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Interview der Woche

Die großen Energieversorger könnten in absehbarer Zeit Pleite gehen ...

Interview: Astrid Dähn, 23.05.14
... diese Gefahr sieht Felix Matthes, Forschungskoordinator am Öko-Institut. Eine Stiftung zum Ausstieg aus der Kernenergie mache deshalb Sinn.

neue energie: Die drei großen Energieversorger RWE, Eon und EnBW wollen ihre Rücklagen für die Stilllegung ihrer Atommeiler in eine öffentlich rechtliche Stiftung überführen und dafür dem Staat die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland überlassen. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Felix Matthes: Ich halte das für ein Modell, das man sich sehr genau ansehen sollte. Priorität hat doch, die Gelder für den Rückbau zu sichern. Diese Gelder stecken bislang in den Bilanzen der Unternehmen. Da müssen sie raus. Denn im weiteren Verlauf der Energiewende besteht erkennbar die Gefahr, dass dieses Geld nicht mehr zur Verfügung steht und schließlich der Staat einspringen muss.

neue energie: Sie sprechen von dem Risiko, dass die großen Energieversorger in absehbarer Zeit Pleite gehen könnten?

Matthes: Ja, ich halte dieses Risiko für real. Das bisherige Geschäftsmodell der klassischen Energieversorger ist inzwischen zusammengebrochen. Wenn diese Unternehmen kein neues Geschäftsfeld finden, für Großunternehmen etwa in der Offshore-Windkraft, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es sie nicht mehr gibt. Und wenn man die Rückstellungen in den Bilanzen der Unternehmen belässt, dann ist das so, als ob man sich auf eine Wette einließe. Eine Wette darauf, dass die großen Energiekonzerne ein ziemlich profitables Geschäftsmodell in der Energiewende finden. Das ist nicht unmöglich, aber keinesfalls garantiert. Deswegen sollte man die Rücklagen aus meiner Sicht lieber sichern, wenn sich die Möglichkeit dafür bietet.

neue energie: Wie viel Geld wird dadurch voraussichtlich zusammenkommen?

Matthes: Die Rückstellungen betragen im Moment um die 36 Milliarden Euro. Diese Summe wird verzinst, das heißt, sie wächst noch weiter an. Insgesamt ist das ein Betrag, der in etwa mit den Kosten übereinstimmt, die beim Ausstieg zu erwarten sind. Selbst mit gehörigen Sicherheitszuschlägen dürfte die heutige Gesamtsumme der Rücklagen mit Verzinsung dafür etwa ausreichend sein. 

neue energie: Ist das nicht sehr knapp kalkuliert? Allein die Rückbaukosten für das Atomkraftwerk Lubmin belaufen sich inzwischen auf gut vier Milliarden Euro. Rechnet man das auf den gesamten deutschen Kernkraftwerkspark von 17 Meilern hoch, reichen die Rückstellungen niemals…

Matthes: Lubmin können Sie schlecht mit den übrigen Kernkraftwerken in Deutschland vergleichen. Lubmin ist ein Extremfall. Da hat man einen Reaktor zurückgebaut, dessen Konfiguration man im Westen nicht kannte, bei dem man um die physikalischen Abläufe nicht genau wusste, bei dem viele Unterlagen fehlten. Mit Verallgemeinerungen sollte man in diesem Fall ein bisschen aufpassen. Die bisherigen Erfahrungen mit anderen Kernkraftwerken zeigen, dass es durchaus auch preiswerter geht.

neue energie: Von welchen Summen geht man dabei aus?

Matthes: Für den Rückbau eines Kernkraftwerks, das man kennt, dessen Betriebsmannschaft noch vorhanden ist und von dem man die vollständigen Konstruktionspläne besitzt, müssen Sie wahrscheinlich eine bis 1,5 Milliarden Euro aufwenden. Damit wird der Abbau der Kernkraftwerke insgesamt 15, vielleicht bis zu 20 Milliarden betragen. Der Rest der Rücklagen bliebe dann für Brennstoffentsorgung und Errichtung eines Endlagers.

neue energie: Und das Geld reicht tatsächlich aus, um diese zum Teil doch noch kaum vorhersehbaren Kosten zu decken?

Matthes: Ja, das ist zumindest nicht unwahrscheinlich. Man muss sich nämlich klar machen, dass die Unternehmen in diesem Fall – anders als bei anderen Projekten – immer schon ein Interesse daran hatten, die Entsorgungskosten für ihre Atomkraftwerke möglichst hoch anzusetzen. Denn diese Rückstellungen sind steuerfrei und bringen handfeste wirtschaftliche Vorteile: Um das Jahr 2000, als die Zinsen hoch waren und die Strompreise niedrig, haben die Kernkraftwerksbetreiber mit den Rückstellungen über Zinsen mehr Geld verdient als mit dem Betrieb der Kernkraftwerke. Deshalb sollte man mit der generellen Verdächtigung, diese Rücklagen seien alle viel zu knapp bemessen, sehr vorsichtig sein.

neue energie: Wenn sie so stark von den Rückstellungen profitieren – weshalb schlagen die Energieversorger dann von sich aus vor, das Geld in eine Stiftung zu überführen?

