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Interview der Woche

„Eine Richtungsentscheidung für die nächsten zehn bis 15 Jahre“

Interview: Tim Altegör, 02.05.14
…sieht der luxemburgische EU-Parlamentarier Claude Turmes in den anstehenden Europawahlen. Der Klimaschutz komme im Wahlkampf zu kurz, zugleich werde die Krim-Krise vor allem aus Polen für den Ruf nach einer Kohle-Renaissance missbraucht. Und in Brüssel stehe unmittelbar die Entscheidung bevor, ob es in Europa eine Einspeisevergütung für Atomkraftwerke geben darf.

neue energie: Am 25. Mai sind Europawahlen. Warum ist dieser Tag wichtig für die europäische Energiepolitik?

Claude Turmes: Weil es darum geht, ob wir zurückfallen zu Kohle und Atom, oder ob wir in Europa resolut weitergehen in Richtung Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Vernetzung von Strom- und Gasleitungen. Das wird eine Richtungsentscheidung für die nächsten zehn bis 15 Jahre sein. Und diese Entscheidung ist nicht nur für den Klimaschutz wichtig, sondern auch mit Blick auf den Konflikt mit Russland. Das Positive an der Ukraine-Krise ist, dass auch der letzte Staatschef begriffen hat: Wir können nicht Putins Politik kritisieren und zugleich sein größter Sponsor sein, indem wir ihm jedes Jahr Milliarden für Gas und Öl überweisen.

neue energie: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk schlägt als Lösung eine europäische Energieunion vor…

Claude Turmes: Das ist Opportunismus pur. Gerade Tusk blockiert gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron und Kommissionspräsident Manuel Barroso seit Monaten einen ambitionierten energiepolitischen Fahrplan bis 2030. Gerade sie haben daher im letzten halben Jahr unsere Gasabhängigkeit noch erhöht. Eigentlich will Tusk die Kohle wieder nach vorne bringen, zusammen mit Schiefergas. Das wäre ein Rückschritt in die 70er- und 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Polen hat neun von elf EU-Energierichtlinien nicht umgesetzt, darunter die Erneuerbaren- und die Effizienz-Richtlinie. Donald Tusk besitzt in Europa die geringste Glaubwürdigkeit, um über eine Energieunion zu reden.

neue energie: David Cameron will in England neue Atommeiler bauen. Gibt es ein Comeback der Atomkraft in Europa?

Claude Turmes: So absurd es klingt, drei Jahre nach dem Desaster in Fukushima und zu einem Zeitpunkt, an dem neue Atomkraftwerke teurer sind als Onshore-Wind und große PV-Anlagen: Cameron und einige andere Staatschefs wollen wieder zurück zur Atomkraft. Ich hoffe für die britischen Bürger als Steuerzahler und Verbraucher, dass er von diesen Plänen Abstand nimmt. Sie sind nicht nur ein unnötiges Risiko, sondern wären für das britische Stromsystem auch teurer als erneuerbare Energien.

neue energie: Kann das Europäische Parlament auf die Entscheidung Einfluss nehmen?

Claude Turmes: Wir haben uns schon erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Atomkraft nicht in der neuen Richtlinie zu staatlichen Beihilfen enthalten ist, sondern separat behandelt wird. Das war ein wichtiger Etappensieg. Allerdings steht die Entscheidung, ob Atomkraftwerke staatlich gefördert werden dürfen, jetzt unmittelbar bevor. Das ist in den nächsten Wochen neben der Zielsetzung für 2030 das heißeste Thema: Kriegt die Atom-Lobby eine Einspeisevergütung für Strom aus neuen Kernkraftwerken?

neue energie: Wie wird die Europäische Kommission entscheiden?

Claude Turmes: Die Kommission kann das Gesuch der Engländer eigentlich nur ablehnen. Vor 14 Tagen hat sie sich hingestellt und erklärt: Die Erneuerbaren müssen sich ab sofort am Markt rechnen und beweisen. Jetzt für Atomkraft eine Sonderregelung zu schaffen – das wäre ein Widerspruch, wie er größer nicht sein könnte.

neue energie: Die Diskussion dreht sich derzeit vor allem um Energieunabhängigkeit. Welche Rolle spielt der Klimaschutz im Wahlkampf?

