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Interview der Woche

„Es ist irrsinnig, dass beim Energiesparen nichts passiert“

Interview: Tim Altegör, 21.03.14
... sagt die Energieeffizienz-Expertin Irmela Colaço vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Obwohl wir durch weniger Verbrauch Milliarden sparen könnten, vernachlässige die Politik dieses Potenzial bisher völlig. Das Ziel der Bundesregierung, 20 Prozent Energie bis zum Jahr 2020 einzusparen, sei so zum Scheitern verurteilt. Colaço fordert ein klares Bekenntnis der Großen Koalition zur Energieeffizienz, verbindliche Einsparwerte – und einen zentralen „Kümmerer“.

Interview: Tim Altegör

neue energie: Frau Colaço, alle diskutieren über erneuerbare Energien, verglichen damit erscheint die Energieeffizienz wie das Stiefkind der Energiewende.

Irmela Colaço: Das ist eigentlich noch ein netter Ausdruck. Das Thema kommt in allen Sonntagsreden vor, aber letztendlich wird nichts dafür getan. Dabei ist es irrsinnig, dass beim Energiesparen nichts passiert. Die Potenziale sind riesig: Wir könnten Milliarden Euro beim Umbau des gesamten Stromsystems sparen, der für die erneuerbaren Energien notwendig ist, auf kilometerlange Leitungen verzichten. Jeder Verbraucher könnte wahnsinnig viel Geld sparen, man würde Arbeitsplätze schaffen. Es gäbe nur Vorteile. Aber es wird nicht angepackt.

neue energie: Was wäre dafür nötig?

Irmela Colaço: Das A und O ist Ziele zu formulieren. Im Koalitionsvertrag wird nicht einmal mehr erwähnt, dass wir Energiesparziele haben. Der erste Schritt wäre, allen zu zeigen: Da wollen wir hin. Dann kann sich die Industrie darauf einstellen, dann wird den Bürgern stärker bewusst, dass Energiesparen wichtig ist. Sie fragen sich vielleicht auch: Welchen Beitrag kann ich leisten?

neue energie: Es gibt ja das erklärte Ziel der Bundesregierung, den Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken. Das ist doch ein klarer Wert.

Irmela Colaço: Das ist ein Ziel, aber es wurde nicht wiederholt im Koalitionsvertrag. Darüber hinaus brauchen wir ein Rahmengesetz, sei es ein Klimaschutzgesetz oder ein eigenes Energieeffizienz-Gesetz, in dem wirklich gesagt wird, wo wir hin wollen. Der zweite Schritt ist zu formulieren, wer eigentlich verantwortlich dafür ist, dass wir dort hin kommen.

neue energie: Wer könnte das sein?

Irmela Colaço: Wir bräuchten eine Stelle, die zum Kümmerer wird. Wir haben ja viele Programm fürs Energiesparen, zum Beispiel zur Gebäudesanierung bei der KfW-Bank, die nationale Klimaschutzinitiative macht viel. Erst einmal müssen wir sehen: Wie weit kommen wir mit dem, was wir haben? Macht das alles Sinn? Überschneiden sich vielleicht auch einzelne Programme, könnte man das effizienter gestalten. Und wo sind noch Lücken, was müssen wir zusätzlich anbieten?

neue energie: Vor allem fordern Sie also einen zentralen Ansprechpartner?

Irmela Colaço: .Nicht nur einen Ansprechpartner, sondern einen zentralen Prozessverantwortlichen, der mit ausreichend Personal und Finanzen ausgestattet wird. Oft kommt dann die Frage: Wollen wir denn wirklich solch ein zentralistisches System haben? Muss das nicht vor Ort passieren, wie bei den erneuerbaren Energien? Das ist aber kein Widerspruch. Wir brauchen diesen zentralen Kümmerer, der auf der lokalen Ebene Unterstützung bietet, sei es finanziell oder durch Weiterbildungen. Zum Beispiel könnte er dafür sorgen, dass sich vor Ort noch mehr Netzwerke bilden, Genossenschaften nicht nur erneuerbare Energien finanzieren, sondern auch Energiespar-Genossenschaften gegründet werden. Eine „Effizienzwende von unten“ ist machbar und eben auch notwendig.

neue energie: Sind denn die Ziele für 2020 überhaupt noch zu erreichen?

Irmela Colaço: Nicht wenn es so weiter geht wie bisher. Das zeigen Prognosen. Aber es ist möglich. In der Wissenschaft gibt es ja immer ganz unterschiedliche Institutionen, die verschiedene Szenarien entwickeln. Aber was das Energiesparen angeht, sind sich alle einig: Die Ziele sind ambitioniert, aber wir können sie erreichen.

neue energie: Die EU-Kommission will bei den neuen Zielen für 2030 die Effizienz streichen. Das könnte man konsequent nennen, immerhin schaffen wir derzeit schon das 2020-Ziel nicht...

Irmela Colaço: Es müsste genau anders herum sein. Weil das Ziel nicht verbindlich gemacht wurde, ist bisher nicht genug passiert. Es heißt ja oft, ein Energiesparziel behindere das Wirtschaftswachstum. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wirtschaft braucht Sicherheit, sie muss wissen, worauf sie sich einstellen soll. Wenn sie weiß, bis wann wie viel Energie gespart werden muss, dann werden die Unternehmen eher in effiziente Technik investieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln, um Vorreiter zu werden.

 

www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/klima_und_energie/140310_bund_klima_energie_gemeinschaftsprojekt_energiewende.pdf

www.agora-energiewende.de/themen/effizienz-lastmanagement/detailansicht/article/mehr-energieeffizienz-macht-energiewende-deutlich-guenstiger-20-milliarden-euro-einsparungen-jaehrl/

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