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Russisch Roulette

Jürgen Heup, 09.01.14
Zur Förderung von Erneuerbaren hat Russland ein Auktionsmodell eingeführt. Während die Solarbranche jubelt, bleiben die Windkraftakteure noch in der Deckung. Alles entscheidend ist eine Wertschöpfungs-Klausel.

Beim Blick auf eine Erneuerbare-Energien-Karte erscheint das größte Land der Welt wie ein Zwerg. Der Anteil von Solar-, Wind- oder Bioenergie an der Stromversorgung erreicht in Russland nicht mal ein Prozent. So sind zwischen Moskau und Wladiwostok gerade mal drei Megawatt (MW) Solarleistung am Netz. Zum Vergleich: In Deutschland ist 11 000 Mal so viel Photovoltaik-Leistung installiert. Bei der Windenergie fällt Russlands Bilanz mit 16 MW nicht besser aus.

Seit dem Ende der Sowjetunion stehen vor allem die umfangreichen fossilen Ressourcen im Zentrum des Interesses von Politik und Wirtschaft. Oleg S. Popel, Leiter des Laboratoriums für erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Moskau, sieht ein weiteres Dilemma: „Hier herrscht leider die Meinung, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Verselbstständigung der ehemaligen Republiken im Mittelosten und Süden zu einem Nordland wurde, in dem die Sonnenstrahlung für Großanwendungen nicht ausreicht.“

Diesem Irrglauben versucht der Solarforscher mit Aufklärung zu begegnen. Sein Institut erstellt einen Solarenergie-Potenzial-Atlas und bereitet ein Geoinformationssystem für Erneuerbare vor. Das Ergebnis ist überraschend: Russland bietet mit 1300 bis 1400 Kilowattstunden weit höhere Solarerträge als etwa Mitteleuropa mit seinen rund 1000 Kilowattstunden Einstrahlung pro Quadratmeter.

Geburtsstunde einer neuen Solarindustrie?

Auch die russische Führung scheint die Vorteile erkannt zu haben. Der Export von Öl und Erdgas ist für das Land wesentlich lukrativer, als die fossilen Rohstoffe selber zu verbrennen. Nachdem es jahrelang Gerüchte und Gerangel um die Einführung eines Einspeisetarifs für erneuerbare Energien gab, fasste die Regierung im April letzten Jahres endlich einen Beschluss. Mit dem Regierungserlass 449 verabschiedete sie ein Fördersystem für Erneuerbare. Dabei handelt es sich um ein Auktionsmodell für Erneuerbare-Energie-Projekte, den Zuschlag für 15 Jahre erhalten die Bieter mit den geringsten Kosten pro Kilowatt.

In der ersten Tranche der Auktion im September ging es um 2,1 Gigawatt Kraftwerksleistung, die zwischen 2014 und 2017 in Betrieb genommen werden soll. „Das Ergebnis hat mich überrascht“, fasst Anatoli Kopylow, Präsident des neu gegründeten russischen Windenergieverbands RWEA zusammen. Während es für die Wasserkraft desaströs gelaufen sei, weil keine Gebote abgegeben worden seien und auch bei der Windkraft nur knapp ein Zehntel der potenziell 1100 Megawatt unter den Hammer gebracht werden konnten, ist sich Kopylow sicher, dass diese Auktion die Geburtsstunde einer neuen Solarindustrie gewesen sei. Bereits 400 MW der bis 2017 geplanten 710 MW wurden vergeben. Insgesamt hätten Projektierer Angebote für über 1000 MW abgegeben, für Kopylow eine unerwartet hohe Nachfrage.

Seine These, dass bereits ein Solarvolumen von 400 Megawatt den Aufbau einer Solarindustrie initiieren soll, stützt Kopylow auf eine Klausel, die Russlands Regierung ihrem Erlass als Fördervoraussetzung beigefügt hat: Betreiber müssen einen Nachweis erbringen, dass ein bestimmter prozentualer Anteil der Anlagen in Russland hergestellt wurde, dass also durch die Erneuerbaren sukzessiv eine Wertschöpfung im eigenen Land stattfindet. Diese so genannte Local-Content-Regelung (LCR) liegt bei Photovoltaikanlagen in den nächsten Jahren noch bei 50 Prozent. Ab 2016 müssen die Solargeneratoren aber bereits 70 Prozent Wertschöpfung in Russland vorweisen. Entsprechend können Projektierer nicht einfach Module, Wechselrichter und Ständersysteme günstig aus dem Ausland importieren. Der Aufbau einer Solarproduktion ist also in gewissem Rahmen unausweichlich.

Windbranche ist skeptisch

Ist der russische Markt auch für deutsche Maschinenbauer interessant? Die Solarzulieferer sind noch geteilter Meinung: „Eine Local-Content-Regelung spielt uns natürlich grundsätzlich in die Hände“, sagt Nathalie Albrecht von Centrotherm aus Blaubeuren. Der Ausrüster aus Baden-Württemberg war schon federführend am Aufbau Chinas Solarindustrie beteiligt. Da mittlerweile weltweit die Nachfrage wieder ansteige, konzentriere man sich zunächst auf Kernmärkte wie Indien, sagt die Pressesprecherin. Brasilien oder auch Russland zählten aber zu den Zukunftsmärkten. Auch beim Reutlinger Konkurrent Manz hält man den russischen Markt noch nicht für reif, sieht noch von einem Markteinstieg ab. Der Schwarzwälder Solarzulieferer Schmid hingegen hat bereits in Moskau eine Filiale eröffnet.

In der Windbranche stößt die Local-Content-Regelung indes auf wenig Gegenliebe. Eine schlüsselfertige Produktion für Dünnschichtmodule lässt sich verhältnismäßig einfach realisieren. Fertigungskapazitäten für Windkraftanlagen aufzubauen, ist wesentlich schwieriger. In Russland gibt es noch keine nennenswerte Windindustrie. Die Branche, allen voran die führenden Turbinenhersteller, reagierte entsprechend erschreckt auf die hohen Local-Content-Anforderungen: Von Beginn an wurde der innerrussische Wertschöpfungsanteil auf 35 Prozent festgelegt, und schon 2016 muss er 65 Prozent betragen. Auf die Frage, wie er die Chance auf Umsetzung von 35 Prozent LCR in Russland noch in diesem Jahr einschätzt, antwortet der russische Windkraftexperte Anatoli Kopylow: „Als absolut unrealistisch.“

Dies ist eine gekürzte Version des Artikels – den ausführlichen Text finden Sie in der Ausgabe 01/2014 von neue energie.

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