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Klima-Studie

Die nächste Eiszeit fällt aus

Joachim Wille, 14.01.16
Der Mensch bestimmt zunehmend die Entwicklung des Planeten Erde: Forscher haben jetzt errechnet, dass Treibhausgas-Emissionen den natürlichen Eiszeit-Rhythmus wohl um zehntausende Jahre verschieben werden.

Die nächste Eiszeit steht in etwa 50.000 Jahren an – eigentlich. Viele Ursachen spielen bei der immer mal wieder auftretenden starken Abkühlung des Globus mit. Vor allem die kosmische Mechanik ist ein Auslöser: Die Neigung der Erdachse verändert sich regelmäßig, und die Sonnenaktivität schwankt. Hinzu kommen andere Ursachen. So kann die Bewegung der Erdplatten die Meeresströme umleiten, die unterschiedlich warmes Wasser mit sich führen. Auch Vulkanausbrüche kühlen die Atmosphäre durch den ausgestoßenen Staub ab. Aus diesen Parametern haben Forscher errechnet, dass die nächste „Kaltzeit“ nach der jüngsten, die vor rund 10.000 Jahren zu Ende ging, in 50.000 Jahren beginnen wird. Es sei denn, etwas kommt dazwischen.

Nach einer Studie von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (Pik) ist es wahrscheinlich, dass genau das passiert. Der Mensch sei durch die zusätzliche Freisetzung von Treibhausgasen „zu einer geologischen Kraft geworden, die den Beginn der nächsten Eiszeit unterdrücken kann“, warnen sie. Man habe in der Untersuchung „den Code der Eiszeiten geknackt“ und in dem Verhältnis von Sonneneinstrahlung auf die Erde und CO2-Konzentration in der Atmosphäre den Schlüssel gefunden, um die letzten acht Eiszyklen der Erdgeschichte zu erklären. Das Klimamodell zeige, dass eine zusätzliche Störung des natürlichen CO2-Haushalts des Planeten durch den Menschen die nächste Eiszeit um zehntausende Jahre verschieben könnte. Veröffentlicht wurde die Studie im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“.

Kompletter Eiszeit-Zyklus wird übersprungen

Der Leitautor der Studie, Andrey Ganopolski, erläutert: „Auch ohne den menschengemachten Klimawandel würden wir den Beginn einer neuen Eiszeit erst in etwa 50.000 Jahren erwarten.“ Die gegenwärtige Epoche, genannt „Holozän“, sei damit bereits eine ungewöhnlich lange Phase zwischen zwei Eiszeiten. Der Beginn der letzten drei Eiszeiten lag zum Beispiel „nur“ jeweils 20.000 Jahre auseinander. Die neue Studie zeige, dass bereits relativ moderate zusätzliche CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas ausreichen, um die nächste Eiszeit um weitere 50.000 Jahre zu verzögern. „Unter dem Strich bedeutet dies, dass wir einen kompletten Eiszeitzyklus überspringen, was beispiellos ist“, sagt Ganopolski. Der Mensch sei in der Lage, „einen der fundamentalen Mechanismen zu stören, die die Welt, wie wir sie heute kennen, geformt haben.“

Laut Pik ist es mit der Studie erstmals gelungen, den Beginn von Eiszeiten durch die Bestimmung von Schlüsselfaktoren zu erklären. Es gebe „eine funktionale Beziehung zwischen der Sonneneinstrahlung im Sommer und atmosphärischem CO2, die den Beginn einer neuen Eiszeit kennzeichnet“, erläutert Ganopolski. Damit lasse sich nicht nur die Vergangenheit erklären, man könne auch künftige Perioden absehen, in denen ein neuer Eiszeitzyklus einsetzen kann.

Neue Epoche bahnt sich an

Die Pik-Forscher nutzten ein Computermodell des Erdsystems, in dem die Dynamik von Atmosphäre, Ozean, Eisschilden und der globale Kohlenstoffzyklus simuliert werden. Damit wurde der Effekt der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen auf das Eisvolumen der Nordhalbkugel untersucht. Durch die Verfeuerung fossiler Energieträger seit Beginn der industriellen Revolution um 1850 sind bereits 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre eingebracht worden. „Unsere Analyse zeigt, dass schon geringe zusätzliche Kohlenstoff-Emissionen die Entwicklung der Eisbedeckung auf der Nordhalbkugel wohl auf zehntausende Jahre beeinflussen würde“, sagt Ko-Autorin Ricarda Winkelmann. Werden weitere 1000 oder 1500 Milliarden Tonnen emittiert, könne das die nächste Eiszeit sogar um mindestens 100.000 Jahre verschieben.

Pik-Direktor Hans Joachim Schellnhuber, ebenfalls Co-Autor der Studie, erinnert daran, dass die Eiszeiten die Umwelt wie keine andere Kraft auf dem Planeten geformt und damit auch die Entwicklung der menschlichen Zivilisation bestimmt hätten. „Wir verdanken unter anderem unsere fruchtbaren Böden der letzten Eiszeit; sie hat auch unsere heutige Landschaft gestaltet durch Gletscher und Flüsse, Fjorde, Moränen und Seen, die aus ihr entstanden sind.“ Heute sei es jedoch die Menschheit mit ihren zusätzlichen Treibhausgas-Emissionen, „die die zukünftige Entwicklung des Planeten bestimmt“. Für die neue Epoche schlägt Schellnhuber den Begriff „Deglazial“ vor. Glazial bedeutet Eiszeit.

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