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Interview der Woche

„Gabriel hat entschieden: Klimaschutz ist nicht wichtig“

Interview: Isaac Bah, 15.08.14
Die CO2-Ziele für 2020 wird Deutschland laut Umweltministerin Barbara Hendricks deutlich verfehlen; zugleich leitet die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Bundesrepublik ein, weil diese die Energieeffizienzrichtlinie nicht umgesetzt hat. „De facto hat sich die Bundesregierung vom Klimaschutz verabschiedet“, kritisiert die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bärbel Höhn.

neue energie: Im Rahmen des Peterberger Klimadialogs hat Bundeskanzlerin Merkel betont, dass Deutschland seine Verantwortung für den Klimaschutz wahrnehmen werde. Bei der gleichen Veranstaltung erklärte Umweltministerin Hendricks, dass Deutschland sein Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken, wohl nicht erreicht. Wie passt das zusammen?

Bärbel Höhn: Zu Zeiten ihrer EU-Ratspräsidentschaft hat sich Angela Merkel mit großen Sprüchen als Klimakanzlerin feiern lassen, mittlerweile hat sich herausgestellt, dass sie als Lobbyistin für große Autos und sonstige CO2-Schleudern unterwegs ist. Das zeigt: Zwischen Reden und Handeln klafft eine große Lücke. In den letzten Jahren ist zunehmend gegen den Klimaschutz gehandelt worden. Dafür bekommt jetzt die für Klima zuständige Ministerin Barbara Hendricks die Quittung.

neue energie: Hendricks  rechnet für das Jahr 2020 mit einem Emissionsrückgang von 33 Prozent, eine Studie im Auftrag von Greenpeace kommt sogar nur auf knapp 32 Prozent. Waren die den 2020-Zielen zugrunde liegenden Prognosen hinsichtlich des Wirtschaftswachstums oder der Preisentwicklung am Emissionsmarkt zu blauäugig?

Bärbel Höhn: Ich halte das Eingeständnis von Frau Hendricks für ein Anzeichen von Verzweiflung. Sie ist zwar formal für Klima zuständig, hat aber in vielen Bereichen gar nicht die Kompetenzen, um bestimmte Entscheidungen zu fällen, die CO2 reduzieren würden. Sie müsste eigentlich sagen: Wir hatten in den letzten zwei Jahren einen erhöhten CO2-Ausstoß, das liegt an den Braun- und Steinkohlekraftwerken, die zum Teil schon 40 Jahre lang am Netz sind und Effizienzwerte von weniger als 30 Prozent haben. Die Bundesregierung müsste sich an die alten Kohlekraftwerke heranwagen und nach dem Effizienzkriterium die schlechtesten vom Netz nehmen. Dann hätte sie auch wieder ein wenig mehr Luft. Aber das will Wirtschaftsminister Gabriel nicht.

neue energie: Stärkeres Wirtschaftswachstum führt zu einem größeren Ausstoß von Treibhausgasen. Neben dem Anstieg bei der Kohleverstromung halten Sie der Bundesregierung auch vor, dass ihre Wachstumsannahmen zum zu niedrig angesetzt sind. Welchen Effekt befürchten Sie?

Bärbel Höhn: Bis 2020 gehen Experten von einem Wirtschaftswachstum aus, das deutlich über dem von der Bundesregierung angenommen Wachstumspfad von 1,4 Prozent liegt. Wir haben errechnet, dass selbst eine moderate Korrektur um 0,3 Prozent auf 1,7 Prozent Wachstum zu einer Vergrößerung der CO2-Reduktionslücke um zwei Prozent führen würde. Entweder weiß die Regierung mehr als wir und rechnet mit einem großen Wirtschaftseinbruch oder sie hat wie beim Emissionshandelspreis Werte angenommen, mit denen die CO2-Minderung von 33 Prozent gerade noch erreicht werden kann. Das ist aber nicht sehr realistisch, sondern bloße Zahlenspielerei. Wir Grünen sagen daher, dass diese Annahmen auf Sand gebaut und sehr unrealistisch sind. Sieht man sich alle Zahlen an, die in die Berechnungen zur CO2-Reduktion einfließen, wird es immer unwahrscheinlicher, dass Frau Hendricks ihr Ziel von 33 Prozent weniger Emissionen erreichen kann. Die neue Greenpeace-Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Autoren der Studie machen das sogar noch an anderen Kriterien als dem Wirtschaftswachstum fest. Es besteht also eine größere Lücke zum Erreichen der Emissionsziele, als Bundesumweltministerin Barbara Hendricks uns bisher gesagt hat.

neue energie: Ließe sich diese Lücke über das vom Bundesumweltministerium initiierte „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ noch abschwächen?

