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Kritik an Internationaler Energieagentur

Fehler in der Energiebibel

Joachim Wille, 23.09.15
Kritische Experten fahren schweres Geschütz gegen die Internationale Energieagentur (IEA) auf: Sie werfen der renommierten, in Paris ansässigen Fachorganisation vor, die Potenziale von Windkraft und Solarenergie systematisch zu niedrig anzusetzen und damit die globale Energiewende zu torpedieren.

Regierungen, Wirtschaft und die Bürger würden durch die falschen Prognosen der IEA zu dem Schluss gedrängt, noch lange nicht auf Kohle, Öl und Gas verzichten zu können, warnt die „Energy Watch Group“ (EWG). Investitionen würden dadurch nicht schnell genug in erneuerbare Energien umgelenkt. Die Energy Watch Group ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern, die unternehmens- und regierungsunabhängige Informationen für energiepolitische Entscheidungen liefern will. Sie hat die Zuverlässigkeit der Prognosen im alljährlich von der IEA publizierten „World Energy Outlook“ analysieren lassen, der als Bibel der Energiewelt gilt – und zwar für die Ausgaben 1994 bis 2014.

Ergebnis: Obwohl Windkraft und Photovoltaik in den letzten Jahrzehnten exponentiell gewachsen seien, gehe die IEA weiterhin von einem linearen Wachstum dieser Technologien aus, also einer gleichbleibenden jährlichen Installation von Neuanlagen. So sage sie für die Öko-Energien bis 2030 nur einen Anteil von 14 Prozent an der globalen Energieversorgung voraus. Tatsächlich, so die Kritiker, seien eher 60 Prozent realistisch, wenn man die durchschnittlichen Wachstumsraten der letzten 20 Jahre anlege.

Der Hauptautor der Studie, Christian Breyer, Professor für Solarökonomie an der finnischen Lappeenranta-Universität, kritisiert, der IEA-Report liefere fatale Fehlprognosen. Ein Beispiel aus seiner Untersuchung: Die von der Agentur im Jahr 2010 erst für 2024 vorausgesagt weltweite Solarstrom-Kapazität von 180 Gigawatt sei bereits im Januar 2015 erreicht worden. „Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese strukturellen Fehler unverständlich, aus gesellschaftlicher Sicht sind sie verantwortungslos“, meint Breyer.

Von Regierungen abhängig

Der Präsident der Energy Watch Group, Hans-Josef Fell, wirft der IEA vor, sich „jahrelang der globalen Energiewende in den Weg gestellt zu haben“. Die falschen Voraussagen führten auch heute noch zu hohen Investitionen in Kohle, Öl, Gas und Atom, sie behinderten so weltweit die Entwicklung von erneuerbaren Energien und würden den globalen Kampf gegen den Klimawandel untergraben, meint der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete. Die IEA äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen.

Die Energie-Agentur war 1974 nach der ersten Ölkrise als Fachorganisation der OECD-Industriestaaten zu Energiefragen gegründet worden. Sie agierte lange Zeit vornehmlich als Lobbyverband für eine möglichst reibungslose Versorgung mit Öl, Gas und Kohle. In letzter Zeit gibt es allerdings Anzeichen für einen Schwenk in eine andere Richtung. Die Agentur hat die Bedeutung des Klimawandels anerkannt und wirbt für die Reduktion von Treibhausgasen, mehr Energieeffizienz und den Abbau von Subventionen für die fossilen Energien.

Fell räumt ein, dass der Chef der IEA, der vormalige Chefökonom Fatih Birol, hier oftmals „richtige Aussagen“ treffe und „die Dramatik der CO2-Zunahme“ darstelle. In den offiziellen Reports fänden sich aber trotzdem immer noch dieselben systematischen Fehler, sagt er. Auf diese aber komme es an, „denn an ihnen orientieren sich die Entscheider in Regierung und Wirtschaft“.

Fell erklärt die „fossile und nukleare Schlagseite“ der Berichte damit, dass diese von den Regierungen der OECD-Länder geprüft und genehmigt werden müssen. Darunter seien Staaten wie Australien und Russland, die stark vom Export fossiler Energien leben, und Länder wie Frankreich, die Atomkraftwerke exportieren wollen. „Sie haben kein Interesse daran, dass die Potenziale der Öko-Energien realistisch dargestellt werden“, warnt Fell.

 

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