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Interview der Woche

„Abstriche beim Klimaschutz wären fatal“...

Interview: Tim Altegör, 11.04.14
...sagt die Energieexpertin Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zum energiepolitischen Umgang der EU-Staaten mit der Krim-Krise. Zwar könnte sich der Westen schrittweise unabhängiger von russischem Erdgas machen, dafür sei aber ein klarer Plan nötig.

neue energie: Gaskraftwerke gelten als Brückentechnologie für die Energiewende. Müssen wir das wegen der Krim-Krise überdenken?

Kirsten Westphal: Das ist vor allem eine politische Entscheidung. Es ist sicher ein Problem, dass Erdgas jetzt wieder die Bürde hat, dass es stark mit Russland und der Sorge um eine sichere Energieversorgung identifiziert wird, wie schon 2009. Es gilt aber nach wie vor, dass es für unsere Klimaziele entscheidend ist, Erdgas für den Umbau des Energiesystems zu nutzen. Irgendwo müssen wir Abstriche machen. Entweder geben wir internationale Prinzipien ein Stück weit preis oder wirtschaftliche Überlegungen. Das ist eine Frage der politischen Prioritäten. Eigentlich stehen wir an einem Punkt in der Energiewende, an dem wir vergleichsweise CO2-armes Erdgas brauchen, um die Kohlendioxid-Emissionen zu senken. Russland ist dafür der natürliche Partner, auch weil es ein bestehendes Liefernetz gibt. Aber jetzt kommt eben die Krim-Krise dazu.

neue energie: Wie könnte die Politik reagieren?

Westphal: Auf jeden Fall muss sie möglichst bald klare Rahmenbedingungen setzen. Wir können neue Lieferwege für Gas erschließen, das ist jedoch teuer, weil die Infrastruktur ausgebaut werden muss. Erdgas gerät leider schon jetzt gegenüber der Kohle kommerziell immer mehr ins Hintertreffen. Firmen, die in diese Projekte investieren, müssen daher sicher sein können, dass dieser Nachteil abgebaut wird, indem etwa der Preis für CO2-Emissionen steigt. Jetzt aus Versorgungssicherheitsgründen auf Kohle zu setzen, würde schwere Abstriche beim Umwelt- und Klimaschutz bedeuten. Das wäre fatal. Auch hier geht es um eine Güterabwägung. Wir müssen jetzt sehr genau darauf achten, auch unter dem Eindruck der Krim-Krise die Klimaziele in Europa hochzuhalten.

neue energie: Wie könnten wir denn an genug Erdgas kommen, das nicht aus Russland stammt?

Westphal: Kurzfristig gibt es sehr wenige Möglichkeiten, russisches Gas zu ersetzen. Knapp 40 Prozent unserer Gasimporte kommen von dort. Mittelfristig ist absehbar, dass die Märkte für verflüssigtes Erdgas besser versorgt werden, weil in Australien, Kanada und den USA neue Häfen gebaut werden. Das gilt aber erst ab 2016, 2020 könnten wir dann sogar Überkapazitäten haben. Bis dahin muss man wirklich hohe Preise zahlen, um verfüssigtes Erdgas nach Europa zu holen.

neue energie: Wird Schiefergas damit wieder verstärkt zum Thema? Der britische Premierminister David Cameron wirbt für die Förderung per Fracking, aus der CDU gibt es auch Stimmen dafür.

Westphal: Schiefergas ist wieder in der Debatte. Das muss sehr differenziert betrachtet werden. Einerseits muss man sehr genau hinschauen, wie klima- und umweltfreundlich die Technologie tatsächlich ist, und zwar über die gesamte Produktionskette, nicht nur bei der Nutzung des Gases. In den USA gibt es etwa das Problem von Methan-Lecks an den Bohrstellen, das sich aber in den Griff bekommen lässt. Andererseits braucht man die Technologie auch, um bestehende Erdgasförderung zu optimieren und die Nutzung heimischer Erdgasreserven ist ein wichtiger Baustein.

neue energie: Verfolgen die EU-Staaten denn eine gemeinsame Linie zum energiepolitischen Umgang mit der Krise, oder geht jeder seinen eigenen Weg?

Westphal: Das macht jedes Land für sich aus. Bei den Klima-Zielen für 2030 hat die Krise in der Ukraine nicht dazu geführt, dass die Regierungen näher zusammenrücken. Stattdessen propagiert jedes Mitgliedsland sein Energieprojekt als den besten Weg, Großbritannien die Kernenergie, Polen die Kohle. Jeder nutzt die Situation, um seinen eigenen Energiemix zu bestärken.

neue energie: Also kein neuer Schub für ambitioniertere 2030-Ziele, die im Oktober beschlossen werden sollen?

Westphal: Nein, obwohl wir das natürlich bräuchten, für den Ausbau der Erneuerbaren und mehr Energieeffizienz. Wir müssten auch noch einmal gezielt überlegen: Wo fehlen noch Bausteine? Wie kann man Speichertechnologien besser vorantreiben? Der Blick müsste auch über den Stromsektor hinausgehen. Was können wir im Wärmesektor mit Effizienzmaßnahmen erzielen? Welche Lösungen haben wir für Mobilität und den Transportsektor? Der Blick auf das Gesamtsystem ist wichtig. Aber das wird in der EU ein schwieriger Weg.

neue energie: Sehr viel direkter als wir ist die Ukraine selbst von der Gasabhängigkeit betroffen. Russland setzt steigende Preise als politisches Druckmittel ein. Wie kann sich die Ukraine davon befreien?

Westphal: Die Antwort auf die Krise ist eine nach vorne gerichtete, kluge Energiepolitik. Damit meine ich einen Umbau des Energiesystems, nicht nur im Stromsektor. Die große Herausforderung im ganzen postsowjetischen Raum und auch in der Ukraine ist das Energiesparen. Die Einsparmöglichkeiten sind enorm. Dafür müssten allerdings die Energiepreise steigen, und das wäre sehr schmerzhaft in einer ohnehin schon prekären Situation. Solche Reformen einzufordern ist daher nicht einfach, schon gar nicht von außen.

neue energie: Wird das denn im Land so diskutiert?

Westphal: Energie-Experten in der Ukraine ist das bewusst. Die Ukraine hat sich auch schon vor der aktuellen Krise mit dem Beitritt zu Europäischen Energiegemeinschaft zu Energieeffizienz-Maßnahmen verpflichtet. Aber sie werden bisher nicht umgesetzt. Das zeigt: Es wird auch in Zukunft schwierig.

neue energie: Dabei sollte es doch im Interesse der Ukraine sein, unabhängiger zu werden…

Westphal: Ja, wenn man ein gemeinschaftliches, in die Zukunft orientiertes Interesse annimmt. Politik wird aber von Individuen gemacht. Es gibt Oligarchen, die finanziell vom Gashandel profitieren. Zugleich wäre der Investitionsaufwand etwa für die Gebäudesanierung enorm. Wir wissen ja aus eigener Erfahrung, wie schwer das zu stemmen ist.

 

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