Bärbel Höhn: Momentan laufen da noch die Konsultationsprozesse, eigentlich liegen die Fakten aber längst auf dem Tisch. Die Bundesregierung müsste beginnen zu handeln und zum Beispiel dafür sorgen, dass alte, ineffiziente Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, die Energiewende im Gebäudebereich vorankommt oder auf der Straße die Spritschlucker durch klimafreundliche Fahrzeuge ersetzt werden. All das wäre nötig, um das 2020-Ziel noch zu erreichen. Frau Hendricks spielt aber einfach nur auf Zeit.   

neue energie: Ist die Politik im Tagesgeschäft mit langfristigen Problemen wie dem Klimawandel überfordert?

Bärbel Höhn: Beim EEG hat Sigmar Gabriel die Erneuerbaren-Ausbauziele, die unter Schwarz-Gelb festgelegt worden waren, sogar noch unterboten. An diesem Punkt ist also auch nichts für eine CO2-Reduktion zu erwarten. Es ist doch verrückt, dass die Photovoltaik und die Windkraft an Land in dem Moment abgewürgt werden, in dem sie endlich konkurrenzfähig geworden sind. Das ist nur dadurch zu erklären, dass man den alten Strukturen entgegen kommen will und den Widerstand ihrer Lobbygruppen fürchtet. Damit macht die Regierung eine Politik gegen den Klimaschutz und die Energiewende.

neue energie: Eine Politik, die sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird?

Bärbel Höhn: Gabriel hat für sich entschieden: Klimaschutz ist nicht wichtig. Ansonsten hätte er diesen Bereich mit in sein Ressort aufgenommen. Stattdessen hat er beschlossen sich um vordergründige Wirtschaftsinteressen zu kümmern. Vordergründig deshalb, weil er einen notwendigen Strukturwandel nicht rechtzeitig einleitet und damit gegen die Wirtschaft arbeitet. So wie Gabriel sich zum EEG geäußert hat wird klar, dass er ein Kohleschützer ist, der seine Kraft darauf verwendet die Erneuerbaren mit zusätzlichen Belastungen zu belegen und gleichzeitig  die Kohleindustrie zu entlasten. Aktionen gegen die Kohle und somit auch gegen die großen Energiekonzerne wie RWE hat man von dieser Bundesregierung wahrscheinlich nicht zu erwarten. Mit allem, was sie derzeit macht, entscheidet sie gegen das Klima.

neue energie: RWE hat angekündigt, weitere 1000 Megawatt an Kohlekraftwerkskapazitäten vom Netz zu nehmen, falls sich die Marktbedingungen nicht ändern, gemeinsam mit dem BDEW ruft man nach einem  Kapazitätsmarkt. Wie soll der Energiemarkt aus Ihrer Sicht gestaltet werden?

Bärbel Höhn: RWE hat – wie andere große Energiekonzerne auch – zu lange an seinem veralteten Geschäftsmodell mit Kohle- und Atomkraftwerken festgehalten und die Dynamik der erneuerbaren Energien vollkommen unterschätzt, ja sogar noch neue Kohlekraftwerke gebaut und in Betrieb genommen. Nun haben wir in Deutschland massive Überkapazitäten und exportieren so viel Strom wie nie zuvor. Mit dem Vorschlag der Kapazitätsmärkte wird nun versucht, auf Kosten der Stromkunden noch möglichst viel Geld für die überschüssigen Kapazitäten zu bekommen. Die erneuerbaren Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung müssen zunehmend mehr Verantwortung für die gesamte Versorgungssicherheit übernehmen, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Wir brauchen Lastmanagement, eine angepasste Nachfrage und flexible Gaskraftwerke, die einspringen können.

neue energie: Erneuerbaren-Ausbau bremsen, fossile Industrie stärken – handelt die Bundesregierung nach dem Motto: Klimaschutz und Erneuerbare sind mit Wirtschaftswachstum nicht vereinbar?

