatsleiter Nolte weist diesen Vorwurf zurück: In der Genehmigung seien alle Aspekte zum Schutz der Tiere umfassend berücksichtigt. WPD-Sprecher Christian Schnibbe betont: „Wir haben viel Geld und Arbeit investiert, alle genehmigungsrelevanten Vorgaben eingehalten und in einem sehr transparenten Verfahren mit dem BSH die Daten ausgetauscht. Aus unserer Sicht haben wir somit alles Erforderliche getan, um den naturschutzrechtlichen Belangen zu entsprechen.“ Letztlich habe man doch gemeinsame Ziele mit den Naturschutzverbänden, nämlich den Klimaschutz und die dafür notwendige Energiewende. „Am Ende ist das immer eine Frage der Standortwahl“, meint Nabu-Meeresschutzexperte Kim Detloff. „Die Fehler werden oft schon im Genehmigungsverfahren gemacht.“ Entscheidend sei, dass Vogelschutz- und Habitatrichtlinien eingehalten würden: „Wir dürfen kein Umweltrecht brechen, um unsere Klimaziele zu erreichen.“

Gewinner und Verlierer

Falls das Gericht der Nabu-Argumentation folge, könne es in letzter Konsequenz auch den Rückbau von „Butendiek“ anordnen. Dass es beim Rammen hierzulande einen Schallgrenzwert gibt, erkennt Detloff als „großen Fortschritt“ an, auch wenn dieser lediglich Verletzungen von Schweinswalen verhindern könne, Störungen der Tiere aber unberücksichtigt lasse. Dennoch könne technischer Schallschutz aus seiner Sicht nur die zweitbeste Lösung sein. „In erster Linie müssten innovative Gründungsvarianten wie Bohrverfahren oder Schwimmfundamente eingesetzt werden, bei denen Lärm gar nicht erst entsteht“, ist Detloff überzeugt.

Einen ersten Schritt in diese Richtung ist voriges Jahr Dong Energy beim Bau von „Borkum Riffgrund 1“ gegangen. Während bei der Installation der 77 Monopiles ebenfalls erfolgreich das Schallminderungsrohr zum Einsatz kam, setzte das Unternehmen im August zum ersten Mal den Prototyp eines so genannten Suction Bucket Jackets in die Nordsee – eine dreibeinige Gitterstruktur mit drei Becherfundamenten, die mittels Ansaugverfahren vergleichsweise leise im Boden verankert werden. Mit den ersten Daten zum Standverhalten der neuen Gründung sei in den kommenden Monaten zu rechnen, sagt Unternehmenssprecherin Iris Franco Fratini. „Wenn alles gut geht, gehen wir davon aus, dass das ein Modell für die Zukunft ist.“ Letztlich handele es sich um einen Beitrag zum Tierschutz und zur Kostenreduktion, da aufwändige Schallschutzmaßnahmen bei diesem Fundament-Typ nicht erforderlich seien.

Dass Offshore-Windparks nicht nur als Gefahr für die Meeresumwelt zu betrachten sind, sondern bestimmten Organismen auch einen neuen Lebensraum bieten, haben die bisherigen Forschungen bereits gezeigt. Aussagen hierzu sind allerdings nicht pauschal, sondern bestenfalls für einzelne Arten möglich. So gilt für Rast- und Zugvögel, dass sie durch die Windkraftanlagen einen Teil ihres Habitats verlieren können und die Gefahr von Kollisionen mit Rotorblättern besteht. Unter Wasser hingegen dienen die Fundamente als künstliche Riffe, an denen sich „enorme Mengen an Biomasse“ ansammeln, wie Lars Gutow vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (Awi) berichtet.

„Krebse und Miesmuscheln zum Beispiel siedeln sich extrem schnell an. Insgesamt beobachten wir in den Windparks eine deutliche Zunahme der lokalen Biodiversität.“ Allerdings: Wo Gewinner seien, gebe es üblicherweise auch Verlierer. Eine grundsätzliche Bewertung sei aufgrund der eingeschränkten Datenlage momentan noch nicht möglich. Fest steht, dass sich bestimmte Fischarten im Umfeld der Anlagen sehr wohl fühlen, was wohl hauptsächlich auf das dort geltende Fischereiverbot zurückzuführen ist. Selbst die Schweinswale scheinen nach Abschluss der Bauarbeiten zurückzukehren und in den Parks auf Nahrungsjagd zu gehen.

Hummer am Offshore-Park

Mit einem ungewöhnlichen Projekt hat jüngst die Biologische Anstalt Helgoland des Awi auf sich aufmerksam gemacht. Zur Wiederaufstockung der in den 1950er und 1960er Jahren stark eingebrochenen Hummerpopulation rund um die Insel hatten die Wissenschaftler bereits seit der Jahrtausendwende rund 1000 Hummer pro Jahr auf dem Helgoländer Felssockel ausgewildert. Im vorigen Sommer setzten sie zum ersten Mal 2400 Tiere in einem Offshore-Windpark aus: An vier Anlagen des EWE-Projekts „Riffgat“ soll nun untersucht werden, ob der aus Steinen bestehende Kolkschutz den Hartbodenbewohnern, die sich tagsüber in Höhlen verstecken, ein neues Zuhause bieten kann.

Im kommenden Sommer wollen die Wissenschaftler erstmals durch gezielte Forschungsfischerei überprüfen, wie viele Tiere sich tatsächlich dauerhaft angesiedelt haben. „Der Hummer hat im Nahrungsnetz als oberster Räuber die Funktion, eine Lebensgemeinschaft zu regulieren“, erläutert Michael Janke vom Awi Helgoland. „Wenn er sich erfolgreich ansiedelt, könnte er so zukünftig für die Ausbildung und den Bestand einer hohen lokalen Artenvielfalt sorgen.“

Noch einen Schritt weiter geht sein Awi-Kollege Bela Buck, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema Offshore-Aquakultur, also der kommerziellen Fischzucht im Meer, beschäftigt. „Die globale Nachfrage nach Fisch steigt so massiv, dass man sie nicht allein an Land oder in Küstennähe befriedigen kann“, meint der Meeresbiologe. Offshore-Windparks hält er dabei grundsätzlich für geeignete Zucht-Standorte, da eine Mehrfachnutzung von Meeresflächen ökonomisch wie auch ökologisch sinnvoll sei. „Ganz klar ist, dass jegliche Aquakultur nur nachhaltig sein darf“, betont Buck. Auf jeden Fall müssten genügend „säubernde“ Organismen wie Algen und Muscheln mit gezüchtet werden, damit alle durch die Fische verursachten Verschmutzungen wieder ausgeglichen würden.

Ein Pilotprojekt ist für Ende 2015 oder Anfang 2016 geplant: Dann soll ein erster Fischkäfig in einem der Windparks in der Nähe von Helgoland ausgesetzt werden. Kim Detloff vom Nabu betrachtet solche Bestrebungen eher kritisch. „Da kommen meist schnell auch gebietsfremde Arten ins Gespräch, das würden wir sicherlich nicht unterstützen.“ Was aber die Offshore-Windenergie insgesamt angeht, legt er Wert auf die Feststellung, dass die Naturschutzverbände deren Ausbau grundsätzlich für erforderlich halten, wenn die Energiewende gelingen soll.

Dieser Text stammt aus der Titelgeschichte der Januar-Ausgabe von neue energie – auch als ePaper verfügbar.

 

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