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Story des Monats

Nuklearer Neustart

Katja Dombrowski, 03.11.14
Dreieinhalb Jahre nach dem Reaktorunglück von Fukushima hat die Nukleare Regulierungsbehörde in Japan erstmals das Wiederanfahren eines Atomkraftwerks genehmigt. Gleichzeitig wird der Erneuerbaren-Ausbau stark gefördert, PV boomt.

Mit den schwimmenden Windkraftanlagen vor der Küste von Fukushima hat Japan ein Zeichen gesetzt: für die Abkehr von der Kernenergie, für den Ausbau erneuerbarer Energien und technische Innovationen, für die Zukunft der Küstenregion, die vom Tsunami und der Atomkatastrophe im März 2011 schwer getroffenen worden war. Japan wollte die Energiewende – schnell und radikal. Das verstrahlte Fukushima sollte zum Vorreiter für eine strahlungsfreie Zukunft werden. Doch die Halbwertzeit dieser Politik ist bereits erreicht.

Dreieinhalb Jahre nach dem Super-GAU im Daiichi-Kraftwerk des Energieversorgers Tepco, bei dem es zur Kernschmelze in drei Reaktoren kam, hat das erste japanische Atomkraftwerk grünes Licht für den Neustart erhalten. Das Sendai-Werk mit zwei Reaktoren in der südwestlichen Präfektur Kagoshima erfüllt die nach Fukushima verschärften Sicherheitsbestimmungen – nun nach eigenen Angaben die striktesten der Welt –, wie die Nukleare Regulierungsbehörde im September befand.

Sendai liegt wie das havarierte Daiichi-Werk, von dem noch immer radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer sickert, direkt an der Küste. Es soll gegen Erdbeben und Tsunamis gewappnet sein. Die Betreibergesellschaft Kyushu Electric Power wird die Meiler Medienberichten zufolge frühestens im Dezember wieder anfahren, wenn die Inspektionen am Werk abgeschlossen sind und die Behörden vor Ort grünes Licht gegeben haben. Damit ist der Ausstieg aus dem Ausstieg auch praktisch besiegelt. Nach dem Unfall 2011, der größten nuklearen Katastrophe seit Tschernobyl ein Vierteljahrhundert zuvor, hatte die damalige Regierung beschlossen, mittelfristig ganz auf die Kernkraft zu verzichten. Zunächst ließ sie alle Atomkraftwerke des Landes mit insgesamt 48 betriebsfähigen Reaktoren nach und nach wegen Sicherheitsbedenken oder routinemäßiger Kontrollen abschalten.

Seit mehr als einem Jahr ohne Atomstrom

Nach dem Wiederanfahren von zwei Reaktoren im Juli 2012, die aber im September 2013 wegen Wartungsarbeiten wieder vom Netz genommen wurden, produziert nun seit mehr als einem Jahr keines der japanischen AKW Strom. Ministerpräsident Shinzo Abe, Atomkraftbefürworter und seit Dezember 2012 im Amt, vollzog jedoch eine politische Kehrtwende. Im neuen Energieplan, den seine konservative Regierung im April verabschiedet hat, wird die Kernkraft als „wichtige Quelle für den Grundlaststrom“ bezeichnet. Sie sei eine „kohlenstoffarme und quasi-heimische Energiequelle“, die – bei niedrigen Betriebskosten – zur Stabilität in der Energieversorgung beitrage.

Es wird damit gerechnet, dass mindestens ein Drittel der japanischen AKW den Betrieb in den kommenden Jahren wieder aufnehmen wird. Das Maximalszenario geht von bis zu 35 Reaktoren innerhalb von fünf Jahren aus. Einige Reaktoren werden die neu eingeführte maximale Laufzeit von 40 Jahren erreicht haben, andere die verschärften Sicherheitsauflagen nicht erfüllen, nicht mehr wirtschaftlich sein oder am Widerstand der Bevölkerung scheitern. Ob neue AKW gebaut werden, lässt der Energieplan offen. Dem Volkswillen entsprechen die Volksvertreter mit dieser Politik nicht: Eine große Mehrheit der Japaner lehnt den Wiedereinstieg in die Atomkraft ab.

Abe verspricht sich und seinem Land davon jedoch eine wirtschaftliche Entlastung sowie eine Verringerung der Abhängigkeit vom Ausland. Dem Energieplan zufolge ist die Energie-Selbstversorgungsrate im Jahr nach der Fukushima-Katastrophe auf „extrem niedrige“ sechs Prozent gesunken, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sei von sechzig auf neunzig Prozent gestiegen.

Die Einfuhr von Gas, Öl und Kohle zur Kompensierung des fehlenden Atomstroms, der vor Fukushima fast dreißig Prozent des Bedarfs deckte, belastet Japans angeschlagene Wirtschaft erheblich. Laut dem Energieplan stiegen die Kosten für den Import fossiler Brennstoffe im Fiskaljahr 2013 um 3,6 Billionen Yen (26 Milliarden Euro), gleichzeitig erreichte das Handelsdefizit den Rekordwert von 11,5 Billionen Yen (83 Milliarden Euro). In der Folge sind die Stromkosten für die Verbraucher den Angaben zufolge im Durchschnitt um zwanzig Prozent gestiegen.