Bärbel Höhn: Wenn wir uns nicht um Klimaschutz bemühen, gefährden wir die Wirtschaft. Das zeigt auch der Blick aufs Wetter. Wie prognostiziert, hat die Häufigkeit von Extremwetterlagen zugenommen. Zwar lässt sich nicht jedes Unwetter auf den Klimawandel zurückführen, die Häufigkeit haben Klimaforscher aber schon vor Jahren vorhergesagt. Die Beseitigung dadurch entstandener Schäden kostet Bund und Länder extrem viel Geld. Geld, das in der Folge für andere Investitionen nicht mehr zur Verfügung steht. Wenn wir alle drei Jahre eine Jahrhundertflut haben, lässt sich das irgendwann nicht mehr bezahlen. Sinnvoller wäre es, vorbeugend in den Klimaschutz zu investieren und Techniken zu entwickeln, die wegen Energieknappheit auch andere Länder brauchen, beispielsweise Energieeffizienzmaßnahmen. Damit ließen sich obendrein noch hunderttausende Arbeitsplätze schaffen.

neue energie: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wird die Energieeffizienz als „Säule einer nachhaltigen Energiewende“ bezeichnet. Im Juli hat die EU-Kommission wegen der unvollständigen Umsetzung der EU­Energieeffizienzrichtlinie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet…

Bärbel Höhn: Beim Thema Energieeffizienz wurde bereits unter der Vorgängerregierung zu wenig getan. Das ist bedauerlich, weil in diesem Bereich sehr viele Arbeitsplätze geschaffen werden können. Es ist ja nicht so, dass ein Wirtschaftsminister, zu dessen Aufgaben es auch zählt Arbeitsplätze zu schaffen, nicht gleichzeitig auch etwas für den Klimaschutz tun könnte. Aber die Bundesregierung hat sich entschieden, etwas für die fossile Wirtschaft und die alten Strukturen zu machen, weil Strukturwandel immer mit Widerstand verbunden ist und die bestehenden Arbeitsplätze mehr Lobbydruck entwickeln als zukünftige Arbeitsplätze, die erst noch geschaffen werden müssen.

neue energie: In ihrer Anfrage an die Bundesregierung zu den Klimazielen haben sie sich auch nach der Preisentwicklung beim europäischen Emissionshandel erkundigt. Aktuell liegt der Preis für eine Tonne CO2 bei 4,47 Euro – die Bundesregierung geht in ihren Projektionen von 14 Euro pro Tonne aus. Unternimmt Deutschland auf europäischer Ebene zu wenig, um den Preisverfall bei den CO2-Zertifikaten zu korrigieren?

Bärbel Höhn: Was den Emissionshandel anbelangt, den Hendricks ja als einen der wesentlichen Bausteine bei der Treibhausgasreduktion bezeichnet, wird im Koalitionsvertrag außer dem sogenannten Backloading nichts zum europäischen Klimaschutz gesagt. Damit steht auch die häufig wiederholte Aussage, dass jetzt auf EU-Ebene etwas gemacht wird, auf tönernen Füßen. De facto hat sich die Bundesregierung vom Klimaschutz verabschiedet.

neue energie: Welche konkreten Maßnahmen würden die Grünen einleiten, um die 2020-Ziele doch noch zu erreichen?

Bärbel Höhn: Wir Grüne fordern eine Gesamtstrategie beim Klimaschutz. Deshalb haben wir ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, das für alle Bereiche Reduktionen von CO2 vorsieht, vom Strom- und Wärmebereich bis zu Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft. Vor allen Dingen wird kontinuierlich überprüft, ob die CO2-Reduktionsziele erreicht werden. Wenn nicht, sieht unser Gesetz konkrete, ehrgeizige Maßnahmen vor, um gegen zu steuern. Außerdem brauchen wir eine Belebung des Emissionshandels. Wir wollen einen CO2-Mindestpreis national in Deutschland einführen, wie es andere Länder in der EU auch schon gemacht haben. Das wäre auch ein wichtiges Signal an die EU, mehr im Klimaschutz zu tun. Der Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem Photovoltaik und Windkraft an Land – müssen beschleunigt werden und nicht ausgebremst, wie es die Bundesregierung macht. Die Gebäudesanierung muss voran gebracht werden und wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen. Mit der Kürzung des Dienstwagenprivilegs würde zum Beispiel erreicht, dass Spritschlucker nicht mit Milliarden subventioniert werden.

 

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