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Interview

„Einen echten Mehrwert für die Energiewende“

Interview: Tim Altegör, 18.09.14
…sieht Tim Loppe von Naturstrom im gemeinsamen Vorschlag mehrerer Ökostromanbieter für ein neues Modell, um Kunden mit Strom aus EEG-Anlagen zu beliefern. Das „Grünstrom-Markt-Modell“ soll eine Alternative zum Verkauf an der Börse sein und zugleich helfen, Erzeugung und Verbrauch besser aufeinander abzustimmen.

neue energie: Gemeinsam mit anderen Ökostromanbietern fordert Naturstrom ein neues Vertriebsmodell für grünen Strom, wie es die Regierung laut dem neuen EEG per Verordnung erlassen kann. Wie funktioniert das von Ihnen vorgeschlagene „Grünstrom-Markt-Modell“?

Tim Loppe: Der Stromhändler kauft Ökostrom aus Anlagen zu dem Preis, den der Betreiber ansonsten als EEG-Vergütung erhalten hätte. Im Gegenzug entfällt die EEG-Umlage. Zusätzlich zur Strommenge bekommt der Händler die entsprechenden Herkunftsnachweise, sodass er den Ökostrom aus konkreten EEG-Anlagen in Deutschland auch als solchen an seine Kunden weiterverkaufen kann – transparent und ohne Umwege. Aktuell gibt es ja de facto nur die Direktvermarktung über die Marktprämie oder den langjährigen Standardweg, die Inanspruchnahme der EEG-Vergütung. In beiden Fällen wird der Ökostrom an die Börse gebracht, wo  er im Graustrom-Pool untergeht. Momentan hat der Kunde daher nicht die Möglichkeit, gezielt Ökostrom zu ordern, der zu einem großen Anteil aus hiesigen, dezentralen Öko-Kraftwerken stammt, also beispielsweise aus Wind- und Solaranlagen. Dabei ist es das, was die Verbraucher wollen.

neue energie: Die auf diese Weise vertriebene Menge soll allerdings beschränkt werden. Was hat es damit auf sich?

Tim Loppe: Die Menge des EEG-Stroms, die der Händler auf diesem Weg vermarktet, richtet sich nach der EEG-Quote für den so genannten nicht-privilegierten Letztverbrauch, sprich all jener, die nicht von Industrierabatten profitieren. Diese Quote liegt in diesem Jahr bei 40 Prozent. Analog muss ein Händler, der das Grünstrom-Markt-Modell nutzt, 40 Prozent seines Stroms aus EEG-fähigen Anlagen liefern, 29 Prozent insgesamt müssen aus fluktuierenden Quellen kommen. Dadurch soll einer Schieflage vorgebeugt werden, die rein theoretisch auftreten könnte: Die Kopplung vermeidet, dass sich für die Kunden der anderen Versorger der Anteil „erneuerbare Energien gefördert nach dem EEG“ in der Stromkennzeichnung ihres Tarifs verringert. Ein sehr theoretisches Problem, dem aber mit dieser Regelung abgeholfen wurde.

neue energie: Woher kommen die restlichen 60 Prozent?

Tim Loppe: Dazu gibt es keine Vorgaben. Sie können beispielsweise aus Ökostrom-Anlagen im In- oder Ausland stammen, die nicht nach dem EEG vergütungsfähig sind.

neue energie: Inwieweit ist das Modell eine Weiterentwicklung des Grünstromprivilegs, das mit der EEG-Novelle 2014 zum 1. August abgeschafft wurde?

Tim Loppe: Es knüpft an das Grünstromprivileg an, von der Funktionsweise her sind beide verwandt. Dadurch, dass im Grünstromprivileg der Rabatt auf die EEG-Umlage statisch zwei Cent betrug, hatte es aber im Grunde schon vor seiner Streichung einen zementierten Nischenstatus. Zum einen konnte der Stromhändler immer nur die günstigsten EEG-Anlagen für die Belieferung von Endkunden nutzen. Und zum zweiten ist es durch den fallenden Börsenpreis immer unattraktiver geworden, am Ende hat es kaum noch jemand genutzt. Je weiter der Preis an der Börse sinkt, desto günstiger wird analog dazu beispielsweise Wasserkraftstrom aus Österreich. Der Preis für Windstrom aus EEG-Anlagen, den ein Händler im Grünstromprivileg dem Windmüller bieten musste, blieb dagegen unverändert – schließlich ist die garantierte EEG-Vergütung hier die Messlatte. Je weiter das auseinanderklafft, desto unwirtschaftlicher wird solch ein Modell.

neue energie: Und im Grünstrom-Markt-Modell sehen Sie dieses Problem gelöst? Die Marktprämie soll es ja parallel weiter geben…