Exportschlager Kerntechnik

Abe kämpft nicht nur zu Hause für die Atomindustrie, sondern fördert auch den Export der japanischen Nukleartechnologie. Ein geplantes Kooperationsabkommen mit Indien, das nach Fukushima auf Eis gelegt wurde, hat jetzt wieder Fahrt aufgenommen: Abe und Indiens neuer Premierminister Narendra Modi erklärten nach Gesprächen Anfang September, sie strebten einen raschen Abschluss der Verhandlungen zum Atomabkommen an. Zudem sind japanische Firmen am Bau von Atomkraftwerken in diversen Ländern beteiligt.

Trotz aller Atomförderung: Zurück zum Status von vor Fukushima will man in Tokio auch nicht. Neue Sicherheitsstandards sollen die Kraftwerke vor Gefahren wie Erdbeben und Tsunamis schützen. Eine neue Aufsichtsbehörde wurde geschaffen, nachdem die vorherige nach dem Unfall und zahlreichen Pannen im Daiichi-Werk wegen ihres Krisenmanagements und ihrer Verbindungen zur Atomindustrie stark in die Kritik geraten war. Vor allem aber soll die Abhängigkeit von der Atomkraft so weit wie möglich verringert werden.

Um das zu erreichen, setzt Abes Energieplan auch weiter auf den von der Vorgängerregierung vorangetriebenen Ausbau erneuerbarer Energien. Ziel ist demnach ihre „vollständige Einführung“, konkrete Ausbauziele sollen „so bald wie möglich“ folgen. Laut dem Globalen Statusbericht des Erneuerbare-Energien-Netzwerks REN21 beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung derzeit 13 Prozent. Der leitende Kabinettssekretär Yoshihide Suga sagte im Zuge der Vorstellung des Energieplans einem Bericht der Japan Times zufolge: „Für die nächsten drei Jahre werden wir erneuerbare Energie zur Top-Priorität machen. Dann werden wir einen Plan für den besten Mix aufstellen.“

Spitzenposition bei Kleinanlagen

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat im Juli 2012, gut ein Jahr nach der Kernschmelze in Fukushima, ein Erneuerbare-Energien-Gesetz nach deutschem Vorbild mit einer hohen Einspeisevergütung beschlossen. Der Einspeisetarif betrug anfangs 42 Yen (31 Eurocent) pro Kilowattstunde (kWh) für Strom aus Photovoltaikanlagen mit einer Kapazität von mehr als zehn Kilowatt (kW) und 23,1 Yen (17 Eurocent) für Strom aus Windanlagen mit einer Kapazität von mehr als zehn kW.

Wegen der gefallenen Anlagekosten und des hohen Zubaus senkte die Regierung den Tarif für Solarstrom im April 2013 um zehn Prozent und ein Jahr später um weitere elf Prozent. Er liegt jetzt bei 32 Yen (23 Eurocent) und damit noch immer nahezu doppelt so hoch wie in Deutschland. Anlagen von höchstens zehn kW erhalten 37 Yen (27 Eurocent). Für Strom aus Onshore-Windkraft zahlt Japan aktuell 22 Yen (16 Eurocent) ab einer Anlagengröße von 20 kW. Kleinere Anlagen erhalten sogar 55 Yen (40 Eurocent). Da die Regierung ihre Offshore-Industrie besonders fördern will, erhöhte sie den entsprechenden Einspeisetarif in diesem Jahr um 63 Prozent auf 36 Yen (26 Eurocent).

Auch Wasserkraft, Biomasse und Geothermie werden durch Einspeisetarife unterstützt. Dazu kommen weitere Finanzierungshilfen: Beispielsweise subventioniert der Staat die Anschaffungskosten von Lithium-Ionen-Batterien zur Speicherung des Stroms aus PV-Anlagen zu zwei Dritteln. Die großzügige Förderung führte zu einem Investitionsboom. Laut dem REN21-Bericht stiegen die Investitionen in erneuerbare Energien in Japan 2013 um achtzig Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 20,6 Milliarden Euro, wobei Forschung und Entwicklung nicht mit eingerechnet sind. Damit liegt das Land der aufgehenden Sonne weltweit auf Platz 3 hinter China und den USA. Investitionen in dezentrale Kleinanlagen stiegen um 76 Prozent auf 18 Milliarden Euro und sicherten den Asiaten die Spitzenposition. Die USA und Deutschland folgten mit weitem Abstand.