Matthes: Das liegt daran, dass die Energieversorger ihre Bilanzen bereinigen  müssen. Aus dem gleichen Grund haben sie auch ihre Stromnetze verkauft. Die Kernkraftwerke – wie früher die Netze – binden sehr viel Eigenkapital. Und auf Eigenkapital wollen die Aktionäre möglichst viel Eigenkapitalrendite. Das war alles kein Problem, als mit den Kernkraftwerken und mit den Netzen unverschämt viel Geld verdient worden ist. Seitdem mit den Netzen und mit den Kernkraftwerken nicht mehr so viel Geld zu verdienen ist, haben die Betreiber das Interesse an diesen Eigenkapital-intensiven Anlagen verloren. Genau genommen ist die Stiftung also keine Umverteilung zulasten der Gesellschaft, es ist eher eine Umverteilung zulasten der Aktionäre, die eine Rendite auf das Eigenkapital fordern, die nicht mehr zu erwirtschaften ist.

neue energie: Weshalb regiert die Politik dann so skeptisch auf den Vorschlag? Nicht nur SPD- und Grünen-Politiker haben die Idee zurückgewiesen, auch die Bundeskanzlerin hat sich ablehnend geäußert.  

Matthes: Das waren die Anfangsreflexe. Politik und Umweltverbänden kam reflexartig die Vermutung: Hier wollen sich Leute aus der Verantwortung stehlen. Das ist ja sicher auch nicht ganz falsch. Aber man muss sich die Realität anschauen: Das schönste Verursacherprinzip nutzt einem nichts, wenn man es nicht mehr durchsetzen kann, weil die Unternehmen weg sind. Daher lohnt es sich, ernsthaft darüber nachzudenken, unter welchen Prämissen der Vorschlag annehmbar sein könnte.

neue energie: Was könnten sinnvolle Rahmenbedingungen für eine solche Stiftung sein?

Matthes: Neben der Überführung der Rücklagen in einen Fonds wäre ein wichtiger Punkt, dass die Energieversorger auf alle Entschädigungsforderungen im Kontext der Kernkraftwerksabschaltungen verzichten und ihre Klagen gegen die Kernbrennstoffsteuer zurücknehmen. Das Land Hessen sieht sich beispielsweise schon mit sehr handfesten Schadensersatzforderungen von RWE konfrontiert, die allein auf Formfehler beim Atommoratorium im Jahr 2011 zurückgehen. Letztlich sind alle Prozesse, die vor sehr unterschiedlichen Gerichten ausgetragen werden, mit dem Risiko erheblicher Schadenersatzzahlungen verbunden. Diese Forderungen, die sich insgesamt auf einige Milliarden Euro summieren, müssten im Vorfeld eines Stiftungsvertrags ausgeräumt werden.

Man könnte zudem auch über eine Eigentumsübernahme durch eine staatliche Stiftung verhandeln, gerade beim Abriss könnten in einer gemeinsamen Struktur durchaus Synergieeffekte erschlossen werden. Denkbar wäre es außerdem vertraglich festzulegen, dass die Energieversorger noch Geld nachschießen müssen, falls die Abwicklung der Atomkraftwerke einen beistimmen Kostenrahmen überschreitet. Über all diese Dinge sollte man aus meiner Sicht offen diskutieren. Aber letztendlich kommt es vor allem darauf an, die Rücklagen zu sichern – was uns in den vergangenen 15 Jahren politisch nicht gelungen ist. Sonst steht das Geld am Ende gar nicht mehr zur Verfügung und die Gesellschaft muss neben den ökologischen auch noch für die ökonomischen Probleme der Kernenergie gerade stehen – das wäre der Worst Case, den es unbedingt zu verhindern gilt.

neue energie: Was kann man aus dieser Problematik für weitere Energieprojekte lernen?

Matthes: Man muss bei allen künftigen Projekten zusehen, dass man die Folgekosten nie aus dem Auge verliert. Es ist ein systemisches Problem der Kernenergie, dass ein erheblicher Teil der Kosten sehr spät anfällt, wenn die Anlagen nichts mehr wert sind und sich auch keiner mehr um sie kümmert. Heutige Energieprojekte sind von wesentlich kleinerer Größenordnung als die Kernenergie und haben dieses Problem ganz sicher nicht in solcher Ausprägung. Aber auch bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes müssen wir immer darauf achten, dass der Fokus nicht nur auf Investitionssicherheit liegt, sondern auch mögliche Folgekosten – etwa durch die Notwendigkeit große Energiespeicheranlagen zu bauen – begrenzt bleiben.

Das Stiftungsmodell könnte im Übrigen auch noch in anderer Hinsicht Vorbildfunktion haben: Wir verhandeln jetzt über den Kernenergie-Ausstieg. Aber uns steht auch noch eine Debatte um den Ausstieg aus der Kohle-Stromerzeugung bevor. Und ich will nicht ausschließen, dass Abwicklungsgesellschaften beim Kohleausstieg ebenfalls eine Rolle spielen könnten. Deshalb sollte man die Sache mit ein bisschen weniger Schaum vor dem Mund angehen und sich anschauen, was die realen Alternativen wären. Wir werden sicher noch die eine oder andere Milliarde für sinnvolle Investitionen im Bereich der Energiewende benötigen. Da sollten wir lieber über gute Vertragsbedingungen verhandeln – und nicht zu viele Milliarden für Entschädigungszahlungen an die Kernkraftbetreiber oder Ähnliches verbraten.

 

Mehr zum Thema „Folgekosten der Atomkraft“ können Sie in der Titelgeschichte des Juni-Hefts von neue energie lesen.

 

 

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