Claude Turmes: Der Klimaschutz wird leider nicht hoch genug angesetzt. Aufgrund der neuen Erkenntnisse der Wissenschaft müssten wir viel alarmierter und ungeduldiger auf eine ambitionierte Klimapolitik in Europa drängen.

neue energie: Dabei findet 2015 ein Klimagipfel in Paris statt, an dessen Erfolg aber kaum mehr jemand glaubt…

Claude Turmes: Beim Klimaschutz fange ich langsam an zu verzweifeln. Die Dringlichkeit des Problems so zu ignorieren ist einfach skandalös. Man hat den Eindruck, dass wir mal wieder eine größere Überschwemmung oder einen größeren Sturm in Europa brauchen, damit vor allem konservative und sozialdemokratische Politiker aufwachen. Das Skurrile ist, dass dieselbe Politik, die uns beim Klimaschutz hilft, uns unabhängig machen würde von russischen Rohstoffen. Und zusätzlich würde sie auch noch hunderttausende Arbeitsplätze in Europa schaffen. Wir leisten uns in Europa ja den Luxus, mitten in einer Wirtschaftskrise 500 Milliarden Euro für Öl und Gas rauszuschmeißen, statt sie in europäische Handwerker zu investieren.

neue energie: Bei dieser Wahl bewerben sich zum ersten Mal die Spitzenkandidaten der großen Volksparteien direkt für das Amt des Kommissionspräsidenten. Jean-Claude Juncker tritt für die Konservative EVP an, Martin Schulz für die Sozialdemokraten. Was erwarten Sie energiepolitisch von der neuen Kommission?

Claude Turmes: Das ist ein gespieltes Duell. Juncker und Schulz haben schon längst entschieden, dass sie im Parlament eine große Koalition bilden und eine Wachstumspolitik betreiben wollen, mit der Europa energie- und umweltpolitisch stagniert. Allerdings besteht im Europaparlament seit 1999 eine stabile Mitte-Links-Mehrheit bei allen wichtigen Entscheidungen zur Klima- und Energiepolitik. Diese Mehrheit ist auch nach den Wahlen möglich.

 

Kommentare (2)

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  • 25.05.14 - 08:18, EEBürgerIn

    Was leistet der EU EnergieKOmmisar Deutschlands:

    Linkliste Günther Oettinger:

    http://de.wikipedia.org/wiki/ITER#Finanzierung
    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/debatte-um-gasfoerd...aet-zur-offenheit-fuer-schiefergas/v_detail_tab_print/7724840.html

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/eu-kommissar-oetti...40-jahre-atomstrom-in-deutschland/v_detail_tab_print/7573244.html

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/foerderung-der-energiebranche-oettinger-schoent-subventionsbericht-1.1793957

    http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-energiebericht...chweigt-atom-und-kohlesubventionen/v_detail_tab_print/8928750.html

    Was will der Unions EU EnergieKOmissar Oettinger (CDU) - am 25.05.2014 ist EUROPAWAHL :
    Münchner Runde extra
    Zur Sache, Herr Oettinger!
    Gestern, 22:30 Uhr, Bayerisches Fernsehen
    30 Min.
    http://www.br.de/mediathek/video/muenchner-runde-extra-100.html

    Inhalt- ab Minute:
    ->16:45 : „Hinzu kommt die Kohle, die wir selbst haben..“ Anmerkung : von den EE die wir selbst haben kein Wort- außer stärkere Restriktionen EE zu fordern..
    ->18:26 "Wir haben eine Revolution, die anhalten wird- ein Gaspreis mit 1/3 unseres Gaspreises..“ ;
    -> 19:50 EE „EEG Novelle greift zu kurz..“ Anmerkung; Dämmung in Gebäuden wird propagiert, ist im Bundestag allerdings dreimal !!! im Vermittlungsausschuss gescheitert, da die Länder die Kosten für einen steuerliche Absetzbarkeit von Dämmungsmaßnahmen alleine hätten tragen sollen und der Bundesrat folglich den Vermittlungsausschuss anrief- schwarz/gelb war allerdings nicht kompromissfähig (aus dem Gedächtnis)! ;
    -> 20:49 MIn. „Wir fördern Windkraftanlagen in Gebieten ohne Wind und PV in Tälern ohne Sonne“
    welche für das war- room perfekt geeignet sind. Wohl nicht so einfach die Stellen auf der Stelle zu übernehmen und auszustrahlen- die Urheberrechte etc. pp. . Anmerkung: Die Kabinette I-III hatten sich bis heute vehement gegen intelligente EEG Details gewehrt, etwa West- und Ost-PV Anlagen besser zu vergüten als reine Südanlagen, um den Strom-Input fair zu verstetigen!
    -> Minute 21:30:
    Die Risiken sozialisieren, während zuvor die Gewinne privatisiert wurden.. was sagen Sie dazu (Oettinger): „Ansonsten werden wir einen Klageweg haben, der für den dt. Haushalt von erhebl. finanziellen Risiko ist..“
    Motto->
    x3: Deutsche Atomkonzerne http://www.youtube.com/watch?v=udST3S3FOeA

    Passend dazu die EE- Entwicklung in der EU: http://keepontrack.eu/contents/publicationsbiannualnationalpolicyupdatesversions/kot-policy-paper-on-retrospective-changes-to-res-support.pdf

  • 25.05.14 - 08:32, EEBürgerIn

    EU- KOMMISSAR FÜR ENERGIE ein wohl obsoleter Herr momentan.
    Wer liest und vergleicht, wird eine Alternativlosigkeit bei einer wählbaren Partei bestätigen können wie schon letzten Herbst: http://www.photon.de/photon/pd-2013-08.pdf

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