Tim Loppe: Im neuen Modell entfällt die Umlage komplett. Dadurch entsteht nicht mehr diese Diskrepanz, wenn wie zuletzt beim Grünstromprivileg die Umlage steigt, zugleich der Börsenpreis immer weiter fällt und der Nachlass auf die EEG-Umlage gedeckelt ist. In diesem Zusammenhang  gibt es noch eine wichtige Zusatzbedingung: Ich muss meinen Einkauf so gestalten, dass ich auf die Durchschnittshöhe der EEG-Vergütung komme, derzeit etwa 17 Cent. Abweichungen werden verrechnet, wenn ich etwa einen großen Anteil älterer, teurer Solaranlagen oder günstiger Windparks in der zweiten Vergütungsstufe habe. Dann kriege ich noch etwas zurück, beziehungsweise zahle etwas nach. Für das EEG-System ist das Modell dadurch komplett kostenneutral, was ein enorm wichtiger Punkt ist.

neue energie: Zusätzlich wollen Sie Erzeugung und Verbrauch besser abstimmen. Was sieht Ihr Modell hier vor?

Tim Loppe: Das Grünstrom-Markt-Modell sieht eine so genannte „zeitgleiche“ Belieferung der Kunden vor. Der Stromhändler muss den Strom also so einkaufen, dass er im energiewirtschaftlich kleinsten Intervall von 15 Minuten die Kunden durchgehend mit Ökostrom versorgt. Für alle überschüssigen Strommengen, die nicht verbraucht werden und im Großhandel weiterverkauft werden müssen, wird eine Integrationszahlung von zwei Cent pro Kilowattstunde fällig. Das ist ein ganz konkreter Anreiz, um die Prognosen bei der Erzeugung weiter zu optimieren, sich Gedanken über das Management der Verbrauchsseite beispielsweise bei Gewerbekunden mit Möglichkeiten zur Lastverschiebung zu machen oder perspektivisch in Speicher zu investieren. So werden also die schwankende Erzeugung aus Wind und Solar und der Verbrauch der Kunden zueinander in Beziehung gesetzt, was bei der Vermarktung über die Börse nicht der Fall ist. Dadurch haben Tarife auf Basis des Grünstrom-Markt-Modells einen echten Mehrwert für die Energiewende.

neue energie: Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Anbieter, neben Naturstrom sind noch Clean Energy Sourcing, Greenpeace Energy und die Elektrizitätswerke Schönau beteiligt. Waren dabei viele Kompromisse nötig, oder waren Sie sich schnell einig?

Tim Loppe: Im Frühjahr gab es bereits eine Art Vorversion, das Ökostrom-Markt-Modell. Aus der Politik wurde im Zuge des EEG-Reformprozesses das Bedürfnis geäußert, dass die Branche nicht mit allzu vielen unterschiedlichen Modellen auftritt. Nach diesem Feedback haben wir in einem Diskussionsprozess die Unterstützerbasis noch einmal verbreitert. Das jetzige Modell stellt einen Konsens dar, mit dem wir der Politik ein Modell anbieten können, das von möglichst vielen mitgetragen wird. Wir rechnen uns gute Chancen aus, dass auf seiner Grundlage möglichst früh im Jahr 2015 eine entsprechende Verordnung erlassen wird. Die Signale dazu sind bisher durchaus positiv.

neue energie: Das Grünstromprivileg wurde nicht zuletzt nach rechtlichen Einwänden der EU-Kommission gestrichen, kann das wieder passieren?

Tim Loppe: Aus unserer Sicht ist die Vereinbarkeit mit EU-Recht beim Grünstrom-Markt-Modell kein Problem.

neue energie: Sie haben zu Ihrem Modell eigens eine Internetseite ins Leben gerufen. Wen wollen Sie damit erreichen?

Tim Loppe: Auf der Seite soll sich jeder leicht zugänglich informieren können, der sich für das Thema interessiert. Natürlich sind das in erster Linie Vertreter aus dem Politikbetrieb und den Verbänden sowie Journalisten, aber auch interessierte Laien. Es ist natürlich kein Angebot für jemanden, der sich mit dem Thema Ökostrom und Energiewende überhaupt nicht auseinandersetzt. Aber es gibt durchaus eine relevante Öffentlichkeit, die mit dem Thema etwas anfangen kann. Wir wollen mehr Menschen auf das Modell aufmerksam machen, vor allem aber darauf, dass es generell möglichst bald wieder eine Möglichkeit geben muss, Ökostrom aus EEG-Anlagen in größerem Umfang zur Endkundenbelieferung zu nutzen.

 

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