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Interview

„Wir stehen am Anfang eines Lernprozesses“

Andrzej Ancygier, 02.04.15
…sagt Grzegorz Wisniewski, Präsident des Instituts für erneuerbare Energien in Warschau. Am 20. Februar hat das polnische Parlament ein Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet. Gegen den Widerstand der Regierungspartei „Bürgerplattform“ (PO) wurden darin feste Einspeisetarife für Anlagen unter zehn Kilowatt Leistung aufgenommen – für Wisniewski ein Schritt in Richtung Bürgerenergie.

neue energie: Die so genannte „Prosumenten-Gesetzesnovelle“ unterscheidet zwischen Installationen von unter drei Kilowatt (kW) und drei bis 10 kW. Was sind die Gründe für diese Differenzierungen?

Grzegorz Wisniewski: Installationen mit einer Kapazität von unter drei Kilowatt, etwa Photovoltaik-Dachanlagen oder kleine Windräder, liefern so viel Strom wie ein durchschnittlicher Haushalt in Polen im Jahr verbraucht, rund 2500 Kilowattstunden. Höhere Einspeisetarife ermöglichen auch weniger gut situierten Bürgern die Investitionen mit Krediten zu finanzieren. Installationen zwischen drei und zehn kW können überwiegend für Mehrfamilienhäuser, Landwirtschaften, Krankenhäuser, Schulen und kleinere Betriebe verwendet werden. Wir hoffen, dass sich auch ein Markt für kleine Biogasanlagen entwickeln wird.

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neue energie: Eines der wesentlichen Argumente der Regierung gegen die Gesetzesnovelle waren die angeblich hohen Kosten der Einspeisetarife für den Endverbraucher. Das Wirtschaftsministerium meinte, die Strompreise würden mit den Einspeisetarifen zusätzlich um 3,17 Zloty (0,79 Euro) pro Megawattstunde ansteigen. Beinhaltet das Erneuerbare-Energien-Gesetz Mechanismen, die erhebliche Strompreissteigerungen für den Verbraucher verhindern können?

Grzegorz Wisniewski: Nach den Analysen unseres Instituts waren die Kalkulationen der Regierung falsch und führten zu einer erheblichen Übertreibung bei den Kosten der Einspeisetarife für den Endverbraucher. Unsere Berechnungen zeigten, dass mit Einführung der Gesetzesnovelle die Mehrkosten etwa acht Eurocent je Megawattstunde betragen würden, und nicht 79 Eurocent, wie behauptet wurde. Etwas später präsentierte die Regierung neue Berechnungen. Demnach sollten die Einspeisetarife zu einer Preissteigerung von zwölf Eurocent je Megawattstunde führen, weit weniger als vorher, aber immer noch mehr als unsere Kalkulationen ergaben.

neue energie: Glauben Sie, dass die Diskussion über die Rolle der Bürgerenergie im Energiesektor eine Rolle in den diesjährigen Wahlkampanien vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen spielen wird?

Grzegorz  Wisniewski: Das Ergebnis der Abstimmung über die Gesetzesnovelle, die die Einspeisetarife für kleine Anlagen eingeführt hat, zeigt eine neue Spaltung im polnischen Parlament. In beiden Kammern trat die regierende Bürgerplattform (PO) geschlossen gegen die Einspeisetarife auf. Das könnte man auf den starken Druck seitens der staatlichen Energieunternehmen und der Kohlelobby zurückführen. Alle anderen Parteien stimmten fast einstimmig für die Einspeisetarife, auch wenn sie in anderen Bereichen sehr unterschiedlich sind. Besonders interessant ist, dass der Entwurf der Novelle von einem Mitglied der Polnischen Bauernpartei (PSL), einem der Koalitionspartner, stammt. In der letzten Abstimmung wurde das Gesetz einheitlich unterstützt, und die Regierungspartei wurde zum großen Verlierer der Abstimmung, ausgerechnet ein paar Monate vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Im Großen und Ganzen ist es aber immens wichtig, einen Konsens zu schaffen, was die Entwicklung der Erneuerbaren in Polen angeht. Auch seitens der PO. Um eine neue Industrie aufzubauen, brauchen wir Stabilität. Erneuerbare Energien dürfen nicht zum Gegenstand endloser politischer Kämpfe werden. Ich glaube, dass die bevorstehenden Wahlen und das große Interesse der Bürger eine Art politischen Schutzschirm geschaffen haben, unter dem sich die Erneuerbaren und die Bürgerenergie entwickeln können. Es gibt eine große Chance, Unterstützung von Präsident Komorowski zu erhalten, der schon früher den Mangel an Förderung für Bürgerenergie kritisierte.

neue energie: Welchen Einfluss hat Deutschlands Energiewende auf die Diskussionen über die Zukunft des polnischen Stromsektors?

Grzegorz  Wisniewski: Auch wenn viele Polen von der deutschen Energiewende schon gehört haben, sind es nur wenige, die verstehen, dass der Zuwachs der Erneuerbaren im Energiesektor und die Entwicklung einer neuen Industrie nur aus einer konsequenten Unterstützung über Jahre hinweg erfolgen konnte. Dies führt zu einer sehr breiten Beteiligung verschiedener Akteure im Stromsektor. Die Situation in Polen sieht ganz anders aus. Der Erneuerbaren-Sektor wird von großen Akteuren dominiert. Den Bürgern fehlt oft das nötige Wissen über die Potenziale, aber auch über die Risiken der Investitionen. Diese Unterschiede werden von polnischen Entscheidungsträgern nicht wahrgenommen. Das führt zu negativen politischen Entscheidungen, wie die Einführung von Ausschreibungen für größere Anlagen, was ebenfalls in dem gerade verabschiedeten Erneuerbaren-Gesetz festgelegt wurde. Zudem werden die erheblichen Kürzungen der deutschen Einspeisetarife von einigen als Beispiel für Polen herangezogen, obwohl sie dabei einen wesentlichen Faktor ignorieren. Der Erneuerbaren-Sektor ist in Deutschland viel weiter entwickelt. Es ist von größter Bedeutung, dass die in Deutschland gemachten Erfahrungen in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Das ist aber schwierig, weil die polnischen Medien zu den staatlichen Energieproduzenten halten. Die vier Unternehmen geben fast 100 Millionen Euro jährlich für Werbung und Artikelsponsoring aus. In der Berichterstattung wird die deutsche Energiewende verzerrt dargestellt, Probleme werden maßlos übertrieben. Das kann die Energiewende in Polen gefährden.

Das vollständige Interview mit Grzegorz Wisniewski lesen Sie in der April-Ausgabe von neue energie – ab 14. April im gut sortierten Bahnhofsbuchhandel. Oder hier: Abo/Einzelheftbestellung

Zur Person: Grzegorz Wisniewski beschäftigt sich bereits seit Mitte der 1980er mit erneuerbaren Energien. Zwischen 1996 und 2006 war er Mitbegründer und Direktor des European Centre for Renewable Energy (EC BREC), das die Europäische Kommission finanziert hat. Damit entstand die erste Behörde für die Entwicklung der Erneuerbaren in Polen. Seit 2001 ist er Vorsitzender des Instituts für Erneuerbare Energien (IEO) in Warschau, einem der führenden polnischen Think Tanks in diesem Bereich.

 

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