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Story des Monats

Die Energie-Ländereien der Hauptstadt

Ralf Hutter, 08.01.15
Stadtwerk, Müllabfuhr, Wasserbetriebe – städtische Unternehmen sind wichtig für die Energiewende. Doch auch das Umland kann viel zum Systemwandel beitragen. Die Stadt Berlin hat den Vorteil, dass ihr dort große Flächen gehören.

Peter Hecktor leitet ein Unternehmen des Landes Berlin, dessen Wurzeln zwar sehr weit zurückreichen, das aber bis heute nur wenige Leute kennen. „Mein Eindruck ist, dass wir in Brandenburg bekannter sind als in Berlin“, sagt der Geschäftsführer der Berliner Stadtgüter GmbH. Selbst im Abgeordnetenhaus, dem Landesparlament, gebe es da nur geringe Kenntnisse. Dabei könnte der Großgrundbesitz des Landes Berlin in Brandenburg ein wichtiger Faktor für die Energiewende in der Hauptstadt sein. In allen Himmelsrichtungen um Berlin herum liegen die Stadtgüter. Sie gehen zurück auf Flächen, die in den 1870ern gekauft wurden, um das Abwasser der Großstadt außerhalb versprühen zu können. Fast 17000 Hektar umfassen die Stadtgüter heute, was einem Fünftel der Fläche Berlins entspricht.

Neben den ehemaligen und zum Teil von den Abwässern sehr verschmutzten Rieselfeldern sind auch Wasser- und Landwirtschaftsflächen dabei. Wenn jemand in Berlin im Zuge von Baumaßnahmen Bäume fällt oder Tiere vertreibt und deshalb Ausgleichsmaßnahmen ergreifen muss, dann kann das kostenpflichtig auf Flächen der Stadtgüter erfolgen. Das Landesunternehmen widmet sich ökologischen wie ökonomischen Belangen. Zwischen 2005 und 2007 wurde es privatisiert. Die Flächen sind nun verpachtet, das heißt: Privatfirmen betreiben Windräder, Flächenphotovoltaikanlagen und Milchviehhaltung.

Einer der Pächter und Windkraftinvestoren ist neuerdings „Berlin Energie“. Ein  2012 vom Berliner SPD-CDU-Senat gegründetes Landesunternehmen, das sich als eine Art Stadtwerk um die auslaufenden Konzessionen für Gas und Strom in Berlin beworben hat. Von der Opposition wird es wegen seiner geringen finanziellen Ausstattung zwar nur als „Fassade eines Stadtwerks“ bezeichnet. Der Diskussion ist es aber immerhin zu verdanken, dass die Stadtgüter ihren Bekanntheitsgrad steigern konnten. Schon jetzt wird auf ihren Flächen viel Strom produziert. 24 Windräder, zwei Flächen- und 15 Dach-Photovoltaikanlagen können derzeit über 50000 Durchschnittshaushalte versorgen.

Keine Investitionen, trotz Millionengewinn

Durch den Zubau weiterer Windenergie- und Flächenphotovoltaikanlagen sollen es 2016 schon über 125000 Haushalte sein. Eine Studie aus dem Jahr 2008 bescheinigt den Stadtgütern, auf diesem Weg schon 2020 ein Zehntel der zwei Millionen Haushalte Berlins versorgen zu können. „An diesem Ziel halten wir fest“, sagt Peter Hecktor. Sein Problem: „Wir können nicht selbst als Investor tätig werden“ – und das, obwohl die Stadtgüter mit ihren knapp 50 Angestellten jedes Jahr einen Gewinn in Millionenhöhe machen. Das Berliner Abgeordnetenhaus habe den Stadtgütern den entsprechenden Auftrag nicht erteilen wollen. Hecktor vermutet, dass dort eine Konkurrenzsituation zu Berlin Energie gesehen wurde, zeigt dafür aber kein Verständnis: „Wir wären nur Platzhalter gewesen. Das Stadtwerk hätte von uns Projekte auf einem hohen Stand übernehmen können.“

Auch an Kurzumtriebsplantagen versuchen sich die Stadtgüter. Die nach fünf bis sieben Jahren abholzbaren Pappeln sollen in Biomassekraftwerken Strom und Wärme liefern. So können auch die von den Industrieabwässern früherer Zeiten verschmutzten Böden einen Nutzen bringen. Die Schwermetalle würden von den Pappeln nicht aufgenommen, versichert Hecktor. Dieser Geschäftszweig ist aber erst in der Erprobungsphase. Rendite bringen hingegen schon Sonne und Wind. Ein Problem ist hier die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, sagt Hecktor. Das Kalkulieren neuer Anlagen sei im vergangenen  Jahr schwierig gewesen. Eine andere Hürde stellt die Einstellung der Menschen dar, die im Umfeld der Windenergieanlagen wohnen. Der Stadtgüter-Chef hat da im Lauf der Zeit positive Tendenzen ausgemacht, kennt aber auch Kommunen, „die prinzipiell dagegen sind“. Jedenfalls hat er ein mögliches Scheitern von Windenergie-Projekten an der Lokalpolitik in seine Pläne schon eingerechnet: Das erwähnte Ausbauziel für 2020 stelle nur rund ein Drittel des tatsächlichen Potenzials dar, sagt Hecktor.

Auch innerstädtische Landesunternehmen arbeiten an einer Berliner Energiewende mit. So produziert die Stadtreinigung BSR in Blockheizkraftwerken und Photovoltaikanlagen jährlich über 47000 Megawattstunden Strom und deckt somit ihren eigenen Bedarf. Zudem beliefert sie ein Müllheizkraftwerk, in dem der Konzern Vattenfall laut BSR rund 180000 Megawattstunden pro Jahr erzeugt, was für rund 70000 Durchschnittshaushalte ausreiche. Seit mehr als anderthalb Jahren gibt es allerdings immer wieder Presseberichte über angebliche Pläne des schwedischen Staatskonzerns, sich aus dem Deutschlandgeschäft zurückzuziehen. Prinzipiell stellt sich also die Frage, ob dieses Müllheizkraftwerk auch für ein Stadtwerk interessant sein könnte.

Stadtwerk ist sensibles Thema

Ähnlich wie die BSR, die sogar selbst erzeugtes Biogas für jene Hälfte der Müllsammelflotte verwendet, die auf Gasbetrieb umgestellt ist, decken auch die Kläranlagen der Berliner Wasserbetriebe (BWB) ihren Strom- und Wärmebedarf größtenteils selbst. Über 50 Prozent ihres Strom- und über 90 Prozent ihres Wärmebedarfs erzeugen sie aus Klärschlamm. In den meisten Fällen wird der Schlamm in Blockheizkraftwerken vergoren, seltener  auch getrocknet und zur Stromerzeugung verbrannt. Die BWB haben zudem eine energiesparende Dienstleistung im Angebot: Mit Wärmetauschern in der Kanalisation lässt sich die Wärme von Abwasser über eine im Haus installierte Wärmepumpe wiedergewinnen. Einige große Kaufhäuser nutzen das bereits, ein Schwimmbad beheizt sein Wasser komplett auf diese Art.

Trotz aller Bemühungen – die Zahlen zeigen, dass die Berliner Landesunternehmen allein den Wandel nicht schaffen können. Ohne zusätzliche Maßnahmen wie Energieberatungen und die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden gelingt die Energiewende in der Hauptstadt nicht. Die Koordination all dieser Aufgaben müsste Berlin Energie übernehmen, das bisher so kleine Stadtwerk. Inwieweit es darüber hinaus selbst in die Energieproduktion einsteigen könnte, mithilfe der Stadtgüter oder durch Müllverwertung, – dazu will Berlin-Energie-Chef Wolfgang Neldner derzeit nicht Stellung nehmen, ebenso wenig wie zum Potenzial der anderen Landesunternehmen.

Aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ist zu hören, dass „aufgrund der Vergabeverfahren das Thema etwas sensibel ist“. Im Juni letzten Jahres erhielt Berlin Energie den Zuschlag für den Betrieb des Gasnetzes, wogegen der langjährige Betreiber Gasag juristisch und die mitregierende CDU politisch vorgingen. Mitte Dezember entschied das Landgericht Berlin: Die Vergabe ist ungültig, weil weder das Verfahren noch Berlin Energie den Maßstäben genügen. Das Vergabeverfahren um die ebenfalls bald frei werdende Lizenz für den Betrieb des Stromnetzes sollte Ende 2014 eigentlich in die letzte Phase gehen, wurde aber Anfang August auf Eis gelegt, um es nach der Kritik am Gasnetz-Vergabeverfahren erneut zu überprüfen.

 

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