PV-Zubau wächst rasant

Besonders starken Aufwind hat der Photovoltaikmarkt. Im vergangenen Jahr verzeichnete Japan mit 6,9 Gigawatt (GW) den weltweit zweitgrößten Zubau an PV-Kapazitäten nach China. Bei der installierten Kapazität lag das Land Ende 2013 nach Informationen von REN21 mit 13,6 GW weltweit auf Platz 4 hinter Deutschland, China und Italien. Ende 2012 war die Kapazität mit 6,6 GW noch etwa halb so groß. Dachanlagen machten REN21 zufolge den Löwenanteil der Neuinstallationen aus. Dabei sei erstmals der gewerbliche Sektor der größte Markt gewesen. Dem Nachfrage-Boom entsprechend erhöhten japanische Hersteller von Solarzellen die Produktion. Ihr Anteil am Weltmarkt war 2013 mit fünf Prozent stabil. Mit Sharp Solar und Kyocera sind zwei japanische Unternehmen unter den globalen Top Ten.

Im Vergleich zur Solarkraft fristet die Windkraft in Japan noch ein Schattendasein. Nach Angaben des Japanischen Windkraftverbands waren Ende 2013 2,7 GW Kapazität installiert. Der Zubau lag demnach mit 47 Megawatt (MW) auf dem niedrigsten Stand seit 2003. Den Grund dafür sieht der Branchenverband vor allem in den im Oktober 2012 eingeführten strengen Umweltverträglichkeitsprüfungen, die alle Windfarmen mit einer Kapazität von mindestens zehn Megawatt durchlaufen müssten. Der Prozess dauere etwa vier Jahre. Rund 3,8 GW an Windkraftleistung befänden sich dadurch in der Warteschleife. „Der Sonnenaufgang des Windkraftmarktes in Japan muss auf den Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfungen warten“, heißt es dazu auf der Verbands-Webseite. Verzögerungen beim Netzzugang sind laut REN21 ebenfalls ein Problem.

Offshore-Wind als Schwerpunkt

Dass der Sonnenaufgang für die Branche kommen wird, ist jedoch unstrittig. Japan hat ein großes Potenzial, und die Technologie gilt als wettbewerbsfähig. Das Interesse an Windprojekten in Bürgerhand wächst. Auch ins Repowering ist das Land eingestiegen. Einen besonderen Fokus legt die Regierung auf den Offshore-Bereich. Im November 2013 ging die erste schwimmende Zwei-Megawatt-Anlage inklusive eines schwimmenden Umspannwerks aus einem Demonstrationsprojekt der japanischen Regierung vor der Küste von Fukushima ans Netz – mit dem Ziel, diese Technologie so schnell wie möglich zu vermarkten. Die Turbinen stammen von Mitsubishi Heavy Industries. Das japanische Schwerindustrie-Unternehmen hatte seine Offshore-Sparte im vergangenen Jahr in einem Joint Venture mit derjenigen von Vestas fusioniert, um mithilfe der Dänen den europäischen und schließlich den Weltmarkt zu erobern.

Der Japanische Windkraftverband hält den Einspeisetarif für Offshore-Windstrom allerdings für zu niedrig. Mindestens 50 Yen (36 Eurocent) pro Kilowattstunde seien angemessen, teilte der Verband in einer Stellungnahme zu den im April veränderten Tarifen mit. Er bezweifelte, dass mit den aktuellen 36 Yen ein massiver Ausbau erreicht werden kann. Der Inselstaat Japan ist bergig und dicht besiedelt, freie Flächen für die Energieerzeugung zu finden, die obendrein erdbeben- und tsunamisicher sind, ist nicht einfach. Nicht nur die Windkraftindustrie sieht ihre Zukunft daher auf dem Wasser. Im September gab die japanische Kyocera Corporation zusammen mit ihren Partnern Century Tokyo Leasing Corporation und Ciel et Terre International bekannt, noch im gleichen Monat mit dem Bau der größten schwimmenden Solaranlage der Welt zu beginnen. Zwei Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 2,9 MW sollen auf zwei Seen in Kato in der Präfektur Hyogo entstehen.

Auch ein schwimmendes Gaskraftwerk ist für die japanische Küste im Gespräch, wie Bloomberg berichtet. Es soll eine Kapazität von 700 MW haben und von der norwegischen Sevan Marine gebaut werden. „Wir werden jegliche Arten von auf dem Meer schwimmenden Anlagen in Erwägung ziehen“, sagte Akinori Abe, Vorstandsmitglied des an dem Projekt beteiligten IHI-Konzerns, der Nachrichtenagentur. Der nächste Schritt sei dann das schwimmende Atomkraftwerk, heißt es in dem Bericht weiter. In Russland baue der staatliche Rosatom-Konzern bereits seit 2007 an einem Schiff, das zwei Reaktoren tragen soll. Die Fertigstellung werde 2016 erwartet. Bis dahin werden sich vor Fukushima voraussichtlich drei schwimmende Windturbinen drehen: Zwei weitere Sieben-Megawatt-Turbinen sind im Rahmen des Regierungsprojekts im Bau. Den Strom für das japanische Netz werden sie allerdings im Lichte des Atomkraft-Neustarts mit verminderter symbolischer Wirkung liefern.

Dieser Text ist auch in der Ausgabe 10/2014 von neue energie erschienen.

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