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Anlagensicherheit

Wartung kann nicht Warten

Bernd Müller, 18.09.14
Kaum ein Maschinentyp wird so gut überwacht wie Windenergieanlagen, das Servicegeschäft boomt. Doch es gibt Wartungslücken. Auch hier gilt: Fehlt das Geld, verschieben manche Betreiber die vorgesehenen Prüfungen schon mal um ein paar Monate.

Woran erkennt man einen reifen Markt für ein Technologiegut? Vor allem an der Tatsache, dass die Margen der Hersteller für neue Produkte sinken und diese ihr Geschäft über Service machen. So sind Drucker billig, aber Tintenpatronen teuer. Und Autohändler lassen sich auf hohe Nachlässe ein, weil sie auf das Werkstattgeschäft hoffen. Auch die Windenergiebranche befindet sich im Reifeprozess. 2010 machte das weltweite Geschäft mit Neuanlagen noch 86 Prozent ihrer Umsätze aus.

Bis 2020 wird dieser Anteil auf 40 Prozent abschmelzen, in Europa sogar auf 25 Prozent. So lautet die Prognose der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Dreiviertel des Umsatzes werden dann mit Service und Wartung verdient, wobei die Experten von Oliver Wyman mit satten Margen zwischen 15 und 20 Prozent rechnen. Der Umsatz mit Windanlagen-Dienstleistungen wird damit in Europa bis 2020 auf 1,9 Milliarden Euro steigen.

„Gerade in Deutschland ist das Netz der Prüfungen sehr umfangreich und effektiv“, versichert Stefan Grothe, Fachreferent Technik beim Bundesverband WindEnergie (BWE). Nicht nur die Hersteller von Windrädern haben das Servicegeschäft entdeckt, auch etliche unabhängige Unternehmen wollen sich ein Stück vom Kuchen sichern. Konkurrenz belebt das Geschäft – aber steigert sie auch Qualität und Sicherheit?

Früher dominierten gesetzliche Vorschriften zur Betriebs- und Standsicherheit. Dabei ging es lediglich um die Frage, ob eine Anlage ohne Gefahr für Leib und Leben betrieben werden kann. Heute verlangen Betreiber und Versicherer eine weitergehende zustandsorientierte Prüfung. Sie bewertet den Verschleiß der Anlage und ob diese möglichst ohne Stillstand durchläuft – immer mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit. Das erklärt auch die zunehmende Bedeutung des Condition Monitoring, also der Liveüberwachung von Rotorblättern und Antriebssträngen etwa über Dehnungsmessstreifen oder Vibrationssensoren.

Messung mit Laser und Terahertzwellen

Die Prüf- und Wartungskette ist lang. Am Anfang steht die Typen- und Einzelzertifizierung etwa durch den Germanischen Lloyd. Es folgen Prüfmethoden im Werk, beispielsweise mittels der Wärmefluss-Thermographie für Rotorblätter. Dabei wird das Rotorblatt geheizt oder abgekühlt und mit einer Wärmebildkamera der Wärmefluss beobachtet. Hot- beziehungsweise Cold-Spots deuten auf Fehlstellen im Laminat des Rotorblatts hin. Bei bestehenden Anlagen werden Rotorblätter mittels Lasern vermessen, Risse findet man mit Terahertzwellen.

Alle zwei bis vier Jahre prüfen Sachverständige unter Aufsicht der Bauaufsichtsämter die Standsicherheit, denn rechtlich ist eine Windenergieanlage ein Bauwerk. Dann gibt es Einzelprüfungen von elektrischen Komponenten nach diversen DIN-Standards, außerdem natürlich von Regelungen des Arbeitsschutzes, etwa bei der Begutachtung von Leitern oder Aufzügen. Flankiert werden die Prüfungen durch elektrische Schutzmaßnahmen gegen Überspannung, Überdrehzahl oder zu hohe Temperaturen, wie sie etwa Phoenix Contact eigens für Windkraftanlagen entwickelt hat.

Die Palette der Prüf- und Sicherheitstechniken ist beeindruckend. Die überwiegende Zahl der Windenergieanlagen in Deutschland ist dadurch sehr betriebssicher. Und doch taucht in Gesprächen mit Versicherern und Sachverständigen immer wieder der Begriff „Wartungslücke“ auf. „In letzter Zeit sehen wir zunehmend Defizite bei der Instandhaltung“, sagt Martin Krallmann. Der Berater und Sachverständige hat für seinen Arbeitgeber, die 8.2-Gruppe, rund 1000 Anlagen selbst unter die Lupe genommen – mit überwiegend positiven Resultaten. Aber eben nicht immer. Einzelne Betreiber vor allem älterer Windparks sparten gerne an der Wartung, so wie Autofahrer nach 200 000 Kilometern auch nicht mehr penibel die Serviceintervalle beim Händler einhalten – auch der Service ist eine Frage des Gelds oder besser: der sinkenden Einspeisevergütung.

Getriebe halten selten 20 Jahre durch

Dennoch, Krallmann plädiert für mehr Engagement bei der Wartung – und für mehr Realismus. Windenergieanlagen sollen 20 Jahre laufen, doch bestimmte Komponenten seien einfach nicht für diese Laufleistung ausgelegt, auch wenn die Hersteller dies beim Vertragsabschluss in Aussicht stellten. Die Leistungselektronik halte etwa zehn Jahre – „deutlich mehr wäre Glück“, sagt der 8.2-Experte. Auch Getriebe hielten selten 20 Jahre durch. Krallmann: „Betreiber, Hersteller und Versicherer haben in der Vergangenheit Lehrgeld gezahlt.“

Den Betreibern kann das heute meistens egal sein, weil ihre Vollwartungsverträge teure Schäden abdecken und weil die Konkurrenz auf dem Wartungsmarkt für sinkende Preise bei Ersatzteilen gesorgt hat. Mehr als drei Viertel der Anlagen haben heute Vollwartungsverträge mit einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren. Martina Beese, Rechtsanwältin bei Engemann & Partner, warnt allerdings vor blindem Vertrauen in Vollwartungsverträge: „Ein Rundum-Sorglos-Paket gibt es nicht.“ Sie empfiehlt, Maßnahmen zur Anlagenoptimierung und nachvollziehbare Verfügbarkeitsgarantien präzise zu definieren. Außerdem sollte es auch eine Totalschadenregelung geben. Ob Windkraftbetreiber mit Vollwartungsverträgen Verfügbarkeit und Erträge steigern und gleichzeitig die Kosten senken können, muss die Zukunft zeigen.

Für die Wartung und Prüfung gibt es eigentlich klare Vorgaben. Der BWE hat 2007 die „Grundsätze für die Prüfung zur zustandsorientierten Instandhaltung von Windenergieanlagen“ verabschiedet und zuletzt 2012 die „Grundsätze für die Wiederkehrende Prüfung von Windenergieanlagen“ aktualisiert, die detailliert festlegen, wer wann was wie oft zu prüfen hat. Ein Prüfprotokoll belegt die Arbeiten. Doch wie in anderen Branchen gilt: Was nicht kontrolliert wird, wird auch nicht gemacht. Ein Autofahrer, der mit einem Fahrzeug ohne TÜV-Plakette erwischt wird, zahlt Strafe. Anders bei Windkraftanlagen. Geht es einem Windpark finanziell schlecht, verschieben manche Betreiber die Prüfung schon mal um ein paar Monate.

Im Schadensfall kann der Ruin drohen

In Regionen mit vielen Windkraftanlagen sind die zuständigen Behörden allerdings meist besser organisiert, weil sie das Prozedere gewohnt sind. In Gegenden mit wenig Windenergie ist dagegen oftmals nicht geklärt, welche Behörde überhaupt zuständig ist. Betreiber müssen aber wissen, dass sie für die Einhaltung der Termine selbst sorgen müssen und dass sie im Schadensfall in die Haftung und möglicherweise in den Ruin gehen.

Bei den Rotorblättern und den mechanischen Komponenten im Antriebsstrang ist die Lage anders. Diese Bauteile sind teuer, deshalb achten die Versicherungen und die Anbieter von Vollwartungsverträgen darauf, dass hier besonders genau kontrolliert wird. In den Versicherungspolicen sind in der Regel drei Tests vorgeschrieben, die jährlich oder alle zwei Jahre anfallen:

•  Schwingungsanalyse: Dabei setzt der Prüfer Schwingungssensoren an verschiedene Stellen auf die Gehäuse im Antriebsstrang. Die Sensoren erkennen Vibrationen, die auf einen Verschleiß hindeuten, der zu einem unrunden Lauf und irgendwann vielleicht zu einem größeren Schaden führt.

•  Videoendoskopie: Bei dieser Sichtprüfung führt der Prüfer durch eine Öffnung ein Endoskop in Getriebe und Lager ein. Abdrücke an Zähnen oder Riefen in Lagern deuten auf erhöhten Verschleiß hin. Wird das Teil nicht rechtzeitig getauscht, können sich diese Verschleißspuren schnell zu einem größeren Schaden aufschaukeln.

•  Ölanalyse: Dabei untersuchen Speziallabore, ob im Schmieröl Metallpartikel zu finden sind, die auf erhöhten Abrieb von Zahnrädern oder Lagern hindeuten.

Mit den genannten Tests lässt sich der Zustand einer Anlage ziemlich gut beurteilen – wenn sie durchgeführt werden. Womit wir wieder bei der Wartungslücke wären. Axel Opp, Sachverständiger in Trier, hat Scans von Wartungsbüchern, die näher an Grimms Märchen liegen als an der Wahrheit. Sie berichten von Wartungen, die nie stattgefunden haben. Der Fachmann sieht sofort, dass eine Revisionsöffnung nicht vor drei Monaten geöffnet wurde, wenn dort die Schrauben festgerostet sind.

Unsichtbare Elektronikschäden

Und wenn bei einer Begutachtung die Leiter im Turm voller Hydrauliköl ist – wie schon bei der Begutachtung vor zwei Jahren – liegt die Annahme nahe, dass in der Zeit dazwischen das Leck nicht wie versprochen behoben wurde. Vielleicht weil der Verantwortliche dachte, dass Transformatorenöl ein Isolator ist und für die Elektronik ungefährlich. Das stimmt, doch wenn es von der Gondel herabtropft, ist es Hydrauliköl, das zur Hälfe Wasser enthält – und damit elektrischen Strom ausgezeichnet leitet.

Knifflig wird es für Experten wie Axel Opp, wenn es einen Schaden gab, dieser aber nicht zu sehen ist. Das kommt bei Elektronik relativ oft vor. Dann sieht die Platine einer Steuerelektronik äußerlich völlig unversehrt aus, doch irgendwo muss ein Fehler liegen. Als Sachverständiger muss sein Team der Sache nachgehen, denn daraus lässt sich eventuell die Ursache ableiten und ein Streit um den Versicherungsschutz entscheiden. In Opps Labor in Trier steht eine Feinfokus-Röntgenanlage. Die kostet eine Viertelmillion Euro und ist daher für die meisten Prüfer unerschwinglich. Das Team durchleuchtet damit Elektronikbauteile und findet zum Beispiel mikrometerkleine Überschläge in den Dioden einer Steuerung, die nur wenige Cent kosten, die aber eine ganze Windkraftanlage auf Eis legen können.

Das ist der günstige Fall. Wenn es schlecht läuft, führt die defekte Bypass-Diode in der Anschlussbox eines PV-Moduls zu einem Brand – wie in einem Fall bei einer Photovoltaikanlage. Dabei erlitt das Dach einen Brandschaden, Opp untersuchte den Brand als Gutachter. Auch für die Brandursachenermittlung an elektronischen Baugruppen liefert die Feinfokus-Röntgenanalyse der Überreste mit hoher Wahrscheinlichkeit Hinweise auf den Mechanismus, der zum Feuer führte.

Intakte Solarmodule müssen für eine Überprüfung nicht immer ins Labor geschafft werden. Eine Wärmebildkamera liefert im laufenden Betrieb des Moduls Hinweise, ob dieses bald auszufallen droht. Dann sind Bereiche des Moduls wärmer und im Wärmebild gut als Hot-Spots zu erkennen. Für kleinere Flächen gibt es Handgeräte, größere Photovoltaikkraftwerke lassen sich am besten aus der Luft inspizieren. Eine Ortung mit GPS hilft, das fehlerhafte Modul wiederzufinden und auszutauschen. Auch Elektrolumineszenzprüfungen zum Nachweis von Hagelschäden an den kristallinen Zellen der Photovoltaik-Module lassen sich teilweise vor Ort in den Nachtstunden durchführen.

Ein drängendes Thema bei der Windenergie ist der Weiterbetrieb alter Anlagen, die ihre Entwurfslebensdauer von 20 Jahren erreicht haben. Der BWE hat eine Empfehlung veröffentlicht, wie Anlagen geprüft und gegebenenfalls ertüchtigt werden könnten, die noch einige Jahre länger betrieben werden sollen. Eine Maßnahme wird sein, die Prüfintervalle zu verkürzen. Wobei auch dabei entscheidend ist, dass die Prüfungen tatsächlich stattfinden. Wie zuverlässig eine Anlage nach 25 oder 30 Jahren ist, sei mangels Erfahrung ungewiss. Martin Krallmann von 8.2: „Da bewegen wir uns bei den Prüfvorschriften weitgehend auf Neuland.“

 

Dieser Text ist auch in Ausgabe 08/2014 von neue energie erschienen.

 

Kommentare (1)

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  • 23.09.14 - 12:30, Linden

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Im Artikel wird eine veröffentlichte Empfehlung des BWE zum Weiterbetrieb erwähnt. Wo ist diese zu finden?

    Mit freundlichen Grüßen,

    C. Linden

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