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Interview

„Der Klimawandel ist ein Problem menschlicher Sicherheit“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 05.02.15
…sagt der Politologe Markus Lederer, nicht zwischen Staaten. Statt Armeen solle besser die Entwicklungshilfe gestärkt werden. Den Erneuerbaren traut er zu, geopolitische Spannungen zu entschärfen – auch wenn es dabei nicht nur Gewinner geben werde.

neue energie: Saubere Energien und Weltfrieden werden oft in enge Verbindung gebracht. Welche geopolitischen Hoffnungen waren bisher mit den Erneuerbaren verknüpft?

Markus Lederer: Es gibt drei Hoffnungen: Zuallererst geht es darum,  dass Erneuerbare dezentral produziert und genutzt werden. Diese Dezentralität ist potenziell demokratischer. Wenn es einen Kreis von Produzenten gibt, und diese dann bis zu einem gewissen Grad auch die Nutzer sind, dann werden diese Personen sich in sämtlichen Bereichen der Produktion und Nutzung  einbringen und Macht ist damit gleichmäßiger verteilt. Das ist der Unterschied zu Oligopolen, die von wenigen Firmen dominiert werden und wo Hersteller und Nutzer stark getrennt sind. Die zweite Hoffnung ist, dass man aus der Abhängigkeit von den wenigen großen Versorgern herauskommt. Und drittens kann sich ein anderes Politikverständnis einstellen, wenn weniger geopolitische Rücksichten genommen werden müssen. Mit mehr Energieautonomie müsste man nicht mehr auf Diktaturen oder Unterdrückungssysteme achten, könnte somit potenziell ökonomische und militärische Zwänge ausblenden. Konkret auf Deutschland bezogen war damit natürlich die Jahrzehnte währende Abhängigkeit vom gesamten Nahen und Mittleren Osten gemeint. Heute ist es die Gasabhängigkeit von Russland.

neue energie: Der Ölpreis ist im Keller, wann er wieder alte Höhen erreichen wird, ist unklar. Wie verändert sich dadurch die Situation für die Erneuerbaren – für die hohe Preise bei fossilen Energien ja eine große Chance darstellten?

Markus Lederer:Eine Hoffnung ist ja, dass es sich nur um eine Ölpreis-Delle handelt und schon bald wieder alte Kurse erreicht werden. Wenn man jedoch die Folgen dieser Delle betrachtet, dann ist festzustellen, dass es zumindest in Ländern wie Deutschland kurzfristig auch zu mehr Wachstum kommt und dies ist ökonomisch und sozial positiv zu bewerten. Die ökologischen Folgen sind jedoch negativ, denn jegliche Investition in Low-Carbon-Technologien wird wirtschaftlich unattraktiver. Das trifft dann selbstverständlich auch die Erneuerbaren. Allerdings werden nicht bei jedem Schwanken des Ölpreises Entscheidungen für Erneuerbaren-Projekte umgestoßen. Unternehmensstrategien, gerade im Bereich der Energieversorgung, sind viel langsamer und ich gehe daher davon aus, dass die aktuell geplanten Windparks alle gebaut werden. Aber sie mögen vielleicht weniger rentabel sein und es mag weniger Interesse geben, sie politisch zu flankieren. Wobei ich guter Hoffnung bin, dass wir in zwei, drei Jahren wieder bei Preisen über 50, 60 Dollar je Barrel liegen werden.

neue energie:  Wobei Preise über 100 Dollar natürlich massiven Handlungsdruck aufgebaut haben. Die US-Armee hätte sich sonst wohl kaum so deutlich zu Erneuerbaren bekannt…

Markus Lederer: Mit dieser Preisregion wird es tatsächlich etwas dauern. Dafür ist das Angebot derzeit einfach zu groß. Das hat vor allem mit Fracking zu tun sowie mit dem verstärkten Einsatz von Liquid Natural Gas und mit den in den letzten Jahren durchgeführten Investitionen in die Exploration von neuen Erdölquellen. Die Weltwirtschaft muss dieses Angebot erstmal absorbieren.

neue energie:  Allerdings sehen wir uns der Situation gegenüber, Klimaschutzziele in zum Teil kurzen Zeitabständen realisieren zu müssen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Wenn wir jetzt jedoch einen Erdöl-Boom erleben, wird die Atomlobby dann nicht gute Argumente für ihre weltweiten Neubauvorhaben geliefert bekommen?

Markus Lederer: Es wurde ja schon im IPCC-Bericht mit der Notwendigkeit von mehr Atomenergie und CCS (Carbon Capture and Storage) argumentiert, zwei Technologien, die in Deutschland stark in der Kritik stehen. Global wird ein steigender Erdöl-Einsatz es Atomkraftbefürwortern wieder leichter machen. In Deutschland wird sich die Diskussion jedoch aller Voraussicht nach nicht verändern, denn der politische Konsens zum Ausstieg ist enorm.

neue energie: Was bedeutet dies alles nun für die neue geopolitische Rolle der Erneuerbaren?

Markus Lederer: Die gleichen Zahlen, die für Atomkraft sprechen, sprechen langfristig ökologisch, ökonomisch sowie sozial noch mehr für erneuerbare Energien. Und zwar solange bis die 100-Prozent-Versorgung erreicht ist. Hier würde ich argumentieren, dass die Energiewende in Deutschland das wichtigste Projekt der internationalen Klimapolitik ist und somit eine globale Vorbildfunktion hat. Würde man mich fragen, ob Ende des Jahres in Paris ein ambitionierter Vertrag  zustande kommen oder besser die deutsche Energiewende gelingen soll, würde ich mich für Letzteres entscheiden. Wir brauchen Vorbilder, die funktionieren, man blickt auf Deutschland in China, Lateinamerika, Afrika. Dort will man wissen, ob einem hochentwickelten Industrieland der Systemwechsel gelingt, ohne dass es zu großen ökonomischen Verwerfungen kommt.

neue energie: In einem ihrer Aufsätze weisen sie auch darauf hin, dass die Erneuerbaren international die politischen Karten neu mischen und es dabei vielleicht nicht nur Gewinner gibt.

Markus Lederer: Neue Technologien können immer nicht intendierte Konsequenzen haben. Ein Beispiel sind Windparks in Indien, die zu Vertreibungen von dort ansässigen Bauern geführt haben. Ähnliches kommt in China im Zusammenhang mit der Wasserkraft vor. Äthiopien ist ein weiteres Beispiel für den Versuch eines Aufbaus einer grünen Wirtschaft, welcher mit massiven Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Ob es auch auf internationaler Ebene zu politischen Verwerfungen kommen wird, ist noch offen. Allerdings könnte die Abhängigkeit von einigen seltenen Erden potenziell zu Spannungen führen. Wenn wir darüber hinaus dazu übergehen, erneuerbare Energien über lange Distanzen zu transportieren und zu handeln, könnte es zudem wieder Konflikte mit Transitländern geben, so wie das jüngst beim Gas mit der Ukraine der Fall war. Grundsätzlich sehe ich aber die Chance, dass sich geopolitische Spannungen verringern.

neue energie: Nun gibt es ja auch die These, dass Staaten, die in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, damit zu relativ hoher Stabilität finden können. Könnte der gezielte geopolitische Einsatz der Erneuerbaren auch dazu führen, dass man das eigene Land, oder Nachbarländer, isoliert?

Markus Lederer: Interdependenz allein führt weder zu besonders hoher Stabilität noch zu Instabilität. Entscheidend ist immer eine Vielzahl von Faktoren. Eine größere energiepolitische Autonomie muss also nicht zur Isolation führen, eine dezentrale Energieversorgung nicht notwendigerweise zu mehr Demokratie. Es kommt darauf an, welche konkreten politischen Ziele ein Land hat und wie diese international umgesetzt werden. Ein Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland könnte definitiv zu mehr Demokratie auf lokaler Ebene führen und damit auch überregional als Vorbild dienen und somit positive Effekte haben. In China könnte eine vergrößerte Autonomie dazu führen, dass die Regierung außenpolitisch die Muskeln stärker spielen lassen kann. Ähnliches gilt aber auch für die USA, wo ein Mehr an Autonomie auch ein Mehr an außenpolitischem Desinteresse brachte. 

neue energie: Das Pentagon weist seit langem auf die Gefahren von Klimakriegen oder zumindest Klimakonflikten hin, andere Armeen haben sich ähnlich geäußert, auch die Bundeswehr. Unter Experten ist der prognostizierte starke Anstieg solcher Konflikte jedoch umstritten. Geht es bei der Diskussion auch um die Daseinsberechtigung des Militärs und die Forderung nach neuen oder stabilen Rüstungsetats?

Markus Lederer: Aktuell trifft wohl tatsächlich letzteres zu. So etwas wie „Klimakriege“ können wir historisch oder aktuell nicht beobachten. Längerfristig kann sich dies natürlich ändern, da die enormen Anpassungsleistungen, welche der Klimawandel einigen Staaten aufbürdet von diesen unter Umständen nicht geschultert werden können und dies dann zu gewaltgeprägten Verwerfungen führen könnte. Man denke an Bangladesch, wo Millionen Menschen potenziell migrieren müssen und Indien bereits eine Mauer baut. Allerdings lohnt der Blick in die Vergangenheit, denn er bietet erst einmal eine positive Botschaft. Über die letzten 150 Jahre hinweg kam es immer dann, wenn die Ressourcen knapp wurden und Umweltveränderungen eintrafen eher zu verstärkter Kooperation zwischen Staaten und eben nicht zu Kriegen. Das heißt allerdings nicht, dass es keine Zunahme von lokalen Konflikten gibt. Der Klimawandel ist somit ein Problem menschlicher Sicherheit, weniger von zwischenstaatlicher Sicherheit. Meine Empfehlung wäre deshalb, das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit und nicht das Verteidigungsministerium zu stärken.

neue energie: Das Militär war schon immer Treiber technischer Entwicklungen. Können Sie sich vorstellen, dass dies auch im Bereich der Erneuerbaren der Fall sein wird? Die US-Armee will deren Einsatz ja massiv ausbauen.

Markus Lederer: Wenn das Militär auch nicht der Partner ist, mit dem man sich unbedingt in jeder Situation ins Bett legen möchte, ist er doch als Partner im Kampf um das Gelingen der Energiewende willkommen. Ob die Hoffnung, sich in taktischen Situationen energetisch unabhängig zu machen, dazu führt, dass sich der Dual-Use-Effekt einstellt, also eine parallele zivile Nutzung ähnlich wie bei der Einführung von Computern, kann ich an dieser Stelle nicht bewerten. Es hängt im Wesentlichen von den Etats ab. Klar ist aber, dass die Streitkräfte der USA als Institution der größte Ressourcenverbraucher der Welt sind. Wenn die auf Erneuerbare umstellen, hat das daher aller Voraussicht nach einen Effekt.

Markus Lederer leitet den Lehrstuhl für Internationale Governance an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zuvor forschte er unter anderem in Darmstadt und Costa Rica.

Mehr zum Thema Krieg und Frieden lesen Sie in der Ausgabe 02/2015 von neue energie.